Schwerpunkt Musik - Das Beethoven-Haus erwirbt die Originalhandschrift der Diabelli-Variationen von Beethoven

Logo Beethoven-Haus

Die Originalhandschrift von Beethovens Diabelli-Variationen op. 120, Ende der 13. und Anfang der 14. Variation, Hier hat der Komponist mit Siegellack drei Blätter übereinander geklebt. © Foto: Beethoven-Haus Bonn

Genau drei Jahre ist es her, seit sich das Beethoven-Haus im April 2007 mit einem Spendenaufruf an die Öffentlichkeit wandte und um Unterstützung für das größte Neuerwerbungsprojekt in seiner Geschichte warb.

„Habemus Manuscriptum!" - mit diesem Ausruf der Erleichterung und Freude verkündete das Beethoven-Haus Ende des vergangenen Jahres den Erwerb der Originalhandschrift von Beethovens Diabelli-Variationen für Klavier op. 120. Am 17. Dezember 2009, dem Tauftag Beethovens, konnte das 81 Seiten umfassende, sehr gut erhaltene und überaus expressiv geschriebene Manuskript in die Sammlung des Beethoven-Hauses übernommen werden. Im 120. Jahr des Bestehens des Vereins Beethoven-Haus erhielt Beethovens Opus 120 einen neuen Ort der Aufbewahrung, Pflege und Präsentation. Es handelt sich bei dem Manuskript um eine der letzten großen Beethoven-Handschriften, die noch in Privatbesitz nachweisbar sind. Eine Neuerwerbung in dieser Größen-ordnung und von dieser Bedeutung wird es voraussichtlich nicht noch einmal geben. Dahinter steht eine seit Jahren geplante Erwerbungsstrategie, die dank der Bereitschaft des Eigentümers, die Handschrift direkt an das Beethoven-Haus zu verkaufen, anstatt es zur Auktion zu geben, und dank einer groß angelegten, konzertierten Aktion von öffentlichen Förderern und privaten Spendern zum Erfolg geführt werden konnte.

Ideell unterstützt wurde das Projekt von Bundespräsident Horst Köhler, finanziell u.a. von Kulturstaatsminister Bernd Neumann - beide nahmen an dem Festakt im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses teil. Neumann betonte, die Handschrift gehöre „zu den kostbaren Zeugnissen einer Vergangenheit, die unsere Gegenwart als Kulturnation bis heute prägen. Das finanzielle Engagement der Bundesregierung beim Erwerb der Handschrift bekräftigt ausdrücklich, dass ihr die Bewahrung national wertvollen Kulturguts ein wichtiges Anliegen ist."

Die Öffentlichkeit an Beethovens Erbe teilhaben lassen

Musikautographe werden heute nicht nur von Privatsammlern und öffentlichen Archiven erworben, sondern immer mehr auch von Geldanlegern, die sie als Spekulationsobjekte behandeln. Der Erwerber bleibt dann in der Regel anonym, und ein öffentlicher Zugang ist oft nicht mehr möglich. Das Beethoven-Haus hingegen sieht es als seine Pflicht an, die Öffentlichkeit weltweit an seinen Schätzen teilhaben zu lassen: Die Originalhandschrift der Diabelli-Variationen wird - wie dies auch bei den anderen 5000 Sammlungsobjekten geschehen ist - digitalisiert und ins Internet gestellt. Darüber hinaus wird eine hochwertige Faksimileausgabe herausgegeben und das Autograph in Sonderausstellungen unmittelbar präsentiert werden.

Feierliche Übernahme der Originalhandschrift von Beethovens Diabelli-Variationen für Klavier op. 120 in die Sammlung des Beethoven-Hauses (v.r.n.l.): Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler, Eva Lusie Köhler, Dr. Philipp Adlung (Direktor des Beethoven-Hauses), Jürgen Nimptsch (Oberbürgermeister von Bonn) © Foto: Beethoven-Haus Bonn

Ein Juwel der Musikgeschichte

Der hohe Rang, den dieses letzte und kompositorisch umfassendste Klavierwerk Beethovens in der gesamten Klavierliteratur einnimmt, ist unbestritten. Der Verleger und Komponist Anton Diabelli (1781-1858) wollte einen Sammelband mit Variationen herausgeben und bat insgesamt 50 zeitgenössische Komponisten aus Wien um eine Variation über einen Walzer, den er selbst geschrieben hatte. Beethoven komponierte jedoch gleich mehrere Variationen, die schließlich in einem separaten Band erscheinen sollten. Zwischen 1819 und 1823 entstanden seine „33 Veränderungen auf einen Walzer von Anton Diabelli" op. 120, die als das bedeutendste Variationenwerk neben Bachs Goldberg-Variationen gelten. Das von dem Komponisten und Verleger Anton Diabelli vorgegebene, vermeintlich schlichte Thema hatte Beethoven zu einer Variationenreihe inspiriert, die in jeder Hinsicht neue Dimensionen eröffnet. Hans von Bülow, der 1856 in Berlin die öffentliche Uraufführung vornahm, spricht vom „Mikrokosmos Beethovenschen Geistes", und nach Arnold Schönberg verdienen die Variationen, „was die Harmonie betrifft, das kühnste Werk Beethovens genannt zu werden". Die ästhetisch-kompositorische Kühnheit bezieht sich aber auch auf rhythmische Strukturen, die Variationstechnik und die formale Anlage der Zyklusbildung. Die Serie der 33 Veränderungen folgt einer Dramaturgie dialektischer Gegensätze: Erhabenes, Heroisches, Dramatik und Tragik werden konfrontiert mit Komischem, Groteskem, verschmitztem Humor und exaltierter Lebensfreude. Wegen seiner hohen technischen und musikalischen Anforderungen galt der Zyklus lange als unspielbar. Auch für heutige Pianisten sind die Diabelli-Variationen eine Herausforderung, die nur wenige überzeugend meistern.

