Laudatio - Michael Krüger, Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste

Meine Damen und Herren,

Michael Krüger - Laudatio bei der Maecenas-Ehrung 2015, Foto: © Dieter Lukas - Panobilder.dees gibt bekanntlich verschiedene Möglichkeiten, überflüssiges Geld unter die Leute zu bringen. Da die Zinsen niedrig sind, und Geld kein Geld verdient, gibt man es bes­ser aus. In der Gegend in München, in der ich wohne, kann ich täglich beobachten, wie geradezu verzweifelt in eine Gegenwart aus Blech investiert wird: jeder überbie­tet den Nachbarn mit einem noch größeren, mittlerweile an Panzerspähwagen erin­nernden Auto, und alle diese Riesenautos hintereinander an einer Ampel sehen so aus wie ein Treck, der gerade erfolgreich eine Wüste durchquert hat. In jedem Auto sitzt eine tipptopp-frisierte Frau, manchmal sieht man hinten auf dem Rücksitz noch die Haarspitzen eines Kindes, das nur die oberen Stockwerke der Häuser sehen kann, wenn es nicht ohnedies in ein Computerspiel vertieft ist. Ich bin mir sicher, dass die schönen Fahrerinnen in ihren benzinsaufenden Blech-Sänften gerne für den Umwelt­schutz spenden und der Bio-Müsli-Stiftung von Herzen zugetan sind, damit die Welt, wie sie sich aus den erhöhten Limousinen zeigt, nicht durch Hässlichkeit das Auge stört und die Sinne beleidigt.

Aber die Welt wird, allen Schönheitschirurgen im großen wie im kleinen Maßstab zum Trotz, immer hässlicher; und wir alle tragen, ob bewusst oder nicht, dazu bei, dass dieser Prozess nicht mehr umkehrbar ist. Die Beschleunigung der Verhässli­chung ist so rasant, dass die meisten von uns sie gar nicht mehr bemerken, weil sie keine Zeit mehr für Vergleiche haben.

Keine Zeit haben, das ist das Stichwort der Zeit. Die sogenannten Eliten, die die oft nur eingebildete Wertegemeinschaft bilden, verweisen auf die Kultur, von der sie sich eine Balance erhoffen. Aber Kultur ist mittlerweile alles, was nicht gerade Pegida ist. Dadurch wird jedoch der Begriff der Kultur zerstört. Wenn alles Kultur ist, von der Un­ternehmenskultur bis zur Willkommenskultur, wird die eigentliche Kultur, oder das, was wir bis vor Kurzem dafür hielten, blass.

Die Beschleunigung ist der Motor, der uns antreibt. Wer zu langsam, zu nachdenklich ist, wird ausgeschieden. Wer sich der unaufhörlichen Selbstoptimierung versagt, bleibt auf der Strecke, das ist das Gesetz. Die permanente Krise im großen Maß­stab und ihre kurzfristige Überwindung ist das Programm, nach dem alle tanzen müssen. Die Krisenkultur ist gefragt.

Also sucht jeder nach einem persönlichen Ausweg, um sein gefährdetes Selbst zu retten. Nach einem Ratgeber, um durch die Krise zu kommen. Also wird Yoga und Jogging betrieben, was das Zeug hält und solange der Körper es aushält. Forever young, dafür macht man alles. Und manche versuchen es mit der schönen Kunst, ganz dem Motto Nietzsches folgend: Wir brauchen die Kunst, um nicht an der Wahr­heit zugrunde zu gehen. Übrigens einer der rätselhaftesten Sätze dieses großen Dichters und Denkers. Ist die Kunst in dieser Perspektive also immer nur Lüge, Beru­higung, Simulacrum? brauchen wir ein Bild über dem Sofa, um die großen Risse in der Mauer nicht zu sehen?

Mein bescheidener, aber ernst gemeinter Vorschlag: lesen Sie doch mal Gedichte! Unter dem Gesichtspunkt der Zeitökonomie, die wir alle beachten müssen, um im Zi­vilisationsmarathon mitlaufen zu können, eine geradezu ideale Beschäftigung. Ge­dichte sind in der Regel kurz; wenn sie in Büchern gesammelt werden, sind die Bändchen so schmal, dass sie in jeden Anzug passen und in jede Handtasche. Und sie sind so konzentriert, dass Sie sie in Ruhe zehnmal lesen können, während Ihr Nachbar sich mit einer Seite eines unverständlichen Kriminalromans abmüht.

