Max-Reger-Institut / Elsa-Reger-Stiftung, Karlsruhe: Früchte ‘reger‘ Tätigkeit

Publikumspreisträgerinnen des Kammermusikwettbewerbs, v.l.: Xiayi Jiang, Wolfgang Rihm, Reimi Matsuda, © Foto: Saule Tatubae-va

Zum Thema Öffentlichkeitsarbeit stellte der Sprecher der Fachgruppe "Freie Forschungsinstitute in der Gesellschaft für Musikforschung", der Bachforscher Dr. Reinmar Emans, im Juli 2005 fest:

"Das Reger-Institut ist in dieser Hinsicht zum Beispiel 'reger' als andere. Dort versteht man sich nicht nur als streng wissenschaftliches Institut, sondern versucht mit interessanten Programmen auch Besucher ins Haus zu locken." (Fono Forum 07/2005, S. 27).

In der Tat ist das Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung Karlsruhe im Kreis der etwa zwanzig Komponisteninstitute Deutschlands seit seiner Gründung eine Ausnahmeerscheinung. Während die meisten dieser Einrichtungen ihre zentrale Aufgabe darin sahen, die Werke "ihres" allseits verehrten Komponisten in einer wissenschaftlich-kritischen Edition vorzulegen, das Erklingen korrekter, den Willen des Komponisten umsetzender Notenausgaben jedoch anderen überließen, musste das Max-Reger-Institut mehrfache Arbeit leisten: Hier waren von Anfang an neben dem Wissenschaftler auch der Vermittler und nicht zuletzt der Sammler gefragt. Überzeugungsarbeit für einen unbequemen und noch nicht kanonisierten Komponisten, der weder dem Interpreten noch dem Wissenschaftler und schon gar nicht dem Hörer entgegenkommt, musste geleistet und zudem eine Sammlung der Quellen als notwendige Voraussetzung der wissenschaftlichen Erforschung von Grund auf angelegt werden; denn trotz des vielversprechenden Namens "Elsa-Reger-Stiftung" hatte die Witwe des Komponisten ihr bei der Gründung nicht ein einziges Manuskript oder Dokument überlassen. Noch nie in der Geschichte des Instituts haben sich die Erfolge dieser "Regsamkeit" derart gebündelt und optimiert wie im letzten Jahresviertel 2005, von dessen Früchten hier zu berichten ist.

Wettbewerb
Es begann Anfang Oktober 2005 mit dem Europäischen Kammermusikwettbewerb, den das Max-Reger-Institut mit Unterstützung der Landesstiftung Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Musikhochschule Karlsruhe und der Stadt Karlsruhe ausrichtete. Auflage war es für die Wettbewerbsteilnehmer aus europäischen Musikhochschulen, ein Pflichtstück von Reger zu spielen - eine kluge Hürde, sorgte sie doch, wie die Jury einmütig feststellte, für ein außerordentlich hohes Niveau des Wettbewerbs; denn nicht nur mussten die großen Schwierigkeiten Reger' scher Partituren gemeistert werden, auch gewährleistete die intrikate und vielfach polyphone Struktur seiner Kammermusik die Gleichberechtigung der Partner, die beim Ensemblespiel besonders zu bewerten ist.

Nach Wolfgang Rihm, dem Schirmherrn des Wettbewerbs, erfordert das kammermusikalische Zusammenspiel "eine extreme Form des Agierens, es setzt eine ganz besondere Wachheit voraus. Und deswegen ist Kammermusik - und da spreche ich als Komponist - auch die durchgearbeitetste und die am filigransten gestaltete Musik, die möglich ist. Kammermusik ist eine sehr europäische, sehr abendländische Form; es ist eine Form, die das Soziale im Intimen abbildet. Es ist keine Ansprache an eine große Öffentlichkeit, aber beinhaltet die tiefsten und, wie ich finde, ausstrahlendsten Gedanken, die jene Musik, die ich die abendländische nennen möchte, auszusprechen in der Lage war und ist." (Grußwort beim Preisträgerkonzert). Dass den Siegern keine Geldpreise, sondern Konzertauftritte bei verschiedenen deutschen Musikfesten, aber auch in Brasilien und in Schweden geboten wurden, verlieh dieser Art der Vermittlung ihre besondere Nachhaltigkeit; so bleibt zu hoffen, dass sich der Karlsruher Wettbewerb als feste Einrichtung installieren wird.

