Laudatio von Daniel Müller-Schott, Stipendiat der Anne-Sophie Mutter Stiftung

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Ministerialdirektorin Frau Dr. Berggreen-Merkel,
sehr geehrter Herr Prof. Hansen,
sehr geehrter Herr Dr. Adlung,

 

ich freue mich, Sie heute sehr herzlich im Bonner Beethoven-Haus begrüßen zu dürfen! Es ist mir eine große Freude und besondere Ehre, die Laudatio auf Anne-Sophie Mutter für ihre Auszeichnung des Maecenas Preises zu halten. Wir bedauern sehr, dass Frau Mutter heute nicht persönlich anwesend sein kann und schicken ihr von hier natürlich die allerbesten Genesungswünsche.

 

Es passiert nicht oft im Leben eines Musikers, dass man Gelegenheit hat, dankbar auf über 10 Jahre Förderung zurück zu blicken. Anhand dieser langjährigen persönlichen Unterstützung, die ich durch Frau Mutter erhalten habe, möchte ich Ihnen gerne einen Einblick geben, welchen Stellenwert und welche Wichtigkeit diese Förderung für einen jungen Musiker auf seinem beruflichen Weg haben kann.

 

Ich kann mich noch gut an die euphorische Reaktion erinnern, als ich im Alter von 16 Jahren die Einladung zum Vorspiel bei Anne-Sophie Mutter erhielt. Das war im Jahr 1992 und Frau Mutter war damals noch Vorsitzende der Rudolph-Eberle-Stiftung in Baden-Württemberg. In meinen jungen Jahren hatte ich schon einige musikalische Erfahrungen sammeln dürfen, war bei Wettbewerben wie dem Bundeswettbewerb ‚Jugend musiziert' und dem Tschaikowsky Wettbewerb für junge Musiker in Moskau ausgezeichnet worden.

 

Trotz dieser Auszeichnungen war meinem Umfeld bewusst, dass ich für den Start einer Solokarriere noch intensivere Unterstützung bräuchte von jemandem, der wirklich jahrelange Bühnenerfahrung als Solist hatte, und mir tiefgreifende Ratschläge geben könnte für meinem weiteren musikalischen Weg.

 

Meine Mutter hatte das große Glück, als Cembalistin des Württembergischen Kammerorchesters mit Anne-Sophie Mutter öfter musizieren zu dürfen, und so war es ursprünglich ihre Idee, sie um ein Vorspiel zu bitten. Bisher kannte ich die große Geigerin nur von Ihren CD und Fernsehaufnahmen - ihren Bach, Mozart und Beethoven hörte ich schon als Kind mit großer Leidenschaft - und mir war bewusst, dass sie nicht nur von Herbert von Karajan über viele Jahre unterstützt und gefördert wurde, sondern vielmehr bereits seit Jahren einen Fixstern der weltweiten Instrumentalkunst darstellte. Die erste Begegnung mit Frau Mutter hatte also eine besondere Spannung, und ich versuchte, mich möglichst intensiv auf mein Musizieren zu konzentrieren und nicht daran zu denken, wer nun in voller Größe persönlich vor mir sitzen würde.

In diesem Vorspiel, das in der Anwaltskanzlei ihres damaligen Mannes Dr. Wunderlich in München stattfand, hatte ich drei Werke aus verschiedenen Epochen vorbereitet -- Werke von Bach, Hindemith und dem französischen Komponisten Eduard Lalo. Als Anne-Sophie Mutter im feuerroten Kostüm den Raum betrat, voller Freude und Temperament, nahm sie mir durch ihre gute Stimmung jede Angst vor dem bevorstehenden Vorspiel. In ihrer herzlichen Art, fragte sie mich direkt nach den Komponisten und welche Sätze ich genau spielen würde. Auch ob alles geklappt hätte mit dem Klaviertransport, wollte sie wissen.


Dazu muss man sagen, dass, in der Anwaltskanzlei leider kein Klavier vorhanden war. Zusammen mit der Pianistin hatten wir deshalb einen eigenen Transport eines YAMAHA Clavinovas, also einem elektrischen Klavier, organisiert. Noch in letzter Minute hatten wir dieses eigenhändig bis nach oben getragen, um es rechtzeitig spielfertig zu machen.

 

Nach dem ich dann aus den Werken von Bach, Hindemith und Lalo gespielt hatte, verließ die Jury - unter ihnen Herr Dr. Wunderlich, Herr Russ und Herr Dr. Späth - den Raum, um sich zu beraten. Danach sprach Frau Mutter alleine mit mir. Bis heute sind mir Ihre sehr offenen und anerkennenden Worte in Erinnerung. Neben den vielen guten Ratschlägen und Ideen, meinte sie auch, dass meine Pianistin, die ja sicher einerseits gut begleiten würde, doch leider an einigen Stellen - Zitat von ihr - 'tierisch geschleppt' hätte.  Natürlich meinte sie damit das Tempo - ich hingegen, hatte zunächst noch den gerade bewältigten Klaviertransport im Gedächtnis....