"Je mehr Lyrik man liest, desto intoleranter wird man gegen Weitschweifigkeiten je­der Art, ob im politischen oder philosophischen Gespräch, in Geschichte, Soziologie oder erzählender Literatur", schreibt der russische Dichter Joseph Brodsky. "Als Kind von Epitaph und Epigramm, erdacht als Abkürzung zu jedem denkbaren Gegenstand, ist Lyrik die große Zuchtmeisterin der Prosa. Sie lehrt letzterer nicht nur den Wert jedes Wortes, sondern auch die lebhafte Geistesstruktur der Spezies, die Alter­nativen zu linearem Aufbau, den Kunstgriff, das Selbstverständliche wegzulassen, das Herausarbeiten des Details, die Technik der Antiklimax." Mit anderen Worten, durch die schiere Lektüre von Lyrik werden Sie vielleicht nicht ein besserer Mensch, aber doch einer, mit dem man sich über vieles verständigen kann, was mit den meis­ten Zeitgenossen ja daran scheitert, dass sie den Widerstand gegen das Klischee aufgegeben haben. Klischeevermeidung gilt heute ja schon als Tabubruch.

Um einen guten literarischen Geschmack zu entwickeln, gibt es nur den einen Weg - Lyrik lesen. Wenn Sie meinen, dass ich das aus beruflicher Parteilichkeit sage, sind Sie im Irrtum - ich bin kein Gewerkschafter. Vielmehr ist Lyrik als die höchste Form menschlicher Rede nicht nur die knappste, am stärksten verdichtete Mitteilungsweise menschlicher Erfahrung; sie bietet auch den höchstmöglichen Maßstab für jedes sprachliche Unterfangen - ganz besonders auf Papier."

Ich rede übrigens die ganze Zeit über unsere Preisträgerin, Ursula Haeusgen, ohne ihren Namen bisher genannt zu haben. Aber sie ist gemeint. Ich kenne keinen ande­ren Menschen, dem ich die heutige Auszeichnung unter dem Patronat des Maecenas mehr gewünscht hätte. Wenn ich mir das große Tafelbild von Charles François Jala­bert von 1846 vergegenwärtige, auf dem Maecenas im Kreise der von ihm geförder­ten Dichter sitzt, dann denke ich automatisch an Ursula. Besonders natürlich wegen der wehenden Kleider, die die Herren schmücken und die auch Ursula liebt. Aber in der Hauptsache, weil einer vorliest und die anderen zuhören. Zuhören ist heute die am meisten vernachlässigte Kunst überhaupt, das ist die geheime, aber zentrale Bot­schaft des akademischen und ein wenig überidealisierten Bildes von Jalabert. Zuhö­ren können! das war einmal eine ganz normale Form der Kommunikation. Einer, der von weit her kam, wusste etwas, das er erzählen konnte,und trug es vor, und alle an­deren hörten zu. Heute glotzt jeder auf sein ipad, weil die Vorstellung, länger als fünf Minuten von der Aussenwelt abgeschnitten zu sein, zu Magenkrämpfen führt. Wenn es so weiter geht, wird Zuhören einmal als eine ausgestorbene Kulturtechnik angese­hen werden, die man an der Universität erlernen muss. Was studiert Ihr Sohn eigent­lich? er studiert im achten Semester Zuhören!

Wie Maecenas auf Jalaberts Bild lässig und doch aufmerksam dasitzt, wie er, mit übergeschlagenen Beinen, zuhören kann. Und wie der "schräge Vogel" Horaz und der ernste Vergil ihm zuhören, als sei das die natürlichste Sache der ganzen Welt. Einer liest Gedichte, die anderen hören zu - kann man sich eine schönere, entspann­tere Situation vorstellen? Maecenas hatte sein Haus in der Nähe von Tivoli, am Berg­hang, so dass die Quellen immer sprudelten und die Bäume ausreichend Wasser hatten, um die ausgetüftelten Schattenprogramme realisieren zu können. Er hatte, nicht zuletzt mit Hilfe seines Gönners Augustus, eine Situation geschaffen, die der Poesie zuträglich war.