Ausstellung
Am 18. Oktober 2005 folgte die Eröffnung einer Ausstellung des Max-Reger-Instituts in der Badischen Landesbibliothek. Unter dem Titel: "Wir Komponisten sind doch keine Ware" - Max Reger in der Kinderzeit des Urheberrechts trug sie zum Generalthema Karlsruhes als der Stadt des Rechts bei und lenkte den Blick auf einen Bereich, der viele von uns durchaus noch betrifft - Künstler, Veranstalter, Verleger, aber auch Komponisteninstitute. Max Reger, dessen Lebensdaten fast identisch mit den Eckdaten des deutschen Kaiserreichs sind, hat den Kampf um das Urheberrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts unmittelbar miterlebt: Das vom deutschen Reichstag im Juni 1901 beschlossene Urheberrecht an Werken der Tonkunst und der Literatur sicherte dem Autor das geistige Eigentum an seinem Werk und schuf die Voraussetzung zu seiner sozialen Sicherung; bis es auch im Alltag funktionierte, vergingen allerdings Jahre. Und genau dies erlaubte uns, unter dem Thema mit Freude und Stolz einen Großteil der in unseren zehn ersten Karlsruher Jahren erworbenen Schätze auszustellen, darunter die großen Originalpartituren des Symphonischen Prologs zu einer Tragödie op. 108, der Orgelsuite op. 16, des fragmentarischen Requiem, vieler Bach- und Schubert-Bearbeitungen und anderer Kostbarkeiten; denn speziell die Manuskripte und ihre Odyssee bis in unsere Sammlung sind auf vielfältige Weise mit dem Urheberrecht verknüpft, dessen wichtige Neuregelung von 1901 lautete: "Das Werk (Manuskript) ist nach der Vervielfältigung zurückzugeben, sofern der Verfasser vor Beginn der Vervielfältigung dies sich vorbehält." Hierüber blieb Reger jedoch lange in Unkenntnis, woran die Verleger nicht ganz unschuldig waren, die in ihren Verträgen entsprechende Regelungen mieden oder veraltete Formulare benutzten. Erst seit Mai 1907 forderte der Komponist seine Manuskripte von den Verlagen zurück; die autographen Reinschriften der ersten 100 Werke waren jedoch nicht mehr zurückzuholen und teilten das Schicksal der Verlagshäuser durch die Krisenzeiten zweier Weltkriege. Und selbst nach diesem Zeitpunkt verschenkte Reger seine Manuskripte großzügig an Freunde und Verleger, ein sorgloser Umgang, den seine Witwe Elsa Reger (1871-1951) fortsetzte: Alles andere als eine Hüterin des Erbes, verkaufte sie Manuskripte und - schlimmer noch - riss sie teilweise auseinander; so darf ihre Gründung des Max-Reger-Instituts als reumütiger Versuch gewertet werden, die doppelte Verteilung rückgängig zu machen

Der ganz große Coup
Jene Quellengruppe, die besonders unter dem fehlenden Sammlerinstinkt des Komponisten gelitten hatte, betrifft die erste schriftliche Fixierung seiner Kompositionen - die Entwürfe. Mit ihnen ging Reger geradezu rüde um - er verwendete sie als Packpapier für seine Notensendungen, als Klebestreifen, um große Partituren zusammenzuhalten, oder er warf sie gleich in den Papierkorb. Die allenthalben kolportierte Vermutung, dass er sich nicht in die Werkstatt gucken lassen wollte, lässt sich allerdings kaum halten. Denn wie seine Reinschriften verschenkte er sie später, als ihm der Wert der eigenen Handschrift bewusst geworden war, großzügig und machte sie damit publik: So überließ er z. B. seinem Hamburger Freund Hans von Ohlendorff die Skizzen zu vier großen Werken mit insgesamt 74 beschriebenen Seiten, da dieser nicht genug über Regers in ihnen dokumentierte Gehirntätigkeit staunen konnte.

Max Reger hat vermutlich zu allen Werken - zu groß- wie kleinbesetzten - sogenannte Verlaufsskizzen angefertigt: Flüchtig mit Bleistift notierte Entwürfe halten die musikalische Entwicklung vom ersten Takt in großen zusammenhängenden Abschnitten, oft bis zum Eintritt der Reprise fest. In einer auf wenige Töne pro Takt beschränkten Minimalversion in geringer Stimmenzahl ist diese exzerptartige und stenographisch wirkende Privatnotation, die den Ablauf nur in einzelnen konstitutiven Momenten festhält, für den Kenner vom fertigen Werk aus rückblickend erschließbar und verrät vieles über die konzeptionelle Arbeit und den kreativen Prozess, auch wenn er über die Gedankenarbeit im Vorfeld nichts aussagen kann.

In den Jahrzehnten seines Bestehens war es dem Max-Reger-Institut gelungen, 413 Skizzenseiten zusammenzutragen und eine kleinere Gruppe in öffentlichen Bibliotheken (Staatsbibliothek Berlin, Bayerische Staatsbibliothek und Städtische Bibliothek München) nachzuweisen, so dass bei einer Bestandsaufnahme durch Rainer Cadenbach (Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. 7, Wiesbaden 1988) insgesamt 358 Blätter beschrieben werden konnten. Darüber hinaus war uns eine umfangreiche Sammlung in Kölner Privatbesitz zwar bekannt, doch blieb sie ein unzugängliches Ziel der Begierde, bis sich Ende des Jahres 2005 die Gelegenheit zum ganz großen Coup bot.

