Stiftung Schloss Neuhardenberg in Zusammenarbeit mit dem Kleist-Museum Frankfurt (Oder) - "Was für ein Kerl!" Heinrich von Kleist im ‘Dritten Reich‘

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Theaterprogramm der Freien Bühne, Stockholm 1943, Foto: Kleist-Museum Frankfurt (Oder)

Die Vorgeschichte

Das Konzept einer Ausstellung zur Wirkung Heinrich von Kleists während des Nationalsozialismus wurde seit 2004 zunächst auf einer Projektstelle am Kleist-Museum, später in freier Tätigkeit von Martin Maurach erarbeitet.

Von Anfang an wurde dabei die Aufgabe so verstanden, dass auch die Rezeption im Widerstand und im Exil außerhalb des damaligen Reichsgebietes wesentliche Bestandteile des Themas sein mussten. Das erwies sich im Verlauf der Recherchen sehr bald als richtig. Die angestrebte Grundaussage der Ausstellung ist daher auch die - für Kleist ja nicht ungewöhnliche - Ambivalenz des Umgangs mit seinem Werk, das als Spiegelung der Widerstandsproblematik, als kulturelle Alternative zum Faschismus, aber eben auch leider als scheinbares Arsenal von Rechtfertigungen für Angriffs- und Vernichtungskriege sowie die vermeintliche Sehnsucht nach einem ,Führer' gedeutet werden konnte. Für diese Vieldeutigkeit oftmals ein- und desselben Werks war eine adäquate mediale Sprache zu finden.

Das Vorgehen und die Quellen

Die Vorbereitung der Ausstellung schloss eine vom Kleist-Museum im Juni 2005 veranstaltete internationale Tagung ein, deren Ergebnisse in den "Beiträgen zur Kleist-Forschung" vorliegen. Darin wurden nicht nur zur Theatergeschichte, zu Film und Hörspiel und zur Rezeption außerhalb Deutschlands neue Ergebnisse vorgetragen, sondern auch grundsätzliche Fragen nach der ästhetischen und politischen Attraktivität Kleists für die Nationalsozialisten gestellt.

Die Recherchen schlossen Archivanfragen und Autopsien u.a. in Berlin, Köln, London, Prag, Terezin (Theresienstadt) und Wiesbaden ein. Als eine Art Leitfaden erwies sich dabei der im Kleist-Museum aufbewahrte Teilnachlass des Vorsitzenden der Kleist-Gesellschaft zwischen 1920 und 1945, Georg Minde-Pouet. Am Anfang stellte sich die Frage, auf welcher Ebene die Ausstellung prinzipiell strukturiert werden sollte: anhand der ,Schicksale' einzelner Kleist-Werke, der politischen Chronologie folgend, oder als bio-geographischer Diskurs - es gab damals auch Stimmen, die Kleists Lebensreise Parallelen zu Hitlers Umzug nach Deutschland andichteten. Die Korrespondenz Minde-Pouets als Schlüssel zu wesentlichen Momenten der Rezeption gab hier den Ausschlag: Es wurde eine grob chronologische Struktur entworfen, die jeweils einzelne Werke und herausragende Episoden der Rezeptionsgeschichte zurückbinden sollte an die politische Ereignisgeschichte. Beispiele hierfür wären die Herausgabe der "Politischen und journalistischen Schriften" Kleists durch den nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Widerstandskämpfer Adam von Trott zu Solz, die Tourneen der Reichsautobahnbühne mit dem "Zerbrochnen Krug", die Kleist-Aufführungen in deutsch besetzten Ländern wie Dänemark oder der Tschechoslowakei, aber auch mentalitätsgeschichtliche Fragen, die sich an kleine Schriften Kleists wie die "Von der Überlegung" knüpfen und nach den Psychogrammen deutscher Täter fragen lassen.

Aufführungen des Käthchen von Heilbronn, Freilichtbühne Hardenburg für KdF, 1938, © Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Nachlass Minde-Pouet

Die Gliederung

Auf dieser Grundlage wurde eine vorläufige Liste von ca. 250 möglichen Exponaten erstellt und zusammen mit einer ausführlichen Darstellung der Fakten, die die Grundlage des von Martin Maurach verfassten Begleitbuchs bildet, der Stiftung Schloss Neuhardenberg im Spätherbst 2007 zur Realisierung übergeben. Das Konzept sah eine Gliederung vor unter den Schlagzeilen

  • Gemeinschaft (1),
  • Führergestalten (2),
  • Erziehungswesen (3),
  • Feindbilder / Vernichtungspropaganda (4),
  • Widerstand / Opfer / Exil (5)
  • und Krieg / unmittelbare Nachkriegszeit (6).

(1) umfasst die Strategien, mit denen eine scheinbar klassenlose Bildungs- und ,Volksgemeinschaft' in demagogischer Abgrenzung gegen die Weimarer Republik geschaffen werden sollte, also Freilichtaufführungen, die Reichsautobahnbühne, Festspiele und besondere Propagandaaktionen; (2) arbeitet Deutungen Kleistscher Figuren wie z.B. des Hermann und des Kohlhaas als Prophetien des ,Führers' heraus; (3) stellt neben Kleists Behandlung im Deutschunterricht auch spezifisch nationalsozialistische Bildungskonzeptionen wie die so genannte Leibes- und Sprecherziehung vor, die sich teilweise auf Kleist beriefen; (4) fragt nach der Instrumentalisierbarkeit Kleists für eine Politik des Rassenhasses; (5) rekonstruiert gegenläufige Traditionen mit Hilfe der Spuren von Kleist-Lektüren im Widerstand, Exilaufführungen und Hinweisen auf Kleist-Deutungen aus Opfersicht; (6) präsentiert Kleist-Deutungen im Krieg und fragt nach deren möglichen Kontinuitäten in die Nachkriegszeit hinein.

Unter dem Eindruck der Aufführung des "Prinz von Homburg" in Posen notiert Propagandaminister Joseph Goebbels am 19. März 1941 in sein Tagebuch: "Das Haus rast Beifall. Was für ein Kerl ist doch dieser Kleist gewesen!" Die von Caroline Gille unter wissenschaftlicher Beratung von Martin Maurach kuratierte Ausstellung zeigt im Kleist-Museum Frankfurt (Oder) und in der Ausstellungshalle von Schloss Neuhardenberg nicht nur die Vereinnahmung Kleists durch die Nationalsozialisten, sondern auch seine Bedeutung für den Widerstand und für die Intellektuellen im Exil.

Martin Maurach / Wolfgang de Bruyn


Eröffnung der Ausstellung im Schloss Neuhardenberg
(Tel. 033476/600-0)
 Samstag, 16. August 2008, 16 Uhr, Großer Saal

Eröffnung im Kleist-Museum Frankfurt (Oder)
(Tel. 0335/53 11 55)
Sonntag, 17. August 2008, 11 Uhr.

Zur Ausstellung - 17. August bis 9. November 2008 - erscheinen ein umfangreicher Themenband von Martin Maurach im Verlag "Theater der Zeit" sowie ein bebildertes Exponatenverzeichnis.

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