Stiftung Schloss Friedenstein Gotha: Stumm gemachte Randfiguren der Kolonialgeschichte erzählen

Papierschild auf dem Schädel von ‘Intje Dongar‘ mit niederländischer Beschriftung: ‘Intje Dongar. Aus Pontianak; Wachmann von Wijnmalen; er holte an diesem Sonntag die niederländische Flagge herunter, führte die Matrosen von Kalangan gegen die Europäer an und ist laut einem Zeugen Mörder von Doktor Reusinger‘, Foto: Adrian Linder

Abschluss des Projektes „Provenienz und Geschichte der Sammlung indonesischer Schädel der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha"

Im Rahmen eines von Dezember 2020 bis Mai 2021 durch das Deutsche Zentrum Kultur­gutverluste geförderten Forschungsprojektes wurde die Provenienz und Geschichte einer Sammlung von 33 menschlichen Schädeln aus dem Bestand der Stiftung Schloss Friedenstein in Gotha von einem internationalen Forscherteam untersucht. Die Schädel gelangten zwischen 1862 und 1880 durch verschiedene Einlieferer aus Niederländisch-
Ostindien (heute Indonesien) in die herzoglichen Sammlungen. Diese Zeit war geprägt von
Aufständen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Kolonialherren und der lokalen Bevölkerung (s. kultur leben 1/2021).

Das Projekt

Auf der Suche nach den Spuren ihres Lebens und Sterbens versucht die Provenienzforschung die stumm gemachten Randfiguren der Geschichte zur Sprache zu bringen. Ziel des Projektes war somit eine möglichst vollständige Rekonstruktion der Provenienz der Schädel, die systematische Erfassung der menschlichen Überreste, die Identifizierung der beteiligten Akteure und ihrer historischen Verflechtungen. Neben der historisch orientierten Sozialanthropologie spielte vor allem die osteoanthropologische Analyse eine zentrale Rolle, ergänzt um die begleitende Vermittlungsarbeit durch eine Wissenschaftsjournalistin. Von indonesischer Seite unterstützte das Institut für Dayakstudien-21 in Palangka Raya im Süden Borneos das Forschungsvorhaben.

Die Sammlungsgeschichte zeigt auf, wie sich der Status der Schädel im Laufe ihrer Geschichte je nach Betrachtungsweise und Betrachter veränderte. Die ersten Schädel, die in die Sammlung kamen und von hingerichteten Freiheitskämpfern stammen, waren europäische Kriegstrophäen. Bereits auf dem Weg nach Europa fand jedoch eine Bedeutungsverschiebung hin zum "zoologischen Exponat" statt. Manche Themen traten deutlicher in den Vordergrund, als dies bei Projektbeginn zu erwarten war. Dies betrifft den interimperialen Charakter der niederländischen Kolonisierung, in die selbst die Geschichte eines peripher gelegenen Fürstentums wie Gotha verflochten war. Der Kolonialismus war in Niederländisch-Indien ein gesamteuropäisches Unternehmen, von dem viele profitierten. Insbesondere schweizerische und deutsche Akteure waren maßgeblich an der militärischen und administrativen Eroberung Indonesiens beteiligt. Ein bislang nur wenig beachtetes Forschungsfeld ist auch die Rolle von Ärztenetzwerken bei der Belieferung europäischer Schädelsammlungen. Eine wichtige Entdeckung betraf schließlich eine große Zahl von ethnographischen und naturwissenschaftlichen Objekten mit ähnlicher oder identischer Herkunft wie die Schädel in den Gothaer Sammlungen.

Die Menschen und ihre Schädel

Die enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglichte fundierte Rückschlüsse auf Leben, Gewohnheiten, Erkrankungen und zum Teil auch Todesumstände der Menschen, deren Schädel nach Gotha gebracht wurden. Auf diese Weise konnte ihnen letztendlich ein Stück ihrer Identität zurückgegeben werden.

Zumeist waren es junge Männer, die in einem Alter von etwa 18 bis 35 Jahren verstarben. Lediglich ein Schädel stammt von einer jungen Frau. Beschriftungen auf der Knochenoberfläche oder auf aufgeklebten Zetteln liefern Informationen zu den Verstorbenen. Neben dem Todesdatum und der "ethnischen Zugehörigkeit" sind in 19 Fällen ihre Namen überliefert. Die meisten Schädel stammen wahrscheinlich von verstorbenen Patienten aus dem „stadsverband", dem bedeutendsten öffentlichen Spital von Batavia. Dieses war vor allem Menschen der unteren sozialen Schichten vorbehalten und für seine schlechten hygienischen Bedingungen bekannt. Bei fünf Schädeln handelt es sich um Kriegstrophäen, mindestens drei stammen von durch Erhängen hingerichteten Freiheitskämpfern.

Trophäengalerie des ausgehenden 19. Jahrhunderts im niederländischen Bronbeek, J.C.J. Smits, Gedenkboek van het koloniaal-militair invalidenhuis Bronbeek 1881, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Basis von zwei Schädeln wurde durch einen spitzen Gegenstand durchstoßen. Laut Schriftquellen wurden beide Männer durch Erhängen hingerichtet. Ihre Köpfe wurden offenbar danach vom Rumpf abgetrennt und aufgespießt. Begleitende Funde von Fliegenpuppen implizieren, dass sie über eine längere Zeit zugänglich für diese Insekten waren, zum Beispiel, weil sie öffentlich ausgestellt wurden.

Ein solches Vorgehen war vor allem nach Strafexpeditionen der Kolonialarmee gegen die aufständische Lokalbevölkerung üblich. Weitere Verletzungen lassen sich vermutlich auf Kampfhandlungen zurückführen. Der Gesundheitszustand der Menschen war schlecht. Oftmals fanden sich Spuren chronischer Mangel- oder Infektionskrankheiten. So litten einige der Männer offenbar an Skorbut, also einem langfristigen Vitamin-C-Mangel, oder an Anämie. Letztere könnten sowohl auf Mangelernährung, aber auch Krankheiten wie Malaria, Wurmbefall oder Beriberi zurückzuführen sein. Da in den Schriftquellen über die Gefangennahme von vielen „Aufständischen" berichtet wird, legen diese Befunde einen kausalen Zusammenhang mit längeren Aufenthalten in Gefängnissen nahe. Insbesondere die durch einen Thiaminmangel hervorgerufene Beriberikrankheit war während des ausgehenden 19. Jahrhunderts unter Gefängnisinsassen in Südostasien stark verbreitet, da diese oftmals eine einseitige Ernährung mit geschältem Reis erhielten. Mehrere Schädel zeigen zudem Merkmale einer Tuberkulose.

Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha strebt nun eine Repatriierung der Schädel an. Im Alleingang und ohne ausdrückliche Forderung oder Bitte aus Indonesien ist diese jedoch nicht durchführbar. Daher soll mittelfristig eine internationale Arbeitsgruppe ins Leben gerufen werden, die in Koordination mit der indonesischen Repatriierungskommission allenächsten Schritte unternimmt.

Download: Das Magazin zum Projekt "Menschen – Human Remains in der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha"

Kristina Scheelen-Nováček |
biologische Anthropologin

Adrian Linder | Ethnologe,
Projektleiter Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

AsKI kultur leben 2/2022

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