Richard Wagner Museum, Bayreuth: rosalie und wagner. licht – mythos – material

rosalie, KLINGER | Begehbare Landschaften der Melancholie, 2013, kinetisch-interaktive Licht-Klang-Skulptur, Museum der bildenden Künste Leipzig, Foto: Wolf-Dieter Gericke

»rosalie ist eine der wenigen Künstlerinnen, die [...] diese endlose Kunst des Lichts, tief verstanden hat [...] Ich vermute sogar, dass rosalie, wenn sie so weitermacht, verdientermaßen den Titel bekommt: ‚Jackson Pollock des Lichts'.«
Peter Weibel

Als die Künstlerin rosalie am 12. Juni 2017 überraschend verstarb, kamen die Planungen für eine gemeinsame Ausstellung am Richard Wagner Museum zu einem abrupten Ende. Die Idee zu der Zusammenarbeit entstand aus ihrem größten Erfolg als Bühnen- und Kostümbildnerin, jenem
Ring (musikalische Leitung: James Levine, Regie: Alfred Kirchner), den rosalie bei den Bayreuther Festspielen 1994 spektakulär in Szene setzte.
Drei Jahre später – und coronabedingt noch einmal drei Monate später als ursprünglich geplant – setzt das Museum in Kooperation mit dem atelier rosalie und seinem Leiter Thomas Jürgens nach umfangreicher Sichtung ihres künstlerischen Nachlasses nun das Projekt posthum um.

Es ist leicht einzusehen, dass die Ausstellung, die nun in Bayreuth gezeigt wird, sicher eine andere ist als sie mit der Künstlerin selbst konzipiert worden wäre. „rosalie und wagner. licht – mythos – material" ist jedoch nicht bloße Retrospektive, die chronologisch Leben und Werk der Künstlerin ehrt. rosalie war eine Weltenschöpferin und kam damit dem Anspruch Richard Wagners an sein eigenes Werk sehr nah. Sie teilte mit ihm das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Kombination von künstlerischem mit handwerklichem Genie und war überzeugt: „Wenn der Entwurf stimmt, muss es eine Lösung geben".

rosalie, Der ‘Walkürenritt‘ in ‘Die Walküre‘, Bühnenbild und Kostüme, Bayreuther Festspiele 1994 bis 1998, Foto: Bayreuther Festspiele

Wie Richard Wagner war sie besessen vom Material, vor allem von den Geheimnissen, der Poesie, den Geschichten und den Mythen, die es transportiert und die sich meist unter der Oberfläche des Offensichtlichen verbergen oder verschüttet und vergessen wurden. So erzählt eine Anekdote, dass sich rosalie, als sie zusammen mit Alfred Kirchner die Inszenierung des Ring von 1994 in Bayreuth vorbereitete, von Wolfgang Wagner den Generalschlüssel des Festspielhauses erbat, um nach Ende eines geschäftigen Tages alleine durch das leere Haus zu streifen und auf der Bühne zu sitzen, um den Geschichten zu lauschen, die das knarzende Holz des großen Saals erzählte.

Das stärkste Band zwischen beiden knüpft jedoch ihr tiefes Verständnis für die Farbe der Musik, den Klang des Lichts und die Wirkmächtigkeit der Synästhesie. Bei Wagner erfuhr diese ihren Höhepunkt im speziell für das Festspielhaus und die besondere Architektur seines Innenraums geschaffenen Parsifal. rosalie führte diese Verknüpfung verschiedener Sinnesreize durch ihre Erforschung des Lichts als Gestaltungsmittel zu neuen Ufern – auf der Bühne oder im Bild, vor allem aber durch ihr Lichttheater, ihre „Lumino-Sphären" (Peter Weibel).

Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, anstelle der Retrospektive eine neuerliche Begegnung – nach der von 1994 – dieser beiden Weltenschöpfer und ihrer Kreationen in den Räumen des Richard Wagner Museums zu inszenieren. Sie leben dort nebeneinanderher, verschränken sich, trennen sich, werden eins, entzweien sich, streiten und lieben sich, klagen an oder lachen übereinander.

