Neue Mitglieder im AsKI: Die Franckeschen Stiftungen zu Halle

August Hermann Francke, Kopie des Gemäldes von Antoine Pesne, 1720, Franckesche Stiftungen zu Halle, Foto: Reinhard Hentze, Halle

Am 13. Juli 1698 legte August Hermann Francke, Pastor in Glaucha vor Halle und Professor der neu gegründeten Universität, den Grundstein für ein Waisenhaus.

Am 19. September 1698 erteilte der Kurfürst von Brandenburg, der spätere König Friedrich I. in Preußen, dafür ein Privileg, das die Gründungsurkunde der Stiftungen ist.

In den folgenden 30 Jahren von Franckes Wirken entstanden hinter dem Waisenhaus um einen langen Innenhof hohe Gebäude, darunter das heute größte Fachwerkwohngebäude Europas. Dieser Komplex, den Francke als eine "Stadt Gottes" verstand, umfasste Waisenanstalten, deutsche und lateinische Schulen, das Königliche Pädagogium, Krankenanstalt und Frauenzimmerstift, Bibliothek und Naturalienkammer, Buchhandlung und Buchdruckerei, Apotheke und Medikamentenexpedition, das Backhaus und das Brauhaus, Meiereigebäude und Gärten, Felder und Plantagen. Als Francke 1727 starb, wurden etwa 2500 junge Leute in den Glauchaer Anstalten versorgt, betreut und unterrichtet. Im Vertrauen auf Gott schuf Francke dank vieler Spenden und später aus Einnahmen seiner Wirtschaftsbetriebe ein einzigartiges sozialpädagogisches Lebenswerk, das Vorbild für viele protestantische Einrichtungen und Waisenhäuser wurde.

Die Stiftungen retteten sich als eigenständige Bildungseinrichtung zunächst über alle Zeitwechsel hinweg. Am 20. September 1946 wurden sie durch eine Verordnung des Präsidiums der Provinz Sachsen in ihrer Rechtspersönlichkeit aufgehoben und in die Martin-Luther-Universität Halle eingegliedert. In den nächsten Jahren war das einmalige Denkmalensemble weitgehend dem Verfall überlassen.

Im Juni 1990 konnte mit einem Spendenaufruf zur Rettung der Stiftungen ein Freundeskreis gegründet werden, der heute über 1200 Mitglieder zählt. Mit Hilfe des Landes Sachsen-Anhalt wurde die rechtliche Selbständigkeit der Stiftungen 1991 wiederhergestellt und ihr Weiterbestehen als Stiftung öffentlichen Rechts gesichert. Nachdem im Sommer 1992 auf der Grundlage einer inzwischen erarbeiteten neuen Satzung die Gremien der Stiftungen konstituiert worden waren und eine kleine Geschäftsstelle ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurden unter dem ehrenamtlichen Direktor, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Paul Raabe, bis zu seiner Pensionierung 1992 Direktor der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, die Planungen zur baulichen und inhaltlichen Wiederherstellung der Stiftungen in Angriff genommen. Prof. Raabe übergab sein Amt als Direktor im Oktober 2000 dem seit mehreren Jahren durch seine berufliche Tätigkeit mit den Stiftungen verbundenen Erziehungswissenschaftler Prof. Jan-Hendrik Olbertz.

Die barocke Kulissenbibliothek der Franckeschen Stiftungen (1726-28 erbaut), Franckesche Stiftungen zu Halle, Foto: Werner Zieg, HalleDie Unterstützung durch die Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums - ab 1998 den Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien -, das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, auch durch die Stadt Halle und die Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, der Volkswagen-Stiftung und weiterer Stifter ermöglichen schon seit 1992 die Sanierung und Restaurierung der maroden historischen Gebäude. Als fast komplett erhaltenes, vorwiegend aus Fachwerk bestehendes Bauensemble aus dem frühen 18. Jahrhundert stellen sie ein einzigartiges Kulturdenkmal dar, das inzwischen in die deutsche Vorschlagsliste für das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen wurde.

Als die Stiftungen 1992 wiederhergestellt wurden, war es vorrangige Aufgabe des Direktoriums, ein Nutzungskonzept zu erarbeiten, in dem die künftigen Nutzer der Gebäude nach der Sanierung festgelegt wurden. Großen Wert legte man darauf, dass die historisch eng mit den Stiftungen verbundenen Disziplinen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hier ihre Heimat finden, so der Fachbereich Erziehungswissenschaften und die Theologische Fakultät.

