Mit Milchbrei und Rute - Familie, Schule und Bildung in der Reformationszeit. Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum schlägt Brücke zur aktuellen PISA-Studie

Bernhard Strigel, <Leseszene> aus dem Mindelheimer Altar, um 1505/06, © Foto: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Familie, Schule und Bildung sind heute zentrale Schlagworte der öffentlichen Diskussion. In allen Medien werden die Ergebnisse der PISA-Studie diskutiert.

Die Vorstellung von der angeblich besonderen Qualität der Bildung in Deutschland ist durch PISA nachhaltig erschüttert worden. Sinn und Zweck von Bildung und Ausbildung stehen zur Debatte: Ihr Nutzen soll an praktischen Erfolgen ablesbar werden. 

Dies ist heute nicht anders als vor fünfhundert Jahren, in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur frühen Neuzeit. Schon damals wurde der Ruf nach einer praxisorientierten Ausbildung laut. Die bis dahin gültigen Erziehungs- und Bildungsinhalte vermochten den Veränderungen der sozialen Standards und der kulturellen Wertmaßstäbe nicht mehr zu genügen. Die Antworten auf diese Herausforderung gleichen den Lösungsansätzen von heute frappierend: Die Ausbildung sollte von überflüssig scheinendem Ballast befreit werden und verstärkt auf einen unmittelbaren gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen ausgerichtet sein. Aufgabe des Unterrichts wurde die praktische Vorbereitung auf die spätere berufliche Tätigkeit.

Die in der Mittelalterhalle des Germanischen Nationalmuseums präsentierte Ausstellung "Mit Milchbrei und Rute - Familie, Schule und Bildung in der Reformationszeit" (17. November 2005 bis 5. März 2006) gibt Einblick in einen der tiefgreifendsten Umbrüche in der Geschichte unseres Erziehungs- und Bildungswesens. In dessen Verlauf hat sich die Bedeutung von Familie und Schule einschneidend und nachhaltig verändert. Humanisten und Reformatoren forderten die Erneuerung und Verbesserung von Bildung und Erziehung, die als Voraussetzung für eigenständiges Denken und Handeln galten. Die in der Ausstellung versammelten Bilder und schriftlichen Quellen verdeutlichen den hohen Wert, den man der Bildung in der Reformationszeit beimaß. Gemälde, Skulpturen, Graphiken und Alltagsobjekte treten in Dialog mit den wichtigsten Schul und Erziehungsbüchern aus der Zeit zwischen 1480 und 1530. Das Spektrum reicht von Tischzuchten und Sittenlehren der führenden Reformatoren über Schulbücher des klassischen Lateinunterrichts und die neuen Lehrmittel der Deutsch- und Rechenschulen bis zu den ersten Schulbüchern über Musik- und Instrumentenkunde sowie Geographie.

Den Anstoß zur Ausstellung gab ein um 1480 entstandenes, bislang verschollen geglaubtes Gemälde mit der Darstellung einer Heiligen Familie. Erst kürzlich konnte es mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung erworben werden. Das scheinbar nebensächliche Detail zweier Knaben, die sich gegenseitig das Alphabet beibringen, in der linken unteren Ecke des Bildes wurde zum Ausgangspunkt einer vielschichtigen Spurensuche. Auf der Basis der reichen Sammlungen des Germanischen Nationalmuseums wurde aus dieser Spurensuche ein aufregender kulturgeschichtlicher Spaziergang mit vielen Bezügen zur gegenwärtigen Diskussion.

Ausstellung und Publikation gehen der "Bildungsrevolution" in der Reformationszeit aus dem Blickwinkel der Kunst-, Literatur- und Pädagogikgeschichte nach und schlagen mit einem Beitrag zum Lernen in den Zeiten von PISA die Brücke zur Gegenwart. Ermöglicht wurde diese fächerübergreifende Perspektive durch die Kooperation mit Spezialisten der Humboldt-Universität Berlin, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel.

Dass die neuen Ressourcen in den Köpfen unserer Kinder heranwachsen, ist eine Binsenweisheit. Sie verpflichtet nicht nur zur Vermittlung von elementarem, praktisch anwendbarem Wissen, wie es durch Erhebungen wie die PISA-Studie international abgefragt wird, sondern auch zu neuem Nachdenken über das gegenwärtige Ansehen von Bildung in Gesellschaft und Politik. Die Ausstellung führt nicht nur die Bedeutung der kulturgeschichtlichen Sammlungen des Germanischen Nationalmuseums vor Augen. Sie unterstreicht im Hinblick auf die gegenwärtige Bildungsdebatte auch die Notwendigkeit der Bewahrung und Erforschung unseres kulturellen Erbes.

Ausstellung und Begleitpublikation wollen deshalb nicht nur zu einer kulturgeschichtlich breiteren Beschäftigung mit den historischen Grundlagen von Erziehung und Bildung anregen, sondern auch einen Beitrag zur aktuellen Bildungsdiskussion leisten. Denn Vergangenheit wird in der Gegenwart nicht nur stets neu erschaffen, das Verständnis der Geschichte ist auch eine unverzichtbare Voraussetzung zur Orientierung in der Gegenwart. Die Ausstellung wurde unter Mitwirkung des Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrums der Museen in Nürnberg (KPZ) entwickelt und wird unterstützt durch die Unternehmensfamilie Müller Medien und die F. A. Brockhaus AG.

Daniel Hess

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen von Daniel Hess, Max Liedtke, Manfred Prenzel und Werner Röcke

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 3/2005

.

xxnoxx_zaehler