Das Herzstück zu den bereits vorhandenen Quellen

Mit den Diabelli-Variationen erwirbt das Beethoven-Haus nicht nur ein Kronjuwel unter den Beethoven-Handschriften, sondern es ergänzt seine schon seit längerer Zeit in der Sammlung befindlichen Quellen zu diesem Werk um das Herzstück. Mit zwei umfangreichen Skizzenbüchern, einer von Beethoven mit einer eigenhändigen Titelaufschrift versehenen und korrigierten Abschrift, einem autographen Blatt mit einem Teil der 31. Variation, einer Originalausgabe mit einer eigenhändigen Widmung des Komponisten, mehreren Originalbriefen und nun dem Gesamtautograph verfügt das Beethoven-Haus über den umfangreichsten Quellenkorpus zu diesem Meisterwerk der Beethovenschen Klavierkompositionen. Auch hier kann also zusammengeführt werden, was zusammengehört. Eine kritische Gesamtschau aller Quellen ermöglicht es nun, die bisher für die Praxis vorliegenden Notentexte zu überprüfen.

Wichtige Inspirationsquelle

Für Interpreten ist die Beschäftigung mit einem Beethoven-Autograph die wichtigste Inspirationsquelle. Nur über das Original kann gleichsam ein unmittelbarer Kontakt zur schöpferischen Persönlichkeit hergestellt werden, und nur vom Autograph geht die Aura des schöpferischen Aktes aus. Schriftduktus und -dynamik geben Aufschluss über Gefühle und kompositorisches Denken. Durch Korrekturen, Ergänzungen und Hinweise kann der Schaffensprozess, der „geistige Vorgang" des Komponierens nachvollzogen werden. Beethovensche Manuskripte sind keine Reinschriften, schon gar keine „Schönschriften", sondern ausdrucksstarke und „informative" Arbeitspartituren, in denen seine ungeheure Arbeitskraft und Willensstärke zum Ausdruck kommen.

Beispielhafte Gemeinschaftsleistung

Das größte Erwerbungsprojekt in der 120jährigen Geschichte des Beethoven-Hauses hat zu einer eindrucksvollen Gemeinschaftsleistung geführt, die öffentliches und privates Engagement fast drei Jahre lang miteinander verbunden hat. Die öffentliche Hand - Bund, Land und Kunststiftung Nordrhein-Westfalen, Kulturstiftung der Länder und die Stadt Bonn - setzte bereits im Jahr 2007 ein deutliches positives Signal, dieses überragende Zeugnis unseres kulturgeschichtlichen Erbes sichern und bewahren zu wollen. Die Bundesregierung hat sich an dem Erwerb des Originalmanuskripts mit einer wesentlichen Summe beteiligt und gehört mit der Kulturstiftung der Länder zu den Hauptförderern. Mit der Zusage öffentlicher Finanzmittel konnte und wollte das Beethoven-Haus das Wagnis eingehen, die andere Hälfte der Kaufsumme über Spenden einzuwerben. Rund 30 Unternehmen, Banken, Stiftungen und Gesellschaften aus der Bonner Region und weit darüber hinaus beteiligten sich schließlich mit großen Spendenbeiträgen im fünf- und sechsstelligen Bereich. Über 3000 Beethovenfreunde aus aller Welt schlossen sich der über Internet, Presse und Hörfunk verbreiteten Aktion „weltklassisch - eine Initiative für Beethoven" an und nahmen das Angebot wahr, Takt- und Notenpatenschaften zu erwerben oder sich mit einer kleineren Spende für den Erwerb zu engagieren. Einen gewichtigen Anteil am Gelingen dieses Großprojektes hatten 24 renommierte Künstler aus verschiedenen Genres, die sich unentgeltlich einbrachten mit Benefizkonzerten, einem Benefizdinner auf dem Petersberg bei Bonn sowie mit der Übergabe und dem Verkauf einer Serie mit 30 Originalradierungen und einer eigens angefertigten hochwertigen Designer-Uhr.

Die Vielfalt der unterstützenden Ideen und die Strahlkraft, die in Beethovens Musik und seiner Persönlichkeit liegt, führten letztendlich zur Aufnahme dieser bedeutenden Beethoven-Handschrift in die Sammlung des Beethoven-Hauses.

Andreas Eckhardt

 AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 1/2010

.

xxnoxx_zaehler