Die Welten rosalies, ihre Werke, werden nicht in die vier Wände einer Wechselausstellungshalle, eines White Cube geschlossen, sondern sie erobern Wagners Welt, dringen in sie ein. In einem anderen Zusammenhang konstatierte ein Kritiker einmal, rosalies vorlaute Bühnenbilderfindungen würden eine allzu brave Inszenierung überrennen. Ob
Wagners Welt überrannt wird, ob die unterschiedlichen Welten koexistieren oder vielleicht sogar neue geschaffen werden, wird ausschließlich in der Sicht jedes bzw. jeder Einzelnen liegen. Denn es war eine Grundüberzeugung rosalies, dass plakative, vorgefertigte Botschaften die Phantasie der Menschen und damit auch ihre Fähigkeit zur Erkenntnis unmöglich machen. Stattdessen setzte sie Zeichen, optische Leitmotive, die Beziehungszauber entfachen und ihre Welten zu Phantasie- und Erkenntnisfesten machten.

 Haus Wahnfried: rosalie bei Wagners

Richard Wagner bewohnte Haus Wahnfried von 1874 bis zu seinem Tod 1883. Heute erleben die Besucherinnen und Besucher dort am authentisch-auratischen Ort eine Dokumentation zu Leben, Werk und Schaffen Richard Wagners. Empfangen werden sie in der großen Halle von Richards und Cosimas Büsten und von Skulpturen der Helden aus den Werken Richard Wagners, die wie Säulenheilige die Halle umstellen. Dazu gesellt sich nun ein wenig erhabener, dafür umso viel­farbiger, aber auch sperriger und vor allem stacheliger Hausherr: Miniaturbüsten Wagners, auf­gespießt von zwei Kakteen, grüßen die Besucherinnen und Besucher.

Im Saal des Hauses, dessen Wände musikalische und literarische Vorbilder Richard Wagners schmücken, dort, wo er den Ring vollendete und den Parsifal schuf, lässt rosalie mit ihrem letzten Werk „Mahler 8" einen der größten Bewunderer Wagners zu Wort kommen. Ihre Übersetzung von Gustav Mahlers monumentaler „Sinfonie der Tausend", die sie bis kurz vor ihrem Tod für die gerade eröffnete Elbphilharmonie schuf, ist ein filigranes Lichttheater, das dem Wunsch Mahlers sehr nahe kommt, mit diesem Werk das Universum zum Klingen und zum Tönen zu bringen.

rosalie, Heldenstück, Installation, 1986, Foto: Uwe Seyl

Der Rest der „Lebenswelt" Richard Wagners im Erdgeschoss und auf der Galerie in Haus Wahnfried ist bevölkert von Hominiden. Die Skulpturen der Werkgruppe „Typ 1 DIN 67520" zitieren das Ende von Wagners Ring, den Untergang der alten Welt und beschwören einen neuen Menschen herauf.

Die zu Wagners Lebzeiten dem Besuch verwehrten und optisch auch verborgenen Zwischengeschosse des Hauses, die Ankleide- und Badezimmer beherbergten, werden ‚enthüllt' und der Indiskretion preisgegeben. In surrealistischer Manier, vor allem durch die Nutzlosigkeit des genutzten Materials – beispielsweise Abflussrohre, die im Kreis führen – mokieren sich eine Reihe von „Objets poétiques" wie das „Barbiedrom" über Mimikry und Prüderie.

 Museumsneubau: rosalies Welten, rosalies Ring

Die Sonderausstellungshalle und der ge­samte Neubau existierten zu Wagners Zeiten nicht und stehen auf einem Teil des Geländes, das erst in den 1930er-Jahren zum Grundstück hinzugekauft wurde. Sie bilden eine eigene Welt – ausschließlich rosalies Welt. Hier ist einer der Höhepunkte der Ausstellung zu sehen, ihre Auseinandersetzung mit einem anderen Weltenschöpfer: In der kinetisch-interaktiven Licht-Klang-Skulptur „Klinger – Begehbare Landschaften der Melancholie" führt rosalie die Besucherinnen und Besucher in die Welt von Max Klinger und der Symbo­listen mit ihrer Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk, das sich in der Fusion von Leben und Kunst erfüllen sollte. Unwissend erschafft der Gast hier seine eigene Sehnsuchtslandschaft – oder genauer: ihre Vortäuschung, die damit auch auf das Scheitern des Symbolismus verweist –, indem er durch Drucksensoren, die sich unter grauen Ahornblättern aus Filz verbergen, Licht in Form von großen Lichtwirbeln aus polymer-optischen Lichtleitfasern und Musik, die von einem automatisch spielenden Flügel rührt, im Raum steuert und eine Täuschung erschafft, die er als Wirklichkeit empfindet.

