"Staat contra Kultur?" Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Leipzig

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Die diesjährige Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die vom 28.-30. April in Leipzig abgehalten wurde, stand ganz im Zeichen drohender Einsparungen in den Kulturetats der öffentlichen Hand.

Die Ankündigung Theo Waigels, die jahrzehntelange Kulturförderung des Bundes ab 1995 um die Hälfte reduzieren und die Bundesbeteiligung an führenden Kultureinrichtungen einstellen zu wollen (s. auch Kulturberichte 1/94, S. 1f.), hatte die Akademie veranlaßt, kurzfristig das Tagungsthema zu ändern: Statt "Deutsche Lebensläufe" lautete es nun "Staat contra Kultur?"

Der Leipziger Protestveranstaltung schien gleich zu Beginn der Wind aus den Segeln genommen zu sein: Waldemar Ritter, Ministerialdirigent im Bundesministerium des Innern, "wagte" vorauszusagen, daß der Kulturhaushalt seines Ministeriums 1995 nicht geringer sein werde als in diesem Jahr. Kulturförderung, so betonte Ritter, gehöre "zu den Pflichten eines Staates" und liege "nicht in seinem Ermessen". Die Deutsche Akademie könne als ein "kultureller Leuchtturm mit internationaler Ausstrahlung" auch künftig mit einer Förderung durch den Bund rechnen.

Akademie-Präsident Herbert Heckmann, überrascht über diese unerwartet positive Einschätzung eines Vertreters des BMI, hielt dennoch eine grundsätzliche Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kultur für notwendig, da Kultur in finanziellen Krisenzeiten immer als erste zur Disposition stehe, als Luxusgut und bloße Repräsentationsgebärde des Wohlstandes angesehen und in einen Legitimationszwang gedrängt werde. Er verlas zu Beginn der Podiumsdiskussion ein schriftliches Votum des diesjährigen Büchner-Preisträgers Adolf Muschg, der wegen einer Verletzung nicht in Leipzig anwesend sein konnte. Kultur, so forderte der Schweizer Schriftsteller, dürfe keine Manövriermasse der Finanzpolitik sein. Eine Gesellschaft, die an der Kultur spare, werde böse draufzahlen, da sie Werte preisgebe, deren Tragweite sie erst bemerke, wenn sie ihr fehlen. Kulturpolitik verlange "ihren Hütern allerhand Widerspruchsfähigkeit, produktive Toleranz, Sprünge über den eigenen Schatten ab". Der Staat müsse Kultur "ebenso tragen wie ertragen".

In Leipzig waren manche Klagen über einen allgemeinen Kulturverfall und unterschiedlichste Forderungen für Wege aus der Krise zu hören. Günter Kunert beschrieb in einer apokalyptischen Eröffnungsrede eine unumkehrbare kulturelle Erosion, deren Ursachen eine zunehmende Technisierung, die Verdrängung der Kultur durch die Naturwissenschaften und der Einfluß des Fernsehens seien. Die Arbeit des Schriftstellers habe sich längst als wirkungslos erwiesen. "Kultur braucht Zeit zu entstehen, zur Kenntnis genommen zu werden - diese Zeit ist nicht mehr da." Freimut Duve (SPD) forderte angesichts dramatischer gesellschaftlicher Veränderungen - als Stichworte nannte er die deutsche Wiedervereinigung und den übermächtigen Einfluß des Privatfernsehens, des "Homunculus der Marktwirtschaft" - eine Neuformulierung der staatlichen Kulturpolitik: "Das Personal der Republik sind nicht mehr die Intellektuellen."

Eine Kulturnation mit immer weniger Staat und verstärkter privater Förderung etwa durch Stiftungen schwebte dagegen Hartmut von Hentig vor. Seine Ausführungen stießen auf heftige Kritik bei Ivan Nagel, der vehement für eine staatliche Finanzierung plädierte, da nur sie Neuansätze in der Kunst ermögliche und verhindere, daß Kunst elitäres Vergnügen Weniger bleibe. In Deutschland seien gespenstische Zustände zu beklagen, wenn das Ansehen eines Staates daran gemessen werde, ob man Soldaten unterm Blauheim an die Krisenpunkte der Welt sendet, und wenn dann gleichzeitig Goethe-Institute geschlossen werden. Der Althistoriker Christian Meier brachte die Orientierungslosigkeit im Kulturbetrieb auf den Punkt: "Das ganze Land ist völlig verkrustet, und die Kultur auch. Veränderungen sind nötig. Das erschwert unsere Arbeit als Lobby."

Eine zweite Diskussionsrunde, in der die Aufgabe der Medien in der Debatte um den drohenden kulturellen Substanzverlust erörtert werden sollte, eröffnete Reinhard Baumgart mit der illusionslosen Feststellung, daß der Staat die Kultur nicht liebe. Er denke aber nicht, daß dies ein Erregungsthema für die Presse sei. Diese glaube vielfach nicht an den Segen öffentlicher Subventionen und sehe darin nur eine Förderung des langweiligen Mittelmaßes und die Gefahr staatlicher Einflußnahme.

Die Feuilletonchefs zeigten sich in der Tat zurückhaltend und ratlos. Mathias Schreiber ("Der Spiegel") hielt das Thema für nicht darstellbar, da es die Kultur nicht gebe. Ulrich Greiner ("DIE ZEIT") konstatierte, daß die Kultur und auch die Berichterstattung darüber von zunehmenden Selbstzweifeln geplagt seien. Wie solle sich das Feuilleton in einer solchen Situation gegen Kürzungspläne wehren? Dies brachte ihm harsche Kritik des Übersetzers Hans Wollschläger ein: "Für Greiner ist Waigel nichts weiter als ein Erfüllungsgehilfe seines Kulturpessimismus!"

Der AsKI-Vorsitzende Sieghardt v. Köckritz beklagte eine Verschärfung des kulturpolitischen Klimas und eine zum Teil konzeptionslose Spardiskussion. Er forderte die Presse, die in der heutigen Gesellschaft doch noch wirkliche Macht habe, auf, als Anwalt der bedrängten Kultur zu wirken. Der Staat müsse sich, so formulierte v. Köckritz provokant, "damit abfinden, die Kultur - auf Risiko und Unverständnis hin - zu fördern".

Die Diskussion über die Standortbestimmung der Kultur in einem "immer weniger demokratisch und immer mehr demoskopisch ausgerichteten Staat" - so die nüchterne Beschreibung von Gert Heidenreich - muß wohl weiteren Treffen vorbehalten bleiben.

Ursula Bongaerts-Schomer
Mitarbeiterin beim AsKI

Nachtrag:
Aufgrund der in den letzten "Kulturberichten" veröffentlichten Resolution des AsKI zur drohenden Einstellung der Bundesförderung erreichten uns viele besorgte Nachfragen. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Der AsKI-Vorsitzende Sieghardt v. Köckritz und Ulrich Ott vom Deutschen Literaturarchiv Marbach als Vertreter eines der betroffenen Institute hatten jedoch Gelegenheit, am 27. April in der Sitzung des Unterausschusses "Kunst und Kultur" des Innenausschusses des Deutschen Bundestages die Auswirkungen solcher Kürzungspläne im Detail zu erläutern. Der Ausschuß beschloß einstimmig, eine Empfehlung für den Innenausschuß zur Weiterleitung an den Bundestag auszuarbeiten, sich für den Erhalt des AsKI und seiner Institute einzusetzen.


AsKI KULTURBERICHTE 2/1994

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