Kunsthalle Emden : The American Dream - Eine deutsch-niederländische Doppelausstellung

Gordon Parks, Martin Luther King Jr., Washington, D.C., 1963, Schwarz-Weiß-Fotografie, © Courtesy of The Gordon Parks Foundation

Realistische Malerei in Amerika in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist mit Namen wie Alice Neel, Andrew Wyeth und natürlich Edward Hopper verbunden. Ihnen folgen die Künstler der Pop Art, wie Andy Warhol und Claes Oldenburg sowie des Fotorealismus, der unter anderem von Künstlern wie Chuck Close, Robert Bechtle und Audrey Flack geprägt wird.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit der amerikanischen Lebenswelt setzt sich in der zeitgenössischen Kunst fort, zum Beispiel im Werk von Karl Haendel, Tony Matelli und Nicole Eisenman. Nach dem Zweiten Weltkrieg symbolisierte zunächst die Abstraktion der New York School und der nachfolgenden Künstlergenerationen den Wiederbeginn und eine scheinbare Entideologisierung der Kunst in den USA. Der von einflussreichen Kunstkritikern geförderten abstrakten Malerei stand der amerikanische Realismus gegenüber, der sich parallel zu ihr weiter entwickelte. Die in ihm vertretenen Strömungen und Künstlerpositionen spielen eine vom Kunstbetrieb nur teilweise gewürdigte und dennoch bedeutende Rolle in der Entwicklung der amerikanischen Kunst. Sie zeigen die realen Lebensbedingungen der Amerikaner auf, vertreten gesellschaftskritische Positionen und legen den Fokus verstärkt auf die menschliche Figur und die menschliche Existenz in den USA.

Nach Edward Hopper und Andrew Wyeth, den großen Malern des amerikanischen Lebens in den 1940er und 50er Jahren, markierte die erste Einzelausstellung von Jasper Johns im Jahr 1957 in der Leo Castelli Gallery in New York einen Bruch. Johns stellte hier unter anderem seine American Flags aus. An die Stelle einer naturalistischen Erzählung traten nun bekannte Objekte des alltäglichen Lebens.

Stephen Shore, U.S. 97, South of Klamath Falls, Oregon, July 21, 1973, 1973, Chromogener Farbdruck, © Stephen Shore, 303 Gallery, New York

Die Pop Art führte diesen Aspekt des Realismus weiter. Ging ein Künstler wie Andy Warhol in der Folge dazu über, auch die Produktion seiner Werke dem industriellen Herstellungsprozess anzugleichen und kaum mehr selbst Hand anzulegen, waren es die Fotorealisten, die nach meist fotografischen Vorlagen Objekte wie Autos, Diners und Porträts akribisch wiedergaben. Sie erörterten so nicht zuletzt die Frage, wie realistisch die Malerei überhaupt zu sein vermag und in welchem Verhältnis die Malerei zur Fotografie steht. In die dritte Dimension führten diesen Hyperrealismus Künstler wie Duane Hanson und Tony Matelli. Der Betrachter wird durch die direkte Konfrontation mit seiner eigenen Lebenswirklichkeit irritiert und zu einer unmittelbaren Äußerung gedrängt.

Der Afro-Amerikaner Kehinde Wiley schließlich nutzt bekannte Bildvorlagen der Kunstgeschichte für seine Porträts von Freunden und Prominenten und lädt diese so mit Bedeutung auf. In der Vermischung von Hip-Hop und theatralischen bis antiquierten Posen entsteht jener ironische bis polemische Unterton, der in den vergangenen Jahren zunehmend zu beobachten ist. Wie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewinnen nun erneut (gesellschafts-)politische Aspekte an Bedeutung, wenn auch unter anderen Vorzeichen und einer die Kunst selbst stärker mitthematisierenden Haltung. Bezeichnend hierfür ist auch, dass dieser afroamerikanische Künstler als Maler des offiziellen Präsidentenporträts von Barack Obama benannt wurde, das Obama am 12.02.2018 in Washington, D.C. enthüllte. Wiley ist mit einem großformatigen Gemälde aus der Sammlung des Brooklyn Museums im Emder Teil der Ausstellung The American Dream vertreten.

Nach einer vielbeachteten Ausstellung im Jahr 2010 zum internationalen Phänomen des Realismus konzentriert sich die Kunsthalle Emden nun auf die Entwicklung speziell in den USA. Erstmals erhalten die amerikanische Pop Art sowie zentrale Werke des Fotorealismus bis zu zeitgenössischen Realismen Einzug in das von Henri Nannen gegründete Museum. Für die Ausstellung wurden vor allem Exponate aus amerikanischen Museen und Privatsammlungen nach Emden geholt. Gegliedert in thematische Abschnitte wie Stadt, Landschaft, Mensch, Genre oder Stillleben, bietet die Ausstellung somit einen faszinierenden Einblick in den American Way of Life, der nicht zuletzt auch Kunst und Lebensgefühl in Europa maßgeblich mitbestimmt hat.

