Kunsthalle Bremen: Zu Gast im Guggenheim Museum Bilbao

Vincent van Gogh, Mohnfeld, 1889, Öl auf Leinwand, © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Die Einladung, die eigene Sammlung in einem anderen Museum zu präsentieren, ist zugleich reizvoll wie herausfordernd. Der Möglichkeit, die vertrauten Werke in anderen inhaltlichen und räumlichen Konstellationen zu zeigen (aus denen sich eine neue Sichtweise auf die Werke ergeben kann), steht die Aufgabe gegenüber, aus der Breite der Sammlung eine Auswahl zu treffen, die Schwerpunkte und Stärken ebenso wie ihre Vielfalt wiedergibt.

 In diesem Spannungsfeld bewegte sich die Ausstellung „Meisterwerke aus der Kunsthalle Bremen im Guggenheim Museum Bilbao. Von Delacroix bis Beckmann", eine Kooperation der Kunsthalle Bremen mit dem Guggenheim Museum Bilbao, die vom 25. Oktober 2019 bis 16. Februar 2020 zu sehen war.

Das Guggenheim Museum Bilbao wurde 1997 nach New York (1939) und Venedig (1951) als drittes Guggenheim Museum eröffnet. Die Dauerausstellung des 20. und 21. Jahrhunderts sowie die spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry haben seitdem mehr als 22 Mio. Besucher angezogen. Immer wieder wurden auch andere Museen eingeladen, Teile ihrer Sammlungen in Bilbao zu zeigen, wie das Kunsthistorische Museum in Wien oder das Städel Museum in Frankfurt.

Auch bei der Präsentation der Kunsthalle Bremen in Bilbao galt es, eine Auswahl aus Gemälden, Skulpturen und Arbeiten auf Papier zu treffen, die Meisterwerke der Sammlung einschloss und gleichermaßen einen fest umrissenen Themenkomplex darstellte. Die Sammlung der Kunsthalle Bremen, die vom mittelalterlichen Andachtsbild bis zur Medienkunst reicht und zudem ein hervorragendes Kupferstichkabinett mit 200.000 Zeichnungen und Druckgraphiken umfasst, sowie ihre Entstehung, sollten für die Besucher greifbar und anschaulich werden.

Eugène Delacroix, Ecce homo, um 1850, Öl auf Pappe, © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

In den Mittelpunkt der Präsentation rückten daher die deutsche und französische Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von der Romantik über den Impressionismus, die Künstlerkolonie Worpswede bis zum Expressionismus sowie Max Beckmann und Pablo Picasso. Die ausgewählten Werke veranschaulichten die besondere Geschichte der Sammlung und des Museums. Gleichzeitig stehen sie exemplarisch für die Entwicklung und Durchsetzung der Moderne in den Museen. Auf diese Weise erlaubte die Ausstellung faszinierende Einblicke in die Dynamik zwischen lokaler Geschichte und künstlerischen Entwicklungen auf europäischer Ebene. Die Wurzeln dieses Sammlungskomplexes reichen in die Wende zum 20. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit vertrat der erste Direktor der Kunsthalle, Gustav Pauli, eine Ankaufspolitik, die sich als dynamischer Dialog zwischen deutscher und französischer Moderne formulieren lässt. Mit seinen Ankäufen sowie Ausstellungen u. a. mit Werken der französischen Impressionisten oder von Paula Modersohn-Becker machte Pauli die Kunsthalle innerhalb weniger Jahre zu einer überregional beachteten Galerie moderner Kunst. Seine Nachfolger Emil Waldmann und Günter Busch führten diese Ankaufstradition fort, schlossen Lücken und erweiterten das Spektrum ins 20. Jahrhundert.

Unter dem Titel „Von Delacroix bis Beckmann" wurden aus der Bremer Sammlung 130 Werke für die Ausstellung in Bilbao ausgewählt, die in vier Sektionen gegliedert wurden: Der erste Teil der Ausstellung veranschaulichte die Entwicklung der deutschen und französischen Malerei vom Klassizismus bis zur Romantik. Werke der französischen und deutschen Künstler in Rom begegneten einander, ebenso wie Bilder von Caspar David Friedrich und Eugène Delacroix, die die unterschiedlichen Konzepte der Romantik zwischen stiller Beobachtung der erhabenen Natur und ausdrucksstarker Figurenmalerei sichtbar machten. Beeindruckende Naturstudien von Carl Gustav Carus, Friedrich Nerly und Johan Christian Clausen Dahl trafen auf Werke von Delacroix und Arbeiten der sogenannten Schule von Barbizon wie beispielsweise von Camille Corot, die einen großen Einfluss auf die künstlerische Praxis und Ausbildung im Norden entfalteten.

Sie leiteten über in den zweiten Teil der Ausstellung, der dem Impressionismus und Nachimpressionismus gewidmet war. Frühimpressionistische Bilder von Camille Pissarro, Claude Monet und Pierre-Auguste Renoir sowie die wegweisenden Skulpturen von Auguste Rodin gaben Einblicke in die neuen Motive des modernen Lebens und die Arbeitsweise der Impressionisten, die Licht, Bewegung und Atmosphäre zu gleichberechtigten Bildthemen machten. Sie wurden den wichtigsten Vertretern des sogenannten deutschen Impressionismus gegenübergestellt. Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth sahen sich dem subjektiven visuellen Eindruck verpflichtet, ohne auf die Farbzerlegung der Franzosen zu zielen. Ein Highlight stellte in diesem Zusammenhang das Mohnfeld von Vincent van Gogh dar, das die besondere Bedeutung der Bremer Sammlung in der Durchsetzung der zeitgenössischen Malerei in deutschen Museen um die Jahrhundertwende sichtbar macht. Der visionäre Erwerb durch Pauli 1911 wurde unter Künstlern, Kritikern und Händlern kontrovers diskutiert und löste den berühmten „Künstlerstreit" aus, in dessen Zentrum der grundsätzliche Disput über die Rolle der französischen Moderne in deutschen Museen stand.

Eva Gonzalès, Erwachendes Mädchen, um 1877/78, Öl auf Leinwand, © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Die Ausstellung thematisierte im Folgenden die Künstlergruppen in Worpswede, darunter insbesondere Paula Modersohn-Becker, und ihre Zeitgenossen in Frankreich, die Schule von Pont-Aven und die Nabis. Bilder von Otto Modersohn und Carl Vinnen sowie Maurice Denis, Paul Sérusier und Georges Lacombe zeigten eine Faszination für das scheinbar ursprüngliche und naturverbundene bäuerliche Leben. Besonders wurde in diesem Zusammenhang die Malerei von Paula Modersohn-Becker hervorgehoben, die sowohl in Worpswede als auch in Paris unterschiedliche Einflüsse aufnahm und ein einzigartiges Werk schuf, das in Bremen unter Pauli schon früh gewürdigt wurde. Ihr Werk steht für den produktiven und lebendigen Austausch deutscher und französischer Malerei um 1900. Das große Finale bildete die Kunst des 20. Jahrhunderts vom Expressionismus bis zu Picasso. So leiteten Werke von Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff über zur Malerei von Max Beckmann und den surrealistischen Arbeiten von André Masson und Hugo Oelze und schließlich zu den Werken Pablo Picassos, dem Spanier, der eine so zentrale Rolle für die französische Kunst spielte. Über den Bremer Kunsthändler Michael Hertz, der Picassos graphisches Werk in Deutschland exklusiv vertrat, kamen darüber hinaus zahlreiche