Hat Ursula Haeusgen nicht ganz etwas ähnliches vollbracht? Wer das Lyrikkabinett aufsuchen will, muss aus der lauten, geschäftigen Straße hinter der Universität durch einen dunklen Gang gehen gepflastert mit Poesie, die auch an den Wänden auf Tafeln aufscheint. Es ist ein Gang des Schweigens, des Innehaltens, der Einkehr. Und der Gang mündet in einen Vorhof zum Kabinett, den banale Menschen einen Hinterhof nennen mögen, der aber gar nichts mit einem gemeinen tristen Hinterhof zu tun hat. Im Gegenteil, man atmet auf, weil man sich plötzlich einem hellen, licht­durchfluteten Kubus gegenübersieht, dem Schatzhaus der Poesie, das Ursula in einer gewaltigen Lebensanstrengung dort hingestellt hat. Wer ihre Anfänge kennt, kann ermessen, welche denkerische, gestalterische und finanzielle Anstrengung es gekostet haben muss, dieses in der Welt einmalige Lyrikkabinett dort zu etablieren. Denn angefangen hat sie, wie so viele zur Innovation begabte Menschen, im Keller. In einem Keller in der Maximilianstraße, um genau zu sein, neben dem damaligen Schumanns und gegenüber vom Roma, das von Innen als Amor gelesen werden konnte. Heute ist natürlich eine Boutique dort untergebracht, das Roma ebenso ver­schwunden wie so viele der interessanten Galerien, die die Maximilianstraße einmal zu einer bedeutenden Straße gemacht haben. Lange ists her. Heute herrscht auf dieser schönen Straße der internationale Mode-Nippes, das öde Bekleidungsunwe­sen, und keiner der promenierenden Kunden sieht so aus, als hätte er nach der Schulzeit noch einmal ein Gedicht gelesen. Kriminalromanpublikum eben oder Leser von Politikerbiografien oder Nicht-Leser, die ja heute eine immer größere Gruppe bilden: die Anhänger der Nicht-Leser-Kultur.

Kurzum, damals war Ursula ein richtiges Kellerkind. Weil wir alle jung waren, hat es uns nichts ausgemacht, die halsbrecherischen Stufen hinabzuklettern, um Dichtern zuzuhören.

Aber sie hat sich aus dem Keller herausgearbeitet, auch wenn man alles versucht hat, sie nicht ans Tageslicht kommen zu lassen. Fürchterliche Streitigkeiten mit der Stadt, die aus irgendwelchen lächerlichen Erwägungen heraus es ablehnte, dass die enorm wachsende Bibliothek im Literaturhaus untergebracht werden konnte. Flucht in die Gewölbe der Universität, obwohl klar war, dass sich kaum ein Student in die Höhle der Poesie wagen würde. Universität ist Lernen, Prüfungen machen, aber nicht: Dichtern zuhören! Und dann ,nach langer Irrfahrt, der jetzige Ort, der locus amoenus, der ausgegrenzte Ort, wo der Tempel der Poesie erstrahlt. Wenn Mün­chen überhaupt noch leuchtet, dann ist der weiße Kubus des Lyrikkabinetts eine der zentralen Lichtquellen, um die uns übrigens die ganze Welt beneidet. Es gibt alle möglichen Lyrikbibliotheken, die zur Erhaltung der gefährdeten Gattung eingerichtet wurden eine milde Form von Artenschutz, aber es gibt nichts wie das strahlende Lyrikkabinett.

Ich weiß nicht, ob die hier versammelten Damen und Herren, die sich zur Ehrung von Ursula Haeusgen eingefunden haben, das Gebäude kennen oder sogar zum Stammpublikum gehören. Wenn nicht, lässt es sich nachholen. Man erhält per Post einen Prospekt, auf dem die Veranstaltungen angekündigt werden, und man kann si­cher sein, das Kabinett nach der Veranstaltung gestärkt wieder zu verlassen. Man ist eine Stunde lang in einer anderen Welt gewesen, in einer mönchischen Welt der Ruhe und der Konzentration.

