Reichskammergerichtsmuseum, Wetzlar: Modell für ein Reichs­kammergerichtsgebäude

Modell für ein Kammergerichtsgebäude, 1757, Linden- und Pappelholz, farbig gefasst, © Gesellschaft für Reichskammergerichts­forschung e. V., Foto: Matthias Bähr

Mein Lieblingsobjekt ist ein Modell, eines der wenigen Objekte in unserer Sammlung, das dreidimensional und deshalb sehr anschaulich ist. Man kann daran die schwierige Funktionsweise des Gerichts wunderbar erklären – nicht zuletzt deshalb ist es vor allem auch bei Studenten beliebt.

 Als das Reichskammergericht (1495 bis 1806), das höchste Gericht im Heiligen Römischen Reich, wegen des Pfälzischen Erbfolgekrieges 1689 von Speyer nach Wetzlar umziehen musste, waren die Gerichtsangehörigen über den baulichen Zustand Wetzlars entsetzt. Denn die traumatisierten Angehörigen wurden von strohgedeckten Häusern und ungepflasterten Straßen empfangen. Besonders miss­lich war das Fehlen eines geeigneten Gerichtsgebäudes. Während man in Speyer den weitläufigen Gebäudekomplex des sogenannten Ratshofes zur Verfügung gestellt bekommen hatte, war die jetzige Unterkunft unzureichend. Denn das Wetzlarer Rathaus bestand aus einem einzigen zweistöckigen Gebäude.

In den 1720er-Jahren begann man deshalb, einen Neubau zu planen. Ein förmlicher Beschluss fiel hierfür 1729. Mehrere Architekten wurden beauftragt, Pläne und Modelle vorzulegen und einen geeigneten Bauplatz in der kleinen hügeligen Reichsstadt zu finden. Auch Balthasar Neumann reiste nach Wetzlar. Seine Pläne werden heute in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt.

Modell für ein Kammergerichtsgebäude, 1757, Linden- und Pappelholz, farbig gefasst, © Gesellschaft für Reichskammergerichts­forschung e. V., Foto: Matthias Bähr

Im Reichskammergerichtsmuseum wird dagegen ein hölzernes Modell aus dem Jahr 1757 ausgestellt. Es wurde von dem Laubacher Architekten Johannes Wiesenfeld entworfen, von dem nichts Näheres bekannt ist. Das siebenachsige zweigeschossige Modell mit Mansardendach kann auseinandergenommen und in seinen Einzelteilen betrachtet werden. Es bietet Einblick in jedes einzelne Stockwerk und kann so zum Verständnis der Funktionsweise des Gerichts beitragen: Das Erdgeschoss war den Kanzleigeschäften vorbehalten. Dort sollten die Gerichtsboten, die die Ladungen in das Reich brachten, abgefertigt werden. Die Parteien konnten dort fällige Gebühren begleichen.

Das erste Obergeschoss besteht aus einem großen repräsentativen Saal und zwei kleineren Räumen. Der Saal umfasst vier Fensterachsen und besitzt einen aufwändigen Schmuckfußboden. Hier sollten die sogenannten „Audienzen", die zentralen öffentlichen Gerichtssitzungen des Reichskammergerichts stattfinden. Der Kammerrichter – heute würde man ihn als Präsident des Gerichts bezeichnen –, der auch Stellvertreter des Kaisers war, saß bei diesen Audienzen auf einem erhöhten Podest mit dem Gerichtsstab in der Hand. Flankiert wurde er von den Richtern, zeitgenössisch Urteilern. Der Kammerrichter verkündete die Urteile in Anwesenheit der Prozessparteien, der Richter und der Anwälte. Auch die Schriftsätze der Prokuratoren zu den entsprechenden Prozessen wurden hier übergeben. Ein Balkon vervollständigt den Eindruck eines repräsentativen Saals. Auf dem Balkon konnte der Kammerrichter stellvertretend für den Kaiser die Huldigungen der Untertanen entgegennehmen.

Modell für ein Kammergerichtsgebäude, 1757, Linden- und Pappelholz, farbig gefasst, © Gesellschaft für Reichskammergerichts­forschung e. V., Foto: Matthias Bähr

Die übrigen Räume im ersten und zweiten Obergeschoss waren den einzelnen Senatssitzungen vorbehalten. Kleine Kamine zeigen, dass sie beheizt werden sollten. In den Räumen trafen sich die den Senaten zugeteilten Richter, um über die Rechtsfälle zu beraten und ein Urteil zu fällen. Die Front des Gerichtsgebäudes ist durch rote Sandsteingesimse und Quadermauerwerk an den Außenkanten gegliedert. Hinzu kommt eine betonte Mittelachse mit Säulenportikus und Dreiecksgiebel. Merkwürdig an dem Modell ist das ausgelagerte Treppenhaus. Das Gebäude sollte offenbar an ein bereits bestehendes Nachbarhaus angebaut werden, in welches das Treppenhaus integriert werden sollte.

Das Modell scheint effizient und wohl geplant. Gebaut wurde es jedoch nie, auch kein anderes Gerichtsgebäude entstand. Die Fürsten des Reiches hatten kein Interesse ein Gebäude zu finanzieren, das ihrer eigenen Herrschaft Schranken wies. Es blieb bis 1806 bei verschiedenen Provisorien.

 Prof. Dr. Anette Baumann | Leiterin der Forschungsstelle zum Reichskammergericht

 

AsKI kultur leben 1/2020

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