Montessori - Lehrmaterialien, Möbel und Architektur, 1913-1935

Bauhaus-Archiv - Museum für Gestaltung

Mittagessen im Kinderhaus Altona, Aufnahme ca. 1928, © Foto: Ausstellungskatalog

Eine Ausstellung im Bauhaus-Archiv, Berlin

Die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870-1952) zählt zu den herausragenden Erzieherpersönlichkeiten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts endgültig mit der Tradition brachen, Kindheit lediglich als ein Vorstadium des Erwachsenendaseins anzusehen, auf das hin ein Kind erzogen werden müsse. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse, sah sie die Aufgabe von Erziehung darin, die eigenständige Entwicklung des Kindes anzuerkennen und konsequent zu fördern. Der Wille kleiner Kinder zur Selbstständigkeit, ihr Wunsch und die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen, anstatt sich bedienen zu lassen, aus eigenem Antrieb und selbstbestimmt zu lernen, anstatt belehrt zu werden, wurde zur Richtschnur einer neuen Erziehungsmethode, die dem Prinzip folgt, "Hilf mir, es selbst zu tun". Eine zentrale Rolle spielen in der Montessori-Pädagogik dabei die auf empirischer Forschung basierenden Lehrmaterialien, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Stufen kindlichen Lernens abgestimmt sind.

Der erste Montessori-Kindergarten ("casa dei bambini") wurde 1907 in einem römischen Armenviertel errichtet. In Deutschland entstand das erste öffentliche Kinderhaus 1919 in Berlin-Lankwitz. Hier, wie in allen anderen Montessori-Einrichtungen, die innerhalb weniger Jahre in ganz Westeuropa, den USA, Indien und weiteren Ländern ins Leben gerufen wurden, spielte auch eine bis ins Detail entwickelte kindgerechte Einrichtung - Maria Montessori nannte sie die "vorbereitete Umgebung" - eine wichtige Rolle. Im so genannten Kinderhaus standen den Kindern auch die von ihr entwickelten Lehrmaterialien zur Verfügung, die sie unter Lizenz in vielen Ländern der Erde herstellen ließ.

Der "alleinberechtigte" Hersteller der Montessori-Lehrmaterialien in Deutschland war die Firma "P. Johannes Müller - Werkstätten für Schuleinrichtung", die ihren Sitz in Berlin hatte. Dort war eine lebendige reformpädagogische Bewegung aktiv, mit der Müller in enger Verbindung stand. Auf der berühmten Werkbundausstellung 1914 in Köln präsentierte er erstmals ein vollständig eingerichtetes Muster-Kinderhaus: einen Raum für Kinder, der mit Mobiliar und Haushaltsutensilien in Kindergröße ausgestattet war und in dem die Lehrmaterialien griffbereit zur freien Wahl der Kinder dargeboten wurden. In der Folgezeit, insbesondere während der Weimarer Republik, war die Geschichte der aufstrebenden Montessori-Bewegung in Deutschland auch mit der des Herstellers der Lehrmaterialien verknüpft - so lange, bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Sie bekämpften die Montessori-Pädagogik und verboten sie 1935 endgültig. Die aus dem Nachlass der Berliner Herstellerfirma noch vorhandenen Lehrmaterialien - aus der Zeit vor der Zerschlagung der Montessori-Bewegung in Deutschland - bilden die Grundlage der Ausstellung im Bauhaus-Archiv (12. Juni bis 2. September 2002).

Verschlussrahmen, mit dem Kinder lernen, Kleider und Schuhe zu öffnen und zu schließen, Hersteller: P. Johannes Müller, um 1923, © Foto: Ausstellungskatalog

Maria Montessori hat sich intensiv mit den jeweiligen Produzenten der Lehrmittel auseinandergesetzt, um eine attraktive Farbgebung und handwerklich sorgfältigste Bearbeitung aller Details zu erreichen. Dies hatte einen Qualitätsstandard zur Folge, der vom heutigen Montessori-Lehrmaterial nicht mehr erreicht wird. An dem historischen Lehrmaterial zeigt sich auch die Bedeutung, die einer spezifischen ästhetischen und stofflichen Qualität der Gegenstände, mit denen ein Kind Umgang hat, beigemessen wurde.

Die Exponate - Materialien zur Entwicklung der Sinne, Sprachmaterial und mathematisches Material - werden in der Ausstellung von historischen Fotos aus der Anfangszeit der Montessori-Bewegung in Deutschland, insbesondere Berlin (1919-1935 und kurz nach dem 2. Weltkrieg), Österreich (Ende 20er Jahre) und den USA (1912) begleitet. Sie dokumentieren, wie sich Kinder in den seinerzeit modernsten Erziehungs-Einrichtungen mit Montessori-Lehrmaterial beschäftigen, das noch heute weitgehend Gültigkeit hat. Zugleich machen die Bilder dem Betrachter auch seinen Gebrauch verständlich. In der Ausstellung werden aber auch andere Aspekte der "ganzheitlich" ausgerichteten Montessori-Pädagogik mit ebenfalls eindrucksvollen, zumeist historischen Aufnahmen und prägnanten Erläuterungstexten dargestellt. Dazu gehören exemplarische Architektur-Beispiele von Kinderhäusern aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg (z. B. von Gustav Oelsner in Altona oder Franz Singer in Wien), Dokumente einer vorbildlichen Ausstattung von Kinderhäusern mit leichtem, beweglichem Mobiliar sowie ein Ausblick auf die heutige Anwendung von Montessori-Prinzipien in integrierten und weiterführenden Schulen durch Architekturbeispiele aus Ingolstadt (Günter Behnisch) und Amsterdam (Herman Hertzberger).

Die Montessori-Ausstellung wird nach ihrem Berliner Aufenthalt das 1998 eröffnete Schulmöbel-Museum der Firma VS (Vereinigte Spezialmöbelfabriken), deren Berliner Gründungsfirma die Firma P. Johannes Müller war, in Tauberbischofsheim erweitern. Dieses Museum dokumentiert die internationale Entwicklung und Reform der Schuleinrichtung im 20. Jahrhundert.

Romana Schneider
freie Architekturhistorikerin, Berlin und Kuratorin der
Ausstellung "Montessori. Lehrmaterial, Möbel und Architektur, 1913-1935"


Der Katalog (deutsch/englisch) folgt in Bild und Text der Konzeption der Ausstellung. Er enthält drei Aufsätze zu den historisch-pädagogischen Zusammenhängen sowie eine Biographie von Maria Montessori, Literaturhinweise und Kontaktadressen:
Thomas Müller und Romana Schneider (Hrsg.), Montessori, Lehrmaterialien, Möbel und Architektur / Teaching Materials, Furniture and Architecture, 1913-1935, Prestel-Verlag, München, 160 Seiten, ca. 260 Abbildungen, Erscheinungstermin: Ende April 2002.

AsKI KULTURBERICHTE 1/2002

.

xxnoxx_zaehler