Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf: Spannungsfeld Weimar. Kunst und Gesellschaft 1919-1933

Heinrich Zille, ‘Zille-Hofballett‘, 1929, Linolschnitt, Foto: © Kunststiftung Dr. Hans-Joachim und Elisabeth Bönsch

100 Jahre liegt der Beginn der ersten deutschen Demokratie nun zurück. Die Menschen dieser Zeit erlebten große politische und gesellschaftliche Umwälzungen, das Trauma des Ersten Weltkrieges, soziales Elend, aber auch eine besondere Blüte der Kunst und Kultur.

Die Ausstellung „Spannungsfeld Weimar. Kunst und Gesellschaft 1919 – 1933" nimmt das Jubiläum der Weimarer Republik, verknüpft mit kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften wie dem Bauhaus oder dem Frauenwahlrecht, zum Anlass, den Besuchern diese ereignisreichen, von starken Gegensätzen gekennzeichneten Jahre im Kreuzstall auf der Gottorfer Schlossinsel nahe zu bringen.

Die Ausstellung beginnt mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Novemberrevolution. Der von den Matrosen als sinnlose Opferung ihres Lebens angesehene Befehl der Seekriegsleitung zum Auslaufen der Flotte in Wilhelmshaven im Oktober 1918 gab den Startschuss zu einer Welle von Protesten. Diese erreichten, vom Aufstand der Matrosen in Kiel ausgehend, schon bald Berlin. Arbeiter- und Soldatenräte schlossen sich zusammen, die Demonstranten forderten politische Reformen. Die daraufhin vom Reichskanzler Max von Baden verkündete Abdankung des Kaisers Wilhelm II. und die Ausrufung der „Deutschen Republik" durch Philipp Scheidemann − beziehungsweise der „Sozialistischen Republik Deutschland" durch Karl Liebknecht − am 9. November 1918 markiert das Ende des Kaiserreiches und den Beginn einer ganz neuen politischen Ära in Deutschland.

Mit den allgemeinen Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 wurde der Grundstein der Republik gelegt. Die herrschende Aufbruchsstimmung erfasste auch die Künstler. Viele schlossen sich in künstlerischen Arbeitsgemeinschaften wie dem Arbeitsrat für Kunst oder der Novembergruppe zusammen. Ihr Ziel war es, mit künstlerischen Mitteln an der neu entstehenden Gesellschaftsordnung mitzuarbeiten. Neben der Gestaltung von politischen Plakaten, die zur Wahl aufriefen oder Propaganda im Sinne der neuen Regierung verbreiteten, nahmen sich viele Künstler auch die Probleme ihrer Epoche vor und prangerten beispielsweise die katastrophalen sozialen Zustände an.

Martel Schwichtenberg, ‘Im Atelier‘, 1921-1923, Öl auf Leinwand, Foto: © Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen

Eine der Folgen des Krieges waren die enormen Schulden des Landes, die sich durch die im Versailler Vertrag festgelegten Reparationen an die Siegermächte noch deutlich erhöhten. Zusammen mit der Notwendigkeit, fast acht Millionen ehemalige Soldaten wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, führte dies zu hohen Erwerbslosenzahlen und einer Hyperinflation, die 1923 ihren Höhepunkt erreichte. Ernst Barlach und Käthe Kollwitz halten uns in ihren Werken die soziale Not und das Elend der Kriegsversehrten, Armen und Kranken vor Augen. Besonders eindrücklich wird die Problematik des Hungers in Kollwitz' gleichnamigem Holzschnitt geschildert.

George Grosz wiederum kritisierte in seinen satirischen Grafiken die Vertreter von Staat, Kirche und Militär und stellte insbesondere den Krieg und den Einsatz von Menschenleben in Frage. Grosz ist mit der vollständigen Mappe Hintergrund, die auch die bekannte Grafik des Christus mit der Gasmaske enthält, in der Ausstellung vertreten. Wegen dieser und weiterer Grafiken wurde Grosz verklagt, weil er damit gegen die Regeln der Sittlichkeit verstoßen und die Kirche beleidigt habe. Das Werk ist daher heute, wo die Frage nach der Freiheit der Kunst und deren Grenzen immer wieder gestellt wird, genauso aktuell wie zur Zeit der Weimarer Republik.

Von solchen Streitfällen abgesehen war die künstlerische Freiheit in der Weimarer Republik im Vergleich zu den Verhältnissen im Kaiserreich sehr viel größer, sie wurde sogar in der Weimarer Verfassung verankert. Der Artikel 142 garantierte die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und der Lehre und stellte sie unter den Schutz des Staates.

Beflügelt durch die Aufbruchsstimmung zu Beginn der Republik entwickelten sich in der Folge eine Vielzahl von Kunststilen und Strömungen. Der Impressionismus eines Max Liebermann und eines Lovis Corinth existierte beispielsweise gleichzeitig mit dem Expressionismus, der gerade mit der Revolution einen großen Aufschwung erlebte. Später trat eine gewisse Ernüchterung ein, die sich in der Kunst im Stil der sogenannten Neuen Sachlichkeit ausdrückte.

Hans Baluschek, ‘Straßendirne‘, 1921, Lithographie, Foto:  © Kunststiftung Dr. Hans-Joachim und Elisabeth Bönsch

Die Gründung des Bauhauses 1919 in Weimar markiert einen Meilenstein der Kunstgeschichte. Ihr Gründer Walter Gropius strebte eine Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Handwerk an, er wollte erreichen, dass Künstler und Handwerker zusammen am „Gesamtkunstwerk Bau" arbeiteten. Den Stahlrohrmöbeln, die in diesem Sinne von Marcel Breuer am Bauhaus entworfen wurden, stehen in unserer Ausstellung Möbel und eine Wandgestaltung von Wenzel Hablik gegenüber. Er verfolgte auf individuellem Wege und stilistisch völlig andersartig einen vergleichbar ganzheitlichen künstlerischen Ansatz.

Die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen dieser Zeit wird um Beispiele von Tierplastiken Ewald Matarés, Hans Martin Ruwoldts und Richard Haizmanns ergänzt. Anhand dieser plastischen Werke lässt sich die Suche der Künstler nach einer Urform des Tieres, das auf seine grundlegenden Merkmale reduziert wird, nachvollziehen.

Dem Medium der Fotografie ist ein eigenes Kapitel der Ausstellung gewidmet. Es ist in dieser Zeit untrennbar mit dem Begriff des Neuen Sehens verbunden. Wir zeigen Werke der Fotografen August Sander und Albert Renger-Patzsch, zwei der bekanntesten Vertreter der Fotografie der Neuen Sachlichkeit.

Das reiche kulturelle Leben vor allem in Großstädten wie Berlin lässt sich anhand von künstlerisch gestalteten Einladungskarten zu Atelierfesten oder Tanzveranstaltungen nachvollziehen. Viele Künstler wie beispielsweise Georg Tappert oder Otto Dix schildern in ihren Werken das Milieu der Halbwelt und das ausschweifende Nachtleben, das häufig mit den sogenannten Goldenen Zwanziger Jahren gleichgesetzt wird.

Die starke Vernetzung und der rege Austausch der Künstler und Intellektuellen dieser Zeit wird auch anhand einer Vielzahl von Porträts deutlich. Sie zeugen darüber hinaus von dem neuen Selbstbewusstsein der Zeitgenossen, nicht zuletzt der Frauen, in dieser Epoche.

Den Anstoß zu dieser Ausstellung gab die Sammlerin Elisabeth Bönsch. „Spannungsfeld Weimar" bringt Werke aus der Kunststiftung Dr. Hans-Joachim und Elisabeth Bönsch und Arbeiten aus dem Bestand des Museums für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf zu einer gemeinsamen Schau zusammen und zeichnet so ein vielfältiges und spannungsreiches Bild von Kunst und Gesellschaft in der Weimarer Republik.

Thekla-Christine Hansen
Wissenschaftliche Volontärin
Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte
Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf


Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf

Spannungsfeld Weimar. Kunst und Gesellschaft 1919 – 1933
31. März bis 3. November 2019
https://schloss-gottorf.de

Katalog hg. von Kirsten Baumann, Thomas Gädeke und Thekla-Christine Hansen
184 Seiten, 141 Abb., 20 €
ISBN 978-3-947386-07-9

AsKI KULTUR lebendig 1/2019

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