Mit großem Aufwand wurden unterschiedliche Gebäude auf dem Gelände für diese universitären Einrichtungen saniert. Die vier Schulen auf dem Gelände sind nicht mehr Stiftungsschulen wie früher, sie wurden bereits zu DDR-Zeiten verstaatlicht. Heute befinden sich eine Grundschule und eine Sekundarschule in städtischer Trägerschaft sowie eine Grundschule Maria Montessori auf dem Gelände. Hinzu kommt das Landesgymnasium Latina, eine neunklassige Oberschule mit 960 Schülerinnen und Schülern unter Einschluss eines Musikzweigs. Im März dieses Jahres werden zwei Häuser des "Langen Gebäudes" als "Musikhaus" mit Wohn- und Übungsräumen für Schüler und Schülerinnen des Musikzweigs eingeweiht. Der Musikpflege dient von alters her auch der Stadtsingechor, dem Knaben der Grundschule, der Sekundarschule und vornehmlich der Latina angehören.

Neben den Bildungseinrichtungen befinden sich auf dem Gelände drei Kindertagesstätten, die seit 1998 in die Trägerschaft der Stiftungen übergegangen sind. Außerdem engagiert sich in den ehemaligen, inzwischen sanierten Wirtschaftsgebäuden der Stiftungen eine Jugendwerkstatt "Bauhof" für die Beschäftigung, Qualifizierung und Ausbildung von arbeitslosen Jugendlichen.

Die Jugendwerkstatt Bauhof, vom evangelischen Kirchenkreis getragen, ist ein Beispiel für den Versuch, an den ursprünglich christlichen, inzwischen säkularisierten Geist der Stiftungen wieder anzuknüpfen. Darüber hinaus befinden sich auf dem Stiftungsgelände das sanierte Evangelische Konvikt, das 1994 ins Leben gerufene Canstein Bibelzentrum sowie die St. Georgs-Kapelle und daneben die russisch-orthodoxe Hauskirche des Kreuzes und der Auferstehung Christi.

Die Stiftungen werden seit deren Wiederherstellung als überregionale Kultureinrichtung durch den Bund gefördert. Als erste große Baumaßnahme wurde das Historische Waisenhaus mit Freylinghausen-Saal einerseits als "Museum" der Stiftungen, andererseits als "Kulturzentrum" restauriert und eingerichtet. Hier werden die Sammlungen der Stiftungen in Form von Dauerausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert. Das ist das Francke-Kabinett und das Canstein Bibelkabinett, das die Geschichte der ältesten Bibelanstalt der Welt dokumentiert. In der Mansarde befindet sich die Kunst- und Naturalienkammer, der älteste erhaltene Museumsraum Deutschlands. In dem Freylinghausen-Saal, dem ehemaligen Bet- und Singesaal August Hermann Franckes, finden hochkarätige Konzerte statt. In der anschließenden Tagungsebene werden Tagungen und Vortragsreihen durchgeführt. Es finden jährlich wechselnde Ausstellungen statt, in denen bestimmte Aspekte der Stiftungsgeschichte in einen modernen Zusammenhang gestellt werden. Nachdem im Goethe-Jahr das Thema "Separatisten, Pietisten, Herrnhuter" in den Mittelpunkt gestellt wurde, fand im vergangenen Jahr eine Ausstellung zum Thema "Kind sein kein Kinderspiel. Das Jahrhundert des Kindes im Rückblick" eine gute Resonanz. In diesem Jahr greifen die Stiftungen in einer Ausstellung zur 300-jährigen Geschichte der engen Beziehungen zwischen den Franckeschen Stiftungen und dem preußischen Staat das 300-jährige Krönungsjubiläum des Preußenkönigs auf.

Im vergangenen Jahr wurde das Waisenhaus um eine neue Einrichtung, das "Krokoseum", erweitert. In einem Aktionsraum, der vielfältige Betätigungen erlaubt, stehen den Kindern u.a. eine Bibliothek mit Leseecke, ein Bastelraum, eine Kinderküche sowie ein Computerraum zur Verfügung. Mit seinen an der Geschichte des Ortes angelehnten museumspädagogischen Angeboten ist das Krokoseum innerhalb kurzer Zeit zu einem beliebten Ort für Kinder in Halle geworden.