Man kann sich aber auch tagsüber dort aufhalten, um unter Aufsicht erstklassiger Kunstwerke und Photographien ein paar Stunden dort lesend zu verbringen. Man wird diese Stunden nicht vergessen. Ist es nicht angenehmer, einen Nachmittag un­ter vierzigtausend Dichtern zu verbringen, als ununterbrochen in Bekleidungsge­schäften doch nicht das Richtige zu finden? Glauben Sie mir, es stärkt die Seele und den Verstand, wenigstens einmal in der Woche im Lyrikkabinett in Ruhe Gedichte zu lesen. Und wenn Sie Glück haben, wird Ihnen sogar ein Kaffee angeboten oder ein anderes Rauschmittel. Und man lernt natürlich die interessantesten Menschen ken­nen! Rilke-Leser, Dante-Experten. Goethe-Enthusiasten! Vorbei die öde Zeit, da man sich über langweilige Bestseller unterhalten muss, um anerkannt zu bleiben.

Und wenn Sie noch mehr Glück haben, werden Sie sogar der Hausherrin ansichtig, die aber zumeist in den oberen Gemächern ihrer stillen Arbeit nachgeht. Denn Ursula Haeusgen hat ja nicht nur das Lyrikkabinett geschaffen, sie ist auch Verlegerin erst­klassiger Bücher mit und zur Lyrik geworden, und wer ein gutes Auge hat, kann sich darauf verlassen, dass er in vielen interessanten Projekten kleinerer Verlage den Hinweis findet, dass das Buch von Ursula Haeusgen gefördert worden sei, was ja so viel heißt wie: ermöglicht worden ist. Mit anderen Worten: Ursula Haeusgen hat ihr Geld gut angelegt. Und sie hat es nicht einfach hergegeben, sondern sie tut etwas damit, und zwar Gutes. Sie ist eine, die sich täglich darum kümmert, dass das Gute entsteht.

Wie einige von Ihnen wissen, habe ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewiesen, dass Frau Haeusgen künftig als Heilige Ursula der Poesie anzuspre­chen sei. Die Heilige Ursula der legenda aurea, Schutzpatronin von Köln, eine bri­tannische Königstochter, die übrigens auch wegen ihrer Nächstenliebe verehrt wurde, braucht nach mehr als achthundert Jahren dringend ein säkulares Gegen­stück - und wer würde sich besser eignen als die leider immer noch bürgerlich als Ur­sula Haeusgen zu bezeichnende Preisträgerin? Kürzlich ging ein beglückter Auf­schrei durch die amerikanische Presse, als bekannt wurde, dass eine begüterte Dame der altehrwürdigen Poetry Review ein paar Millionen hinterlassen hatte. Die Review hatte einmal ein paar Gedichte der Dame gedruckt, das hatte sie, als der Herr sie zu sich rief, nicht vergessen. Du lieber Gott, dachte ich beim Lesen der Nachricht, unsere Heilige Ursula hat ein Vielfaches in das Lyrikkabinett gesteckt, aus freien Stücken, denn sie hat selber keine Gedichte geschrieben. Maecenas, neben­bei gesagt, hatte auch Gedichte geschrieben, die aber ebenso vergessen sind wie die der amerikanischen Mäzenin. Er sollte sich glücklich schätzen! Denn wären seine Gedichte noch bekannt, würde man immer sagen: Er war ein schlechter Dichter, aber ein generöser Förderer der Poesie. Dieses A B E R hat sich Ursula erspart.

Die von den Hunnen auf die bekannt hunnisch-heimtückische Weise dahingemetzelt Ursula rief – der Legende nach – mit ihrem Tod exakt elftausend Engel auf den Plan, die am Rheinufer Aufstellung nahmen und die gottlosen Hunnen, die vorher natürlich nie einen Engel gesehen hatten, in die Flucht schlugen, wenn wir der legenda aurea glauben dürfen.

Und was würde passieren, wenn hunnisch denkende und barbarisch auftretende Menschen, also die Mehrheit, sich am Lyrik Kabinett vergreifen wollten? Elftausend Dichter und Dichterinnen aus aller Welt würden die Barbaren, die natürlich noch nie einem Dichter begegnet wären, in die Flucht schlagen. Elftausend Dichter – man­chem von uns möchte bei dieser Zahl schwindlig werden. Warum eigentlich? Von al­lem anderen gibt es immer mehr als elftausend – elftausend Beamter, elftausend Kellner, elftausend Bürger – warum also nicht auch elftausend Dichter? Unsere Heili­ge Ursula der Poesie jedenfalls war der Ansicht, dass diesen Dichtern ein Haus zu stiften sei, ein warmer Unterschlupf der Entschleunigung und da die meisten unter ih­nen der Kategorie der Habenichtse zuzurechnen sind, soll auch für Brot und Wein gesorgt werden.

