Stiftung Schloss Friedenstein Gotha: Oskar Schlemmer. Das Bauhaus und der Weg in die Moderne

Oskar Schlemmer, ‘10 Figurinen zum Triadischen Ballett‘, 1935/36, Laubsägearbeit, © Sammlung Würth, Foto: Ivan Baschang, München/Paris„Ich habe sehr grosse Freude darüber, dass Sie und Klee zu uns kommen, und habe das Gefühl, dass es nun erst eine wirklich grosse Sache werden kann", schreibt Walter Gropius 1920 euphorisch an Oskar Schlemmer, als dessen Berufung ans Bauhaus in Weimar offiziell wird: „Die Frage, ob Sie hier als Maler oder als Bildhauer fungieren, wollen wir noch offen lassen. Ich möchte mich rein aus taktischen Gründen noch nicht festlegen."

Dass der Bauhaus-Begründer mit einer Einordnung des gewonnenen Meisters hadert, nimmt nicht wunder: Maler, Zeichner, Grafiker, Bildhauer, Bühnenbildner, Wandgestalter, Choreograf, Theoretiker – Oskar Schlemmer gilt heute als einer der vielseitigsten Künstler der Moderne überhaupt. Diese unterschiedlichen Ausdrucksformen vereint die Vision einer Zukunft, in welcher der rationale Mensch in einem harmonischen Verhältnis zu einer geordneten und modernen Welt steht. Ab den 1920er-Jahren findet sie ihre Zuspitzung in den schematisierten Motiven von Figur und Raum, die in steter Wiederholung miteinander in Beziehung gesetzt werden. Ausgehend von Malerei und Skulptur überträgt Schlemmer die geometrisch-mathematischen Prinzipien seiner Figur-Raum-Darstellungen sehr bald schon auf die Architektur sowie die darstellende Kunst. Schlemmer gilt damit als großer Erneuerer auf gleich mehreren Gebieten der Kunst und verkörpert durch seine Vielseitigkeit wie kein anderer den universellen Gedanken des Bauhauses, in unterschiedlichen Bereichen wirksam zu sein. Ganz der pluralistischen Ausbildung in Weimar und Dessau entsprechend, verbinden sich in Schlemmers Œuvre gleichberechtigt Kunst, Architektur und Handwerk mit großer Experimentierfreude.

Oskar Schlemmer: ‘Drei am Geländer‘, 1931, © Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen, Foto: Anne Gold, Aachen

Lange bevor Schlemmer von Gropius entdeckt und an das Bauhaus berufen wird, ist er bereits auf der Suche nach einer eigenen Formensprache. Unterschiedliche Stilrichtungen und Künstler beeinflussen ihn dabei. Als Akademie-Student in Stuttgart ab 1906 und Schüler von Adolf Hölzel ab 1913 sind es zunächst vor allem der französische Impressionismus und Kubismus, die ihm eine Vereinfachung und Abstraktion der Form vermitteln. Allerdings wird er sich bis auf wenige Ausnahmen nie vollständig von der gegenständlichen Darstellung lösen. Die Abstraktion verbindet sich vielmehr bald mit der Vorstellung eines erhabenen und idealisierten Menschenbildes, das seine Wurzeln in der Antike und im Klassizismus des 19. Jahrhunderts hat. Die Erfahrungen seiner Studienzeit fließen 1914 auf spektakuläre Weise in die Wandbilder für die legendäre „Werkbundausstellung" in Köln ein. Gemeinsam mit Willi Baumeister und Hermann Stenner fertigt er für die Haupthalle der Ausstellung zwölf Wandbilder an, die in fast vier Metern Höhe angebracht werden. Die nur in Fotografien überlieferten Malereien Schlemmers zeigen Legenden der Stadt Köln in kubistischer, monumentaler Figurensprache. Durch sie wird Gropius das erste Mal auf Schlemmer aufmerksam und verfolgt von nun an dessen künstlerische Entwicklung. Mehrere Ausstellungsbeteiligungen in den Jahren 1919 und 1920 dürfen dabei als Wegbereiter für seinen Gang nach Weimar gelten: Zunächst die „Herbstschau Neuer Kunst" in den Sälen des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart, die von der revolutionären Künstlervereinigung Üecht initiiert wird, der Schlemmer unter anderem neben Willi Baumeister angehört. Es folgen Ausstellungen in Dresden, Essen und Berlin, letztere in der Galerie „Der Sturm". Hier erprobt Schlemmer eine neue Art der Hängung seiner Gemälde und Wandskulpturen, die in rhythmisch angeordneten Gruppen zu einem Stück Architektur werden sollen. Diesen Ansatz beschreibt Schlemmer bereits 1919 in einem Tagebucheintrag:

„Zu meinen Bildern: ‚Bilder', die sie eben nicht mehr sind im bekannten Sinn, [...] es sind vielmehr Tafeln, die den Rahmen sprengen, um sich der Wand zu verbinden und ein Teil der größeren Fläche, des größeren Raums als sie selbst, zu werden, solcherart Teil einer gedachten, erwünschten Architektur ist in ihnen komprimiert, auf ein Kleines zusammengepreßt, was Form und Gesetz ihrer Umgebung wäre. // In diesem Sinn: Gesetzestafeln. // Die Darstellung des Menschen wird immer das große Gleichnis für den Künstler bilden."

Das Herzogliche Museum Gotha lädt ein, in diese faszinierende, ganzheitliche Gedankenwelt Oskar Schlemmers einzutauchen. Die erste monografische Schlemmer-Ausstellung im Osten Deutschlands bildet die Genrevielfalt mit über 75 Exponaten eindrucksvoll ab, zudem weiten Einzelwerke eines László Moholy-Nagy, Andor Weininger und Wassily Kandinsky den Blick. Einen deutlichen Schwerpunkt legt die Schau auf Schlemmers Schaffen der 20er- und 30er-Jahre, wozu die Zeit am Bauhaus in Weimar und Dessau ebenso gehören wie seine Arbeiten als Wandgestalter oder Projekte im Bereich von Bühne und Tanz.

Oskar Schlemmer, ‘Homo mit Rückenfgur auf der Hand‘, 1930/31, Stahldraht und Nickelelemente auf weiß gespritzter, mit Leinen bezogener Holzplatte, © Döbele-Kunst-Mannheim (Edition 1968; Anton Steinlechner u. Siegfried Cremer)

Stets ist es Schlemmer dabei um die (Neu-)Verortung des Menschen in einer sich durch Technisierung grundsätzlich verändernden Gesellschaft gelegen – ein Thema, dem wir uns im Zeitalter von Algorithmen, Künstlicher Intelligenz und synthetischer Biologie gerade aufs Neue stellen. Können wir mit den Ideen des Bauhauses und den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts auf Herausforderungen unserer Zeit antworten?

Die jugendliche Lust am freien Experimentieren und utopischen Gestalten, die das Bauhaus in seinen gerade einmal 14 Jahren institutionellen Bestehens stets in Bewegung gehalten hat, lebt in der „WERKstatt Schlemmer" wieder auf. Das ästhetische Bildungsprogramm lädt zum Mitgestalten ein und versteht sich zugleich als performative Notwendigkeit zur Ausstellung: Eine retrospektive Werkschau allein würde das Bauhaus zwangsläufig musealisieren und so mit seinem Projektcharakter kollidieren. So finden etwa in Kooperation mit der Weimarer Mal- und Zeichenschule Kunstateliers mit den bildenden Künstlern Manon Grashorn und Karsten Kunert statt. Schulklassen und Individualbesucher nähern sich hier den Theorien des Bauhauses auf eine ästhetische und spielerische Weise, machen „Kultur lebendig". Die entstandenen Gemälde, Skulpturen und Mobiles werden anschließend im Ausstellungsbereich platziert, um die retrospektive Werkschau im wöchentlichen Wechsel neu mit unserer Gegenwart zu konfrontieren. Aus weiteren Aktionen der „WERKstatt Schlemmer" ragt sicherlich die Beteiligung des Schriftstellers, Filmemachers und Multimedia-Künstlers Alexander Kluge heraus. Die crossmediale Rauminstallation „Bauhaus, ‚Jugend', ABC & Utopie" des ehemaligen Professors für Filmgestaltung an der Hochschule für Gestaltung Ulm, die 1953 die „Nachfolge des Bauhauses" antrat, entfesselt in der Tradition der Montagetechnik der 20er-Jahre die Zuschauerphantasie und konstatiert hoffnungsvoll: „Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten."

Dr. Timo Trümper
Direktor Wissenschaft und Sammlungen
Dr. B.-Christoph Streckhardt
Mitarbeiter Referat Kommunikation und Bildung
Stiftung Schloss Friedenstein Gotha


Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
Oskar Schlemmer. Das Bauhaus und der Weg in die Moderne
28. April bis 28. Juli 2019
www.stiftungfriedenstein.de

Katalog „Oskar Schlemmer. Das Bauhaus und der Weg in die Moderne"
hg. von der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, mit Beitr. von Timo Trümper, Ina Conzen u.a.
96 Seiten, ca. 100 Abb., 24 €
ISBN: 978-3-89790-558-0

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2019

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