 

Wie auch immer - auf jeden Fall zeigte diese erste Begegnung, wie wunderbar pragmatisch und kollegial Frau Mutter mir gegenüber eingestellt war. Der Gedanke, dass man als Musiker immer wieder auf Grundlagen achten soll, und nur weiterkommt, wenn man kritikfähig bleibt, war ihr sehr wichtig. Auch wollte sie, dass man schon in jungen Jahren versuchen sollte, mit erfahreneren Kollegen zusammenzuarbeiten, die einem im wahrsten Sinne Geist und Ohren öffnen. Außerdem sollte das Studium neben der Musik, in Bildender Kunst und Literatur gepflegt werden, um den Horizont zu erweitern. All dies wurde mir in diesem Gespräch vermittelt.

 

Als dann eine Woche später die Nachricht kam, dass ich tatsächlich als erster Stipendiat von ihr aufgenommen wurde, war ich überwältigt.

Als erster wichtiger Schritt der Förderung wurde von der Stiftung überlegt, bei welchen großen Cellisten ich studieren könnte. Verschiedene Musiker wurden von Frau Mutter persönlich kontaktiert und der schwedische Celloprofessor Frans Helmerson erklärte sich bereit, mir regelmässig Unterricht zu geben. Anne-Sophie Mutter verfolgte dann die über ein Jahr verlaufende fruchtbare Zusammenarbeit -- alle paar Wochen wurden mir von der Stiftung Flug und Hotel nach Köln gebucht, sowie alle Unterrichtsstunden großzügig finanziert. Ich habe dadurch unschätzbare Hilfen für mein Spiel bekommen. Vor allem die Freiheit, nur an Musik denken zu dürfen ohne die Last vieler Schwierigkeiten in der Finanzierung und der Koordination des Unterrichts, gaben mir nicht nur als Musiker, sondern auch in meiner persönlichen Entwicklung eine große Sicherheit. Plötzlich wurden neue Fenster der Inspiration im Leben geöffnet.

 

Als nach einem Jahr der Vorschlag von Frau Mutter kam, ich solle doch zusätzlich beim 'Cellopapst' schlechthin, dem großen russischen Cellisten Mstislaw Rostropovich studieren, war ich wirklich sprachlos. Tatsächlich durfte ich zwei Jahre beim Meister lernen, und das an so ungewöhnlichen Orten wie Evian Frankreich, Salzau Schleswig-Holstein, Stockholm Schweden oder beim Rheingau Festival auf Schloß Johannisberg.

Wo immer Rostropovich spielte oder dirigierte, und wenn er die Zeit zum Unterrichten fand, konnte ich ihn besuchen, seine Proben und Konzerte hören und ihm vorspielen. Gerade für die Vertiefung der Kompositionen von Prokofjew und Schostakowitsch, beide zu Lebzeiten enge Freunde von Rostropowitsch, waren diese Stunden des Zuhörens und Lernens einmalige Erlebnisse für mich. Ich hatte das Gefühl, über die Hilfe von Frau Mutter tatsächlich an lebendiger Musikgeschichte teilhaben zu dürfen. Plötzlich erwachten die schon längst verstorbenen Komponistenpersönlichkeiten zu unmittelbarem Leben! All die Erzählungen von Rostropowitsch über die großen Komponistenfreunde in seiner Zeit im kommunistischen Rußland werde ich immer im Gedächtnis tragen und sicher auch in Zukunft an die nächste Cellistengeneration weitergeben.

 

Als im Jahr 1997 die offizielle Gründung des Freundeskreises der Anne-Sophie Mutter Stiftung e.V. bekannt gegeben wurde, sollte ein weiteres wichtiges Kapitel für die Förderung in meinem Musikerleben beginnen.

 

Die Frage, das richtige Instrument zu finden, um in großen Sälen den Sinfonieorchestern akustisch Stand zu halten, wurde immer dringlicher. Kurzerhand wurde ich von Anne-Sophie Mutter nach Paris zu dem berühmten Geigen- und Cellobauer Etienne Vatelot eingeladen, um eines seiner neuen Celli auszuprobieren. Bei dieser Gelegenheit, konnte ich Frau Mutter im Salle Pleyel mit dem Sibelius Konzert zusammen mit dem Orchestre de Paris unter Semyon Bychkov erleben - ein grandioses und unvergessliches Erlebnis! Dazwischen trafen wir uns in der Werkstatt von Herrn Vatelot. Sein Cello hatte er schon einige Jahre zuvor fertig gestellt, und es schien wie geschaffen für einen großen Saal, voll und reich im Ton, ausgestattet mit großer Strahlkraft. Dieses wunderbare Instrument wurde mir als großzügige Leihgabe der Stiftung zur Verfügung gestellt, und sollte fortan mein musikalischer Begleiter für die nächsten Jahre werden.