Das Beste und geradezu Unheimliche an unserer Ursula ist, dass sie ihre generöse, mäzenatische Handlungsweise als vollkommen natürlich ansieht, als selbstverständ­lich – während sie, diese Handlungsweise, zumal in München, geradezu unnatürlich-pervers, auf jeden Fall aber unselbstverständlich anmutet. Hier ist die Dame der Ge­sellschaft ja eher damit ausgelastet, ein Golfturnier vorzubereiten oder eine Bou­tiqueneröffnung mit ihrer Gegenwart zu ehren, als sich ausgerechnet eine Lesung anzuhören, bei der man nicht einmal telefonieren darf. Diese ungeduldige Arbeit am Unspektakulären macht unsere Ursula so besonders, dieser erklärte Wille, in der Ru­brik „Leute" nicht vorzukommen. Mit andern Worten: Sie hat es sich nicht leicht ge­macht. Wer die vielen Umzüge, Vereinsgründungen, Stiftungsvorbereitungen, Zu­rückweisungen und nicht gehaltenen Versprechungen von dritter Seite an sich vor­überziehen lässt, der wundert sich schon, wie sie das alles durchgestanden hat. Ruhm und Ehre, das jedenfalls steht zweifelsfrei fest, kann man in dieser Gesell­schaft leichter gewinnen als mit der Gründung und dem Ausbau und der Fi­nanzierung eines Lyrik-Kabinetts, und die paar Orden, die ihren Hals schon be­schweren, machen den Kohl auch nicht fett.

Welche Mühen sie es – bei aller unterstellter Freude, bei allem erkennbaren Stolz – gekostet hat, dieses herrliche Haus aufzubauen und zu sichern, erfährt man auf überdeutliche Weise, wenn man die Chefin seufzen hört. Es gibt ja Seufzer in tau­send Schattierungen, und der poetische Seufzer, dieses Ach! und Oh weh! ist ja nur eine schillernde Fußnote zu dem großen Seufzer, der die Welt einhüllt und die Sterb­lichkeit begleitet, das Missgeschick kommentiert und die als missglückt empfundene Schöpfung bedenkt.

Ursulas Seufzer dagegen sind von ganz anderer Art. Wenn sich in ihrem ja gottlob nicht von Hinfälligkeit gezeichneten Körper ein Seufzer bildet, langsam aufsteigt, un­term Kehlkopf gewissermaßen in Lauerstellung verharrt und sich dann, für den Beob­achter ganz und gar überraschend, mit einem Schütteln des herrlichen Gesamtkop­fes entlädt – etwa so: oh mei! dann kommt es einem vor, als wohne man einer Aus­treibung bei. Ausgetrieben werden soll der Zweifel an ihrem Tun, die feine Ablage­rung, die entsteht, wenn man nicht genau weiß, ob das alles gewollt wird, was man tut, ob es richtig war, was man getan hat: War es sinnvoll, sagt der Seufzer, mein ganzes Leben, mit Haut und Hab und Gut der Poesie zu schenken?

Ist dieser markerschütternde, gleichsam den festen Boden Menschseins aufreißende Seufzer ihr einmal entschlüpft, entsteht ein gefährlicher Hohlraum, in dem – ich habe es mehrmals erlebt – unsere Ursula sich nur zu bereitwillig stürzen möchte. Also muss dieser Hohlraum schnellstmöglich gefüllt werden. Hier und natürlich nicht nur in die­sem Fall – ist es von allergrößtem Vorteil, dass Ursula eine mit allen Wassern gewa­schene, grundsolide Raucherin ist – und schon greift sie zur Zigarette, und wenn eine nicht lang, dann müssen zwei voll durchgezogen werden, um jeden Zweifel aus­zuräuchern mit den inspirierenden Dämpfen von Marlboro light. Der Nebel der Schwarzgalligkeit lichtet sich, die Vorhänge der Vergeblichkeit gehen hoch und ge­ben den Blick frei auf die schön gestaffelten Landschaften der Poesie, auf die frucht­bare Ebene der Entschleunigung und unsere Ursula weiß, es war gut getan.

Danke liebe Frau Haeusgen, liebe Heilige Ursula, und bleib uns noch lange erhalten, die Poesie wird es auch ohne Dich geben, aber mit Dir wird es ihr wesentlich besser ergehen – und schließlich: Herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung!

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