Max-Reger-Institut, Karlsruhe: Ausstellung und Interdisziplinäre Tagung zu Max Regers Liedern und Chören

Adalbert Wimmenauer (1869–1914), Anna Erler-Schnaudt, Ölgemälde, Max-Reger-Institut, Karlsruhe

Max Reger – ein Liederkomponist? Ein Liederkomponist von Profil gar? Dies ist eine Vorstellung, die auch Musikkenner bislang kaum nachvollziehen können.

Der Grund ist einfach – von seinen rund 300 Klavierliedern wird nur ein kleiner Prozentsatz aufgeführt oder eingespielt, und gerade im deutschen Konzertleben ist Regers Liedschaffen eine Terra incognita. Dies liegt an Konzertveranstaltern und Interpreten gleichermaßen: Regers Musik ist durchaus zu Recht bekannt für seine interpretatorischen Tücken – viel weniger für das dankbare musikalische Erlebnis.

Als Meister der Modulation führte Reger das Lied in der Folge Hugo Wolfs und anderer weit ins 20. Jahrhundert und wird so ab einem gewissen Zeitpunkt fast Vorbild für seinen viel berühmteren Zeitgenossen Richard Strauss. Regers sensualistischer Umgang mit dem zu vertonenden Wort trug äußerst vielfältige Früchte, vom Stimmungsbild über nahezu expressionistische Ausbrüche bis hin zum quasi „vertonten Witz".

Im Herbst 2015 werden sich mehrere Veranstaltungen des Max-Reger-Instituts auf Regers Vokalschaffen fokussieren, aus gleich mehrfachem Anlass. Zum einen wird im Jahr 2015 die durch die Fachpresse als „epochal" bezeichnete Reger-Werkausgabe, die „nicht nur eine neue Ära im Umgang mit dem Schaffen dieses Komponisten", sondern auch ein „neues Zeitalter der Musikedition schlechthin eröffnet", mit der Edition der Lieder und Chöre beginnen, nachdem zum 1. Juni der abschließende siebte Band von Regers Orgelwerken vorliegen soll. Zum anderen hat das Max-Reger-Institut mit dem Erwerb der Manuskripte der frühen Liedopera aus dem Archiv des Verlages Schott (siehe den vorangehenden Beitrag von Stefan König) bedeutende Neuzugänge im Archivbestand zu verzeichnen, die nach Restaurierung der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen. Die Autographensammlung des Max-Reger-Instituts ist mit rund einem Drittel aller derzeit bekannten Musikhandschriften die weltweit größte und vielfältigste, sie umfasst vom ersten Entwurf bis zur letzten Korrekturfahne alle Schaffensphasen, sie enthält Originalfassungen der Werke ebenso wie eigenhändige Orchestrierungen; selbst Bearbeitungen von Regers Liedern für Harmonium, angefertigt von dessen Vater, gehören zu den Beständen.

Max Reger, ‘Glückes genug‘  Op. 37 Nr. 3 (Juni/Juli 1899), Max Reger-Institut, KarlsruheAusstellung „Neue Fülle"

Die Ausstellung „Neue Fülle" (nach Regers Lied „Neue Fülle" op. 104 Nr. 1 auf einen Text Stefan Zweigs) wird die Neuerwerbungen mit den bereits länger im Max-Reger-Institut vorhandenen Schätzen verbinden, die Regers Vokalschaffen in großer Vielfalt visuell erlebbar machen: Neben Reinschriften, Entwürfen und Erstdrucken der Lieder erhellen Fotos, Gedichtbände, Briefe und andere Dokumente Regers engen Kontakt zu zahlreichen zeitgenössischen Dichtern, die ihm nicht selten ihre Texte schon vor der Veröffentlichung zur Vertonung bereitstellten. Immer wieder bat Reger seine Freunde und Bekannten um Textvorschläge, nur um viele dann unvertont beiseite zu legen, weil sie seinen Bedürfnissen dann doch nicht ganz entsprachen. Die Ausstellung wird begleitet durch ein vielfältiges Rahmenprogramm (10. September bis 28. Oktober 2015).

Tagung „... hinübergetragen durch die Zeit?"

Um Kenntnislücken auch in der Forschung abzubauen, wird eine interdisziplinäre wissenschaftliche Tagung mit dem Titel „...hinübergetragen durch die Zeit?" zwei volle Tage lang Regers Liedschaffen aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten (23.–25. September 2015). In Max Regers Vertonungen, so schrieb Stefan Zweig in seinen »Erinnerungen eines Europäers« (1944), höre er die eigenen, von ihm selbst „längst vergessenen und verworfenen Verse durch die brüderliche Kunst eines Meister hinübertragen durch die Zeit". In insgesamt achtzehn Vorträgen und einem Lecture-Recital sowie einem Liederabend soll in der Tagung erkundet werden, was Regers Liedschaffen auch dem Heutigen noch zu sagen hat. So wie Landesbibliotheken und selbst literaturwissenschaftliche Fachbibliotheken und -archive die von Reger vertonten Dichter nur selten gesammelt haben, so fern ist heute die damalige symbolistisch-sensualistische Denkweise, die in anderen Ländern mittlerweile wiederentdeckt wird, im deutschsprachigen Raum aber noch der Erkundung harrt. Die Tagung wird sich ästhetischen, entstehungsgeschichtlichen, kompositionstechnischen, editorischen und interpretatorischen Fragen widmen – nicht zuletzt auch mit Blick auf die praktische Weitervermittlung in der Reger-Werkausgabe. Als Referenten konnten u.a. Musikwissenschaftler, Germanisten (auch Vertreter digitaler Editionsprojekte mit Erfahrungen der editorischen Erschließung und digitalen Darstellung von Text), Musikinformatiker, Interpreten und auch ein Neurologe gewonnen werden.

Jürgen Schaarwächter

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2015

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