Mit Blick auf den Garten von Haus Wahnfried werden die Besucherinnen und Besucher in ein nächstes scheinbares Paradies gelockt, den „Kristallpark aus hängenden Gärten": ein Labyrinth aus riesigen vielfarbigen Blumenbildern, die von der Decke hängen. Geschaffen aus Granulat funkeln die Blumen im Licht und widerstehen der Vergänglichkeit, auf Kosten der Natürlichkeit.

Im Untergeschoss des Neubaus des Richard Wagner Museums begegnen sich rosalie und Richard Wagner dann doch wieder. Dieser Teil der Ausstellung ist vollständig dem Ring des Nibelungen gewidmet, den rosalie 1994 bis 1998 in der Inszenierung von Alfred Kirchner und der musikalischen Leitung von James Levine für die Bayreuther Festspiele realisierte. Kostümentwürfe und Bühnenbildmodelle machen die Planung und Entwicklung der Inszenierung erfahrbar. Die originalen Kostüme und Requisiten, auch einige wenige Filme und Fotos von Aufführungen vergegenwärtigen diese Produktion, die sich abwandte von jenen „aktualisierenden" Inszenierungen (Alfred Kirchner), die das Werk in politische Diskurse der Gegenwart verwoben, um stattdessen die mythische Struktur, vor allem den Naturmythos im Ring wieder ernst zu nehmen. rosalie schuf hierfür eine eigene Zeichensprache, die Bühnenbild und Kostüme zu Trägern dramaturgischen Ausdrucks und zu Bedeutungsträgern machte.

 Siegfried Wagner-Haus: Rezeption und Kommentar

In der ehemaligen Junggesellenwohnung von Wagners Sohn Siegfried, die dessen Witwe Winifred ab den 1930er-Jahren umbaute und als Gästehaus nutzte, kommt rosalie noch einmal zu Wort mit einer Art Warnung. In diesem Haus, dessen Räume in ihrer originalen Ausstattung noch die Sprache der 1930er-Jahre sprechen und jeden Moment an die vielen Aufenthalte Adolf Hitlers und die enge Beziehung der Familie Wagner zum Nationalsozialismus erinnern, steht eine „Schatzkammer". In einer schwarzen Kammer stapeln sich zahllose rotierende Warnleuchten in Lagerregalen und tauchen den Raum in eine irritierende und unerträgliche, weil die Sinne überfordernde Vielstimmigkeit aus Gelb, das „sich einschmeicheln möchte und Gold wird" (Derek Jarman).

Damit endet das Treffen der Weltenschöpfer im Richard Wagner Museum, nicht zuletzt im Sinne rosalies, wenn sie festhält: „Meine Lieblingsfiguren sind der Purzelbaum, der Salto mortale, der Luftsprung und der Aufprall."

 Oliver Zeidler
 Kurator Richard Wagner Museum


rosalie, Foto: Daniel Mayer

Die Künstlerin rosalie
(1953–2017)
Rosalie – mit bürgerlichem Namen Gudrun Müller – war Bühnenbildnerin, Malerin und Lichtkünstlerin. Sie studierte bei Jürgen Rose und wurde durch ihre Arbeit am Bayreuther Ring des Nibelungen 1994 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Seit 1995 hatte sie den Lehrstuhl für Bühnen und Kostümbild an der Hochschule für Gestaltung Offenbach inne. Kinetische Lichtskulpturen waren ab 2006 das zentrale Ausdrucksmittel der Stuttgarter Künstlerin. Für ihr Werk wurde rosalie mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2013 mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.
www.rosalie.de

AsKI kultur leben 1/2020

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