Kunsthalle in Emden: Edvard Munch - Bilder aus Norwegen. Ein Ausstellungserlebnis voller Neuentdeckungen

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Edvard Munch, Frühlingslandschaft beim Gemeindehaus, 1933-35, © The Munch-Museum Oslo/The Munch-Ellingsen-Group

Wir denken an Edvard Munch (1863-1944) als den Maler des Bildes "Der Schrei" - sein ausdrucksstärkstes und bekanntestes Werk.

Am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, ist es das expressionistische Bild par excellence, weil es wesentliche Intentionen und Möglichkeiten der radikalen Ausdruckskunst der ersten Jahrzehnte des folgenden Jahrhunderts antizipiert. Insbesondere Munchs Meisterwerke aus der zweiten Hälfte der 1880er und den 90er Jahren bestimmen bis heute unsere Sichtweise auf diesen Künstler. Wie kein anderer hat er sein eigenes Gefühls- und Seelenleben in kraftvolle Malerei verwandelt und seine Visionen sichtbar gemacht. Dabei kreist Munchs Œuvre um existenzielle Themen wie Liebe, Eifersucht, Erotik, Angst, Krankheit und Tod. Darin spiegelt sich nicht nur die Krise des modernen Bewusstseins wider, sondern auch grundsätzliche menschliche Gefühle und Lebenssituationen, die uns alle berühren. Seine Sujets und deren verstörende malerische Umsetzung haben bis heute ihre Anziehungskraft auf Künstler wie Publikum nicht verloren.

Edvard Munch, Asche, 1925-29, © The Munch-Museum Oslo/The Munch-Ellingsen-Group

Weniger bekannt und voller Überraschungen ist dagegen Munchs Schaffen seiner zweiten Lebenshälfte. Nach einem rastlosen Leben, das ihn, neben vielen anderen Reisestationen, nach Frankreich und immer wieder längere Zeit nach Deutschland führte, erleidet der hypersensible Künstler, dessen Alkoholkonsum sich stetig steigerte, im Herbst 1908 in Kopenhagen einen schweren Nervenzusammenbruch. Nach einem achtmonatigen Klinikaufenthalt dort reist er im Mai 1909 erholt und voller Arbeitslust nach Norwegen zurück. In den kommenden Jahren mietet und kauft Munch verschiedene Häuser und Anwesen in Kragerø, Hvitsten und auf der Insel Jeløy bei Moss, wo er abwechselnd lebt und arbeitet, bis er 1916 das Gut Ekely in Skøyen an der Stadtgrenze von Kristiania (Oslo) erwirbt. Hier verbringt er nun die meiste Zeit bis zu seinem Tod im Januar 1944. Das mehrere Hektar große Anwesen, eine ehemalige Gärtnerei, umfasst einen großen Garten, kultiviertes Land und einen kleinen Ulmenwald. Munch wohnt in nur zwei Zimmern seiner geräumigen gelben Holzvilla, die anderen sind bald mit Gemälden, Entwürfen und Graphiken voll gestopft. So lässt der Künstler in der Folgezeit drei Freiluftateliers, mehrere hölzerne Ateliergebäude sowie das so genannte Winteratelier errichten. Auf Ekely wird Munch nach der langen Periode turbulenter, rastloser Zeiten in den Hauptstädten Europas, leidvoller Liebesaffären und "innerer Revolutionen" erstmals sesshaft und seine "Moleküle im Inneren" (Munch) beruhigen sich. Hier kann er sich ganz auf seine Kunst konzentrieren. Bestimmte ein dramatisch-emotionaler und melancholischer Tenor sein früheres Werk, erscheint nun dieser Aspekt weniger zwingend und suggestiv ausgeprägt. Dagegen entwickelt der reife Munch eine freizügige und lockere Malweise bei gesteigerter Farbigkeit, die von den Erfahrungen eines optimistischeren Lebensgefühls und von einer sich aus der inhaltlichen Dominanz lösenden, malerischen Souveränität zeugen.