Die grenzübergreifende Kooperation mit dem Drents Museum in Assen, NL

Innovativ an The American Dream ist jedoch insbesondere das länderübergreifende Konzept der Ausstellung: Als Kooperationsprojekt findet sie zeitgleich in zwei Teilen in der Kunsthalle Emden und dem Drents Museum in Assen in den Niederlanden statt. Während die Kunsthalle Emden künstlerische Positionen von 1965 bis zur Gegenwart zeigt, präsentiert das Drents Museum amerikanische Kunst von 1945 bis 1965. Die beiden Komponenten der Ausstellung befassen sich mit der Kunst wie auch mit der historischen, politischen und sozialen Entwicklung in den USA, die in den Ausstellungswerken reflektiert wird. Im Fokus stehen historische Ereignisse wie der Kalte Krieg, die Bürgerrechtsbewegung, die Morde an Martin Luther King und John F. Kennedy, der Vietnamkrieg, die Mondlandung, der Golfkrieg, der Anschlag vom 11. September 2001. Auch Themen wie soziale Unruhen, das Entstehen der Subkultur in den Städten, Drogen, Aids und die Problematik von Waffengesetzen und Waffengewalt in den USA. Der dem Ausstellungsprojekt zugrundeliegende Realismus-Begriff meint somit nicht lediglich eine naturnahe Darstellung, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung damit, was Realität sein kann.

Kehinde Wiley, Passing/Posing (Female Prophet Deborah), 2003, Öl auf Leinwand, auf Holz montiert,  © Kehinde WileyDie Teams beider Museen haben von der ersten Idee, über die Konzeptfindung, die Werkauswahl, den Ausstellungskatalog, das Marketing und die Werktransporte bis zur abschließenden Präsentation der Werke zusammengearbeitet. Gefördert wurden Teilbereiche des Projekts via INTERREG VA von der EU. Ziel dieser Förderung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit zweier Kulturinstitutionen ist es, den Austausch von Wissen und die innereuropäische Kommunikation zu fördern. Ein weiteres Ziel ist die Maximierung der grenzübergreifenden Besucherzahlen durch die Bereitstellung von Besuchertexten in niederländischer, deutscher und englischer Sprache, durch gemeinsames Marketing und gezielte Maßnahmen in der Kunstvermittlung. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit, für Schulklassen aus beiden Regionen kostenfrei die Ausstellung in der jeweiligen Partnerregion zu besuchen. Darüber hinaus wird für den virtuellen Besuch ein Roboter in jedem Haus bereitgestellt, den Schulklassen und Individualnutzer buchen können, falls ein persönlicher Besuch der Ausstellung nicht möglich ist. Diese grenzübergreifende Arbeit lässt einige Rückschlüsse über das Besucherverhalten in beiden Ländern zu. Zum Beispiel hat sich gezeigt, dass niederländische Besucher tendenziell spontanere Individualreisende sind, während viele deutsche Besucher lieber in einer vorab organisierten Form reisen. Dementsprechend gilt es die jeweiligen Zielgruppen in der Grenzregion mit unterschiedlichen Angeboten anzusprechen, um den Ausstellungsbesuch im Nachbarland für eine größere Anzahl Menschen noch attraktiver zu machen.

Grenzübergreifende Vernetzung als Perspektive von Kulturinstitutionen

Der Blick über die Grenze erwies sich als überaus spannend im Hinblick auf den Austausch zwischen einem deutschen und einem niederländischen Museum in der Grenzregion. Erst aus der engen Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen der beiden Häuser ergab sich ein besseres Verständnis für das Museum als Gestaltungs- und Spielraum im Nachbarland. Die Kommunikation über grundsätzliche museale und wissenschaftliche Fragen bewirkte einen Synergie-Effekt, der den fachlichen Horizont aller Beteiligten langfristig erweitern wird. Eine erfolgreiche grenzübergreifende Zusammenarbeit bedeutet auch einen gelegentlichen Perspektivwechsel: von der eigenen Position (wie zum Beispiel etwas schon lange im eigenen Haus gehandhabt wurde) abzurücken und sich auf einen gänzlich anderen Ansatz einzulassen, ohne jedoch die eigene Identität preiszugeben. In diesem Perspektivwechsel liegt ein enormes nachhaltiges Potenzial für die Institution Museum, die in für sie immer schwieriger werdenden Zeiten auf diese Weise Energien und Ressourcen zu bündeln vermag und als wichtige Einrichtung zum Denken, Sammeln, Ausstellen und Bewahren nachhaltig gestärkt wird.

Antje-Britt Mählmann
Kuratorin der Ausstellung


Ausstellungsplakat: The American Dream

Kunsthalle Emden

THE AMERICAN DREAM. Amerikanischer Realismus 1945 – 2017

19. November 2017 – 27. Mai 2018
Teil eins: Drents Museum Assen (Werke 1945 – 1965)
Teil zwei: Kunsthalle Emden (Werke 1965 – 2017)
www.kunsthalle-emden.de - www.drentsmuseum.nl

Katalog „The American Dream. Amerikanischer Realismus 1945-2017"
hg. von Katharina Henkel, Antje-Britt Mählmann und Annemiek Rens, mit Texten von Tim Jelfs, Dana Miller, Peter Trippi u.a.
204 Seiten, ca. 200 farbige Abb.
Preis: 24,95 €

AsKI KULTUR lebendig 1/2018

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