Museum der Brotkultur, Ulm: Vom Pathos des Gebens

Frans Francken, Die Werke der Barmherzigkeit, um 1630, Museum der Brotkultur, Ulm, Sammlung Museum der Brotkultur

„Die Bilderwelt des Frans Francken" lautet der Untertitel der Ausstellung und dies ist auch der Ausgangspunkt, von dem aus – einzig aus den Beständen der Sammlung bestückt – ein Querschnitt durch die Ikonographie der christlichen Kardinaltugend der tätigen Nächstenliebe, der Caritas, vom 15. Jh. bis heute geboten wird.

Frans Francken (1581 – 1642) war einer der führenden Meister im Antwerpen der Gegenreformation. Sein Werk ist bekannt durch die eindrücklichen Darstellungen des Hexensabbats und die überaus figuren- und detailreichen Schilderungen von Kunstkabinetten. Ein Hauptgebiet seiner Kunst sind aber die biblischen Themen, von denen das Museum der Brotkultur gleich drei prächtige Beispiele besitzt. Aufgrund der thematischen Ausrichtung des Hauses sind dies Szenen, die sich in jeweils eigentümlicher Weise auf das Brot, genauer auf die Gabe des Brotes, beziehen: Das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus, die Speisung der Fünftausend und die sieben Werke der Barmherzigkeit nach der Rede Christi vom Jüngsten Gericht im Matthäusevangelium.

Die drei Bilder geben Exempla der Tugend der Caritas bzw. der Untugend des Geizes; sie entfalten, ganz im Sinne der Gegenreformation, ein veritables Tugendtheater des Gebens und Empfangens. Dabei legt jedes Bild einen anderen Akzent auf das Thema. Der geizige Reiche enthält dem armen Lazarus die Liebesgabe vor und kommt dafür in die Hölle. Die ehrenamtlichen Armenmeister der Stadt Antwerpen praktizieren die Werke der Barmherzigkeit (Hungrige speisen, Dürstenden zu Trinken geben, Nackte kleiden, Kranke und Gefangene besuchen, Fremden Obdach gewähren und Tote begraben) und kommen dafür in den Himmel. Die Speisung der Fünftausend transponiert das Thema in eine spirituellere Tonlage. Hier geht es im Bild der wunderbaren Brotvermehrung um den zentralen Aspekt der Brotgabe: die lebenspendende Kraft des Glaubens.

Entsprechend gruppiert die Ausstellung drei Motivkreise um die Franckenschen Gemälde: Am Beispiel des Lazarus-Bildes wird im Katalog die theatralische Bildregie Franckens untersucht und seine doppelte Ikonographie des Essens „in bono" (als Tugend) und „in malo" (als Laster) vorgestellt.

Frans Francken, Die Speisung der Fünftausend, um 1634, Museum der Brotkultur, Ulm, Sammlung Museum der BrotkulturDie Ausstellung entwickelt eher das Gegensatzpaar von „Arm und Reich" und präsentiert seltene Bettlerdarstellungen von Callot, Rembrandt und die beeindruckende flämische Allegorie, wo „Arm und Reich" im Bild des brotverkaufenden Schöffen und des bettelnden Landsknechts zugleich für die Bedrohung des Friedens durch den Krieg stehen.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die Werke der Barmherzigeit. Der Bildtyp ist eine Generation vor Francken von Pieter Brueghel d. Ä. entwickelt worden. Das Brotmuseum besitzt sowohl den Stich „Charitas" aus dem berühmten Brueghelschen Tugendzyklus als auch eine hervorragende Version in Öl nach dem Motiv von seinem Sohn Pieter Brueghel d. J. Die Reihe setzt sich fort mit Drucken von Gerard de Jode, Adriaen Collaert, Philipp Galle, Philippe le Bas und Gemälden nach Droochsloot und Vinckboons. Wie sich zeigt, ist das Thema aufs Engste mit der Entwicklung der städtischen Sozialfürsorge im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit verbunden. Diese wurde in steigendem Maße durch bürgerliche Stiftungen besorgt (bevor seit dem 18. Jh. der Staat diese Aufgabe übernahm). Deren Funktionäre, die sogenannten „Armenmeister", sind auch die Exponenten der Bilder, die von den Stiftungen als Formen der Selbstvergewisserung und Repräsentation für die Amtsräume in Auftrag gegeben wurden.

Die „Speisung der Fünftausend" gibt Anlass danach zu fragen, wie sich der spirituelle Gehalt der Vorstellung einer wunderbaren Brotvermehrung seit den Zeiten der Aufklärung entwickelt hat? Die Möglichkeiten liegen zwischen den Extremen einer Vision der realen Besiegung des Hungers in der Welt (z.B. durch Organisationen wie „Brot für die Welt" oder die Unterorganisation der Vereinten Nationen für Landwirtschaft und Ernährung „FAO") und – frei nach Jacques Derrida – der Utopie einer Kunst als wundersamer Möglichkeit der eigentlich immer „unmöglichen Gabe" (dargestellt in Werken von Maurice Denis „Speisung der Fünftausend" um 1920, Ottmar Hörl „Die Speisung der Fünftausend (Brot und Fisch)" 1999 oder Katharina Fritsch „Bettlerhand", 2007).

Dr. Oliver Seifert,
Kurator der Sonderausstellung


Vom Pathos des Gebens – Die Bilderwelt des Frans Francken

Ulm, Museum der Brotkultur

Sonderausstellung 10. Juni bis 1. November 2015

täglich geöffnet

AsKI KULTUR lebendig 2/2015

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