Edvard Munch, Apfelbaum im Garten, 1932-42, © The Munch-Museum Oslo/The Munch-Ellingsen-Group

Die Ausstellung in der Kunsthalle in Emden (2.10.2004-16.1.2005) umfasst in repräsentativer Auswahl Darstellungen, die unmittelbar an der neuen Umgebung orientiert sind, wie der Garten mit üppigen Apfelbäumen, die Gutsgebäude sowie der Ulmenwald und die Felder der Umgebung im Wechsel der Jahreszeiten. Malerisch gelöst und voll stimmungsvoller Harmonie integriert Munch seine Figuren in die Gartenlandschaft. Bauern bei der Feldarbeit oder Bauarbeiter wer den ebenfalls zu unerwarteten Bildmotiven. Doch greift der Maler auch auf die ihn immer noch fesselnden Themen früherer Jahre zurück. Mit neuen Fassungen seiner berühmten Bilder - wie "Das kranke Mädchen", "Asche" oder "Frau in drei Stadien" - schlägt die Ausstellung einen Bogen zum "Lebensfries", einem offenen Zyklus von verschiedenen, thematisch verbundenen Bildern, die die zentralen Sujets seiner Kunst bilden. Munch arbeitete jahrzehntelang daran. Überraschende malerische Neuinterpretationen älterer Themen, Aktdarstellungen und schließlich eine Reihe von intensiven Selbstporträts sind weitere Belege für Munchs Ausdrucksvielfalt und die ungebrochene malerische Produktivität bis zu seinem Tod. Zum ersten Mal in Deutschland wird Munchs Malerei seiner schaffensreichen Werkphase in Ekely zwischen 1916 und 1944 in dieser Breite präsentiert. Die in fruchtbarer Zusammenarbeit mit dem Munch-Museum in Oslo ausgewählten 63 Ölgemälde eröffnen einen ungewöhnlichen und faszinierenden Einblick in die kaum bekannte und bislang wenig gewürdigte späte Bildwelt eines der komplexesten Künstler der Moderne. Die Werke verweisen zudem auf die reichen, unvergleichlichen Bestände des Munch-Museums.

Edvard Munch, Selbstporträt bei der GartenlaubeAsche, 1942, © The Munch-Museum Oslo/The Munch-Ellingsen-Group

Der Künstler hatte der Stadt Oslo seinen gesamten künstlerischen und schriftlichen Nachlass vermacht: darunter rund 1.100 Gemälde, 3.000 Aquarelle und Zeichnungen, 18.000 Druckgraphiken sowie 159 Skizzenbücher. Die Kooperation der Kunsthalle in Emden mit dem 1963 erbauten und 1993 erweiterten Museum nahm ihren Anfang in der Ausstellung "Nær grensene - Figurativ ekspresjonisme" (Nahe den Grenzen - Figurativer Expressionismus), die 40 Spitzenwerke der Sammlung Henri Nannen und Schenkung Otto van de Loo von März bis Mai 2003 im Osloer Munch-Museum erfolgreich präsentierte. Nun kann dank der großzügigen Unterstützung zahlreicher Sponsoren der zweite Teil mit Munchs Bildern aus Norwegen realisiert werden: das norddeutsche Ausstellungshighlight im Winter 2004/05! Selbst für Kenner bietet die exklusive Emder Ausstellung ein Erlebnis voller Neuentdeckungen.

Dr. Achim Sommer
wiss. Leiter der Kunsthalle in Emden


Zur Ausstellung (2.10.2004-16.1.2005) erscheint ein Katalog von ca. 168 Seiten mit ca. 90 Farbabbildungen und Beiträgen von Achim Sommer und Nils Ohlsen. Preis an der Museumskasse: 24,50 €; www.kunsthalle-emden.de
Die Ausstellung "Edvard Munch - Bilder aus Norwegen" wird großzügig gefördert u. a. von EWE AG, E.ON Ruhrgas Aktiengesellschaft, VNG-Verbundnetz Gas AG, Exxon Mobil Central Europe Holding GmbH, Statoil Deutschland.

 

"Munch"-Symposium in der Kunsthalle in Emden - Thema "Kunstvermittlung in Schule und Museum"

Vom 4. bis 6. November 2004 stellen Munch-Fachleute in Vorträgen und Workshops interessante Aspekte aus dem Werk des großen Norwegers vor. Von "Munch und Thomas Mann" über "Musik, Literatur und Kunst in den Jahreszeiten Norwegens" bis zur "Rosskur von Edvard Munch" und zu Theaterprojekten reicht das Spektrum. Das Symposium ist als Fortbildung für Lehrer, Kunstschuldozenten, Museumspädagogen etc. angelegt, interessierte Gäste sind aber sehr willkommen (Anmeldung für die Workshops erforderlich). Nähere Informationen gibt die Museumspädagogik der Kunsthalle in Emden unter Tel. (0 49 21) 97 50 70 oder unter www.kunsthalle-emden.de

AsKI KULTURBERICHTE 2/2004

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