 

Nachdem mir das Cello vertrauter war, lud mich Frau Mutter ein, eine Bach Cellosuite zu spielen. Sie wollte unbedingt hören, wie ich mit dem neuen musikalischen Lebenspartner zu Recht kommen würde. Und offenbar hatte sie bereits eine spezielle Idee im Kopf, als ich ihr die Bach Suite vorspielte. Denn nur wenige Tage danach kam ein Fax, ob ich - Zitat von ihr - 'Zeit und Lust' hätte, mit ihr zusammen in der Carnegie Hall in New York zu spielen. Wie Sie sich denken können, brauchte es relativ wenig Zeit, um auf diese Nachricht positiv zu antworten....

 

Diese erste gemeinsame Tournee mit ihr im Jahr 2000 sollte tatsächlich etwas Besonderes werden, das Motto 'Back to the future' ‚'Zurück in die Zukunft', große Werke der Geigenliteratur beinhalten, unter anderem Werke, die Anne-Sophie Mutter gewidmet waren, wie die Konzerte von Rihm, Dutilleux oder Penderecki.

 

Und auf dem Programm sollte das wunderbar introspektive Trio von Dmitri Schostakowitsch stehen. Die Tournee mit ihr und ihrem langjährigen Klavierpartner Lambert Orkis begann in New York, führte mich mit meinen jungen 23 Jahren zum ersten Mal nach Los Angeles, San Francisco, London, Frankfurt und Stuttgart. Nun war für mich Gelegenheit, von den Jahren des Lernens, etwas unmittelbar auf der Bühne zurückzugeben. Mich erneut voll in die Musik zu versenken und die Chance zu nutzen, ausgestattet mit dem neuen Instrument, mich einem großen Publikum vorzustellen.

 

Dass alle Konzerte so positiv verliefen, war vor allem auf das Vertrauen, das ich von Frau Mutter erhielt, zurück zu führen. In besonderer Erinnerung ist mir nach dem Konzert in New York die Begegnung mit dem großen Geiger Isaac Stern, der mir mit Freude und Anerkennung für Anne-Sophie Mutter vermittelte, dass auch für ihn die Förderung junger Musiker geradezu Lebenselixier war. Etwas, dass ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet und ihn neu inspiriert hat.

 

Dass ich in den letzten 10 Jahren etliche wunderbare Konzerttourneen dieser Art mit Anne-Sophie Mutter erleben durfte, Trios von Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Ravel oder das Doppelkonzert von Johannes Brahms spielen und aufnehmen konnte, dafür bin ich unendlich dankbar. Mit Musikern wie Maestro Kurt Masur oder großen Komponisten unserer Zeit wie André Previn oder Krzistof Penderecki arbeiten zu dürfen, ist alles Teil ihres Einsatzes. Anne-Sophie Mutter trägt den festen Glauben Ihres langjährigen Schweizer Mäzens Paul Sacher in sich, dass zeitgenössische Musik gehört und gefördert werden muss. Für Ihre Stipendiaten vergibt sie Kompositionsaufträge und ermutigt sie, komplizierteste moderne Partituren zu studieren, und diese auch in die Konzertprogramme aufzunehmen.

 

Die Großzügigkeit ihrer Förderung und der Glaube daran, dass man auch als junger Musiker eine Geschichte in der Musik zu erzählen hat, haben mich tief beeinflusst. Ihre extrem hohe Anforderung an Professionalität auf der Bühne, aber auch ihre Spontanität und Lockerheit sind unvergleichlich. Besonders bei Letzerem erinnere ich mich noch intensiv an ein Konzert beim Festival in Mecklenburg-Vorpommern: Draußen regnete es in Strömen, und während wir das Brahms Doppel-Konzert spielten, tropfte der Regen unaufhörlich von einer undichten Stelle an der Decke, direkt auf mein Cello. Da ich im Sitzen schlecht ausweichen konnte, hatte Frau Mutter die spontane Idee, mit ihrem Geigentuch in ihren Spielpausen mein Cello abzuwischen! Noch heute bin ich dankbar, dass durch ihren Einsatz der Lack meines Instruments gerettet wurde....

Anne-Sophie Mutters Ideale, ihre Notwendigkeit und ihr nie ermüdender Wille, gerade in jetzt wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die Kultur auf höchstem Niveau zu fördern, sind einmalig. Ihr großes soziales Engagement, mit ihren Konzerten einem rumänischen Waisenhaus oder Kindern in Not zu helfen, zeigen, dass es für sie eine Selbstverständlichkeit ist, von ihrem Lebensglück etwas zurück zu geben.

 

Der große Romantiker Robert Schumann hat einmal gesagt: Die Aufgabe eines Künstlers sei 'Licht zu senden in die Tiefen des menschlichen Herzens'. Dass Anne-Sophie Mutter dies beherzigt und ihr Stern besonders hell strahlt am musikalischen Firmament, dafür bin nicht nur ich, sondern ist eine ganze Generation zutiefst dankbar.

 

Ich freue mich sehr, heute in ihrem Namen die Maecenas Ehrung entgegenzunehmen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Daniel Müller-Schott

 

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