Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: Geschichte online - Das "Fotoarchiv Buchenwald" und die digitale Fundstücksammlung

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Befreite Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald in einer Baracke des Kleinen Lagers, Foto: Harry Miller / U.S. Signal Corps, 16.4.1945 © National Archives, Washington

Mit dem Onlinegang des "Fotoarchivs Buchenwald" im Jahr 2007 war ein Ansturm auf die Website der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora verbunden (27.000 Nutzer besuchten die Seite allein am offiziellen Präsentationstag, dem 27. Januar).

Das große Medien- und Besucherinteresse an der ersten wissenschaftlich aufgearbeiteten Fotosammlung zu einem Konzentrationslager auf buchenwald.de zeigt einmal mehr, wie sehr sich das WWW als Leitmedium gerade bei der Recherche von historischen Informationen und Quellen etabliert hat. Im Folgenden soll das Projekt der "Digitalen Sammlung" der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora zwischen anwendungsbezogener Forschung und pädagogischer Zielsetzung skizziert werden.

1. Der erste Baustein bei der Erschließung von Dokumenten für eine umfassende "Digitale Sammlung" lieferte das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Forschungsprojekt zu den Fundstücken aus Buchenwald und Mittelbau-Dora. Es wurde von dem Historiker und Archäologen Ronald Hirte an der Gedenkstätte Buchenwald in den Jahren 2001 bis 2006 erarbeitet und zielte auf die Erschließung, Inventarisierung und Digitalisierung von Gegenständen, die auf dem Gelände der beiden ehemaligen Konzentrationslager geborgen werden konnten.

In Bezug auf das KZ Buchenwald handelte es sich im Wesentlichen um Tausende von Realien, die seit Anfang der neunziger Jahre in früheren Müllhalden auf dem ehemaligen KZ-Gelände ergraben wurden; diese Halden waren noch zur Lagerzeit oder in den fünfziger Jahren angelegt worden, als auf SED-Beschluss (im Zuge der Errichtung der Gedenkstätte) weite Teile des Konzentrationslagers abgerissen wurden. Anhand mancher Fundstücke - persönlicher Habseligkeiten von Häftlingen wie Essgeschirr oder Schmuck - lassen sich Schicksale von Menschen exemplarisch rekonstruieren, ihre Geschichten - etwa durch eingravierte Häftlingsnummern oder Initialen - beispielhaft erzählen. Gerade im Kontext von Überlegungen nach der "Zukunft von Erinnerung" liefern solche Befunde wichtige Anknüpfungspunkte: Wie können - so lautet in diesem Zusammenhang die zentrale Frage - Dokumente, Relikte und Hinterlassenschaften von Häftlingen bewahrt und zum Sprechen gebracht werden, gerade vor dem Hintergrund des unausweichlichen Abschieds von allen Menschen, die selbst von ihren Erfahrungen als Häftlinge eines Konzentrationslagers berichten können?

Anhand von Fundstücken lassen sich Einzelschicksale, aber auch die Geschichte ganzer Häftlingstransporte rekonstruierend erzählen. Die Fundstücksammlung trägt auf diese Weise zur wissensfundierten und konkretisierten Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus bei. Im WWW wurden die Ergebnisse des Fundstückprojekts als "Bild-Kataloge" auf den Stiftungsseiten buchenwald.de und dora.de publiziert; zuletzt (2007) ist der Bildkatalog zu Fundstücken aus dem KZ Mittelbau-Dora online gegangen. (Darüber hinaus liegt zu den Grabungen in Buchenwald folgende Publikation vor: Ronald Hirte: Offene Befunde. Ausgrabungen in Buchenwald. Zeitgeschichtliche Archäologie und Erinnerungskultur, herausgegeben von der Gedenkstätte Buchenwald, Weimar-Buchenwald 2000. ISBN: 3-922618-23-2) Esther Shalev-Gertz, <LinealKamm>, Fotografie Videoinstallation <MenschenDinge>, © Esther Shalev-Gertz An das Projekt knüpfte eine Ausstellung an: Mit der Videoinstallation MenschenDinge zum Umgang mit Fundstücken aus dem Konzentrationslager thematisierte die international renommierte Künstlerin Esther Shalev-Gerz, welche Rolle Fundstücken in der Gedenkstättenarbeit einnehmen und wie "Dinge" aus dem Lager über Schicksale von Menschen zum Sprechen gebracht werden können. Die Ausstellung mit 25 Farbfotografien und 5 Videos auf Flachbildschirmen war in der Gedenkstätte Buchenwald vom 25. August bis 12. November 2006 zu sehen; der Ausstellungskatalog MenschenDinge / The human aspect of objects ist im Buchhandel erhältlich (ISBN: 3-935598-14-9).