G.A. Gründler, Blick in den Hof der Franckeschen Stiftungen um 1750, Kupferstich, Foto: Franckesche Stiftungen zu Halle

Auch mit Hilfe des Bundes wurde die Historische Bibliothek (Haus 22) mit dem historischen Nebengebäude, der einstigen Cansteinschen Bibelanstalt (Haus 23/24), zu einem "Studienzentrum August Hermann Francke" als Forschungsstätte zur Geschichte des Pietismus und schulischen Lebens in den Stiftungen ausgebaut und 1998 eingeweiht. Hier wurde die überlieferte barocke Kulissenbibliothek mit ihren Beständen, vorwiegend aus dem 17. und 18. Jahrhundert, in den originalen Regalen wieder eingerichtet. Dank der Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft konnte inzwischen auch eine Handbibliothek aufgebaut werden. Die Sammelschwerpunkte der über 100.000 Bände zählenden Bibliothek sind die Geschichte der Frömmigkeit, speziell des Pietismus, die Schulgeschichte, die Geschichte internationaler kultureller Beziehungen im 18. Jahrhundert.

Zusammen mit dem Stiftungsarchiv mit seinen reichen Beständen aus 300 Jahren Stiftungsarbeit und dem Zentrum für Pietismusforschung der Universität ist hier ein Zentrum für Wissenschaftler entstanden, die in unmittelbarer Nachbarschaft auch das Interdisziplinäre Zentrum für Aufklärungsforschung für ihre Forschungen nutzen können. Dank der Fritz Thyssen Stiftung konnte im vergangenen Jahr ein Stipendienprogramm eingerichtet werden, das es den Stiftungen ermöglicht, Wissenschaftler aus dem In- und Ausland bei Forschungsvorhaben auf der Grundlage der Bestände in den Stiftungen zu unterstützen.

In diesem Rahmen wurden seit der Wiederherstellung der Stiftungen historische Auslandsbeziehungen, die aus der Missionsarbeit der Stiftungen im 18. Jahrhundert hervorgegangen sind, wieder belebt. Kooperationsvereinbarungen wurden mit Partnereinrichtungen in Russland, Amerika, Indien und Ungarn abgeschlossen. Daraus sind unterschiedliche wissenschaftliche Projekte entstanden, die mit der Unterstützung hauptsächlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Erschließung der reichhaltigen Bestände der Stiftungssammlungen führen, so zum Beispiel der größten Sammlung indischer Palmblatthandschriften Europas und weiterer Zeugnisse der indischen Mission, die Anfang des 18. Jahrhunderts von Halle ausgegangen ist. Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Arbeiten sowie der Tagungen, die in den Stiftungen stattfinden, werden im neu gegründeten "Verlag der Franckeschen Stiftungen" im Max Niemeyer Verlag in Tübingen veröffentlicht. Im Verlag der Franckeschen Stiftungen erscheinen auch die Ausstellungskataloge und weitere Schriften der Stiftungen.

Vor der historischen Kulisse haben die Stiftungen über die Jahre ein vielfältiges Kulturprogramm entwickelt, das aus den Traditionen des Ortes heraus den Bezug zur Gegenwart sucht. Neben den großen Ausstellungen finden Vortragsreihen, Tagungen, Konzerte, Feste, Events statt, die inzwischen ihr festes Publikum haben. Jedes Jahr steht ein besonderes Thema im Mittelpunkt, das sich an der von den Stiftungen initiierten Veranstaltungsreihe "Halle an der Saale - Antworten aus der Provinz 2000-2006" orientiert, die eine Gemeinschaftsinitiative eines breiten Spektrums von kulturellen, wissenschaftlichen und sozialen Einrichtungen in Halle darstellt. Das Leitthema war im vergangenen Jahr "Das Kind" und "Kindheit", in diesem Jahr, unter dem Titel "Wissenswert-Glaubwürdig ... nun sag, wie hast du's mit der Religion", die Religiosität im weitesten Sinne.

Dr. Penelope Willard
Geschäftsführerin der Franckeschen Stiftungen zu Halle

AsKI KULTURBERICHTE 1/2001

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