Erste Seite der Skizzen zu dem Streichtrio d-Moll op. 141b, © Foto: Max-Reger-Institut, Karlsruhe

Die Kölner Sammlung umfasste sämtliche Werkentwürfe, die der Komponist bis zu seinem Tod vor 90 Jahren aufbewahrt hatte. Sie war 25 Jahre im Besitz seiner Witwe geblieben, bis sie das Konvolut nach einem Hauskonzert spontan dem Komponisten Günter Raphael in die Hand gedrückt hatte - eine erstaunlich großzügige Geste, die nur damit zu begründen ist, dass sich Skizzen Regers nur dem Fachmann erschließen und nicht die Schönheit der farbigen Reinschriften aufweisen. Lange Jahre hütete Raphaels Witwe die Skizzen - ein geheimnisvolles Konvolut, dessen Umfang allein beeindruckte. Nach ihrem Tod entschloss sich ihre Tochter und Alleinerbin zum Verkauf und machte dabei dankenswerterweise die Auflage, die Sammlung nur geschlossen, nicht Werk für Werk oder, schlimmer noch, Blatt für Blatt einer Staatsbibliothek oder einem wissenschaftlichen Archiv anzubieten. Sie übergab das Konvolut dem Stuttgarter Antiquar Dr. Ulrich Drüner, der sich als Musikwissenschaftler und Musiker sofort an das Max-Reger-Institut als Zentrum der Regerforschung wandte. Er gab uns im Einvernehmen mit der Besitzerin ein Jahr, diese harte Nuss des Kaufpreises zu knacken - denn der Wert der Sammlung schlug sich natürlich in einem Preis nieder, den das durch den Erwerb seiner Institutsräume hochverschuldete Max-Reger-Institut unmöglich aufbringen konnte.

Geht die Bedeutung der Sammlung schon aus ihrem Umfang hervor (sie umfasst mit 247 Seiten ungefähr ein Drittel der bisher überhaupt bekannten Skizzen), so ist sie inhaltlich von allerhöchstem Interesse. Sie enthält Entwürfe zu vier großen sinfonischen Werken (Hiller-Variationen op. 100, Violinkonzert op. 101, Sinfonischer Prolog zu einer Tragödie op. 108, Vaterländische Ouvertüre op. 140), zu je drei Kammermusik- und Liederopera sowie zu dem Fragment gebliebenen Requiem, das Reger im Herbst 1914 unter dem Eindruck des Weltkriegs begann und das in musikalisches Neuland weist. Über die Entstehung dieser Werke, über ihre kompositorischen Problemstellungen und Entscheidungen geben die Entwürfe mit vielen Passagen, die nicht in die endgültige Gestalt einflossen, wichtige Erkenntnisse. Hervorzuheben ist, dass viele der Skizzen die bestehende Sammlung des Max-Reger-Instituts sinnvoll ergänzen. Von mehreren Werken besitzt das Institut auch die autographen Reinschriften, so dass hier die verschiedenen schriftlich fixierten Entstehungsphasen einer Komposition zusammenfinden.

In Anbetracht der herausragenden künstlerischen und historischen Bedeutung war die Sicherung dieses Konvoluts von solcher Wichtigkeit, dass sich die Bundesregierung, die Kulturstiftung der Länder und die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu einer Förderung der Kaufsumme von 300.000 EUR in voller Höhe entschlossen, letztere auch in der Einsicht, dass die Sammlung eine geradezu unverzichtbare Voraussetzung für das momentan im Max-Reger-Institut entstehende und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch ein Langfristprojekt geförderte Projekt "Reger-Werk-Verzeichnis" darstellt. Dank dieser großzügigen Unterstützung konnte der Kauf noch Ende Dezember 2005 abgeschlossen werden und der Neuerwerb sozusagen als Paukenschlag in einer Finissage der Ausstellung in der Landesbibliothek am 11. Januar 2006 der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Viele glückliche Umstände haben dazu geführt, dass das Jahr 2005 als "Erntejahr" in die Geschichte des Max-Reger-Instituts eingehen wird: Nimmt man die großzügigen Zuwendungen für den Wettbewerb, für den Manuskriptkauf und für das Langfristprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zusammen, so ergibt sich eine Fördersumme an Drittmitteln von gut 70 Prozent des gesamten Finanzvolumens - ein Anteil, der nur schwer zu überbieten sein wird und für den allen Sponsoren und Zuwendungsgebern an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gedankt sein soll.

Susanne Popp

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 2/2006

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