2. Das "Fotoarchiv Buchenwald", der zweite Baustein der "Digitalen Sammlung", wurde aus der seit den neunziger Jahren intensiv geführten Diskussion über Methoden und Praxis der Benutzung und Archivierung von Fotografien als historischer Quelle entwickelt. Wesentlich in Gang gesetzt wurde dieser Prozess durch die Debatte, die sich an den spezifischen Defiziten der ersten Wehrmachtsausstellung entzündet hatte. Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora verfügt mit fotografischen Zeugnissen von NS-Verbrechen nicht nur über sensibles Quellenmaterial, für das sie eine besondere Verantwortung trägt: Die Sammlung, in über 30 Jahren zusammengetragen, ist im Gedenkstättenkontext auch die älteste. Es war deshalb geboten, die aus den jüngsten Debatten gewonnenen Erkenntnisse der Bild- und Quellenforschung rasch und exemplarisch umzusetzen - gleichsam als Pilotprojekt mit Modellcharakter für andere Gedenkstätten und Archive.

Denn der Sammlungsbestand ist zwar für eine Gedenkstätte besonders umfangreich, verglichen mit großen nationalen Archiven aber überschaubar: Er umfasst insgesamt etwa 10.000 Fotografien. Das Projekt wurde von dem Historiker Holm Kirsten an der Gedenkstätte Buchenwald mit DFG-Förderung zwischen 2004 bis 2007 bearbeitet. In dieser Zeit wurde der Bestand zu Buchenwald überprüft, erweitert, nach neuesten wissenschaftlichen Kriterien inventarisiert und digitalisiert. Auf diese Weise konnten 6.000 Fotografien quellenkritisch erschlossen und eine Auswahl von inzwischen 1.500 Aufnahmen im "Fotoarchiv Buchenwald" publiziert werden. In einem zweiten Schritt wird das Inventarisierungs- und Digitalisierungsprojekt derzeit mit DFG-Förderung bis Ende 2008 in Bezug auf den Fotobestand zum KZ Mittelbau-Dora fortgeführt.

Analog zum Fundstückprojekt ging auch aus den Forschungen zum "Fotoarchiv Buchenwald" eine Ausstellung hervor: Das Projekt bildete die Grundlage für die erste umfangreiche Bildgeschichte eines Konzentrationslagers in Deutschland - die Ausstellung "Schwarz auf Weiß. Fotografien vom Konzentrationslager Buchenwald". Sie wurde aus Anlass des 70. Jahrestages der Errichtung des KZ Buchen wald im Juli 2007 in der Gedenkstätte Buchenwald eröffnet und ist noch mindestens bis zum 31. August 2008 zu sehen. Wie eng humanitäre, wissenschaftliche und pädagogische Aspekte von Forschung an Gedenkstätten miteinander verbunden sind, lässt sich anhand eines Beispiels erläutern: In Vorbereitung dieser Ausstellung konnten Mitarbeiter des Ausstellungsteams einen ungenannten Häftling am rechten Bildrand des weithin bekannten und häufig reproduzierten Fotos von befreiten Häftlingen aus dem "Kleinen Lager" des KZ Buchenwald identifizieren. Es handelt sich um Simon Toncman, einen Häftling aus den Niederlanden, der von Auschwitz nach Buchenwald deportiert worden war. Aufgrund der im Rahmen des Forschungsprojekts zuvor recherchierten Aufnahmen aus der Serie des Fotografen Harry Miller ist der Mann so zu sehen, dass seine in Auschwitz tätowierte Häftlingsnummer erkennbar ist. Sie konnte mit den entsprechenden schriftlichen Dokumenten abgeglichen und die Person auf diese Weise identifiziert werden. Anwendungsbezogene Forschung und historisch konkretisierte Erinnerung, das wird an dieser Fallgeschichte deutlich, wirken an Gedenkstätten eng zusammen.

Das Projekt "Fotoarchiv Buchenwald" ist von vielfachem Wert. Drei praktische Aspekte sollen abschließend schlaglichtartig beleuchtet werden: Es hat zunächst eine elementar humanitäre Bedeutung. Bei den Recherchen sind beispielsweise neue Fotos von Häftlingen erschlossen worden, anhand derer Personen identifiziert werden können und namenlose Opfer auf diese Weise ein Gesicht erhalten. Mit dem Projekt ist zum zweiten ein hoher wissenschaftlicher Nutzen verbunden: So wurden Bildbeschriftungen präzisiert, differenziert und korrigiert sowie der Bildkontext erschlossen. Die Präsentation einer Fotografie in der Datenbank gibt nun Aufschluss über Entstehung, Überlieferung und Rezeption. Das "Fotoarchiv Buchenwald" bietet hiermit, das ist ein wichtiger nutzerorientierter Faktor, Impulse und Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen. Drittens ist die digitale Fotosammlung für die pädagogische Arbeit von großer Bedeutung: Zentrale historische Quellen werden für Schüler und Schülerinnen, Studierende, Lehrer und Lehrerinnen und alle Bildungsinteressierte leicht zugänglich und einfach reproduzierbar zur nichtkommerziellen Nutzung kostenlos zur Verfügung gestellt. Gleiches gilt für die digitale Fundstücksammlung. Die quellenkritische Inventarisierung und historische Kontextualisierung von Fundstücken und Fotografien bürgt dabei für die Seriosität der Angaben. Insofern begegnet die Stiftung dem anhaltenden, fundamentalen Wandel von Rezeptions- und Lerngewohnheiten offensiv und trägt zur Qualitätssicherung von historischer Information im Internet bei.

Imanuel Baumann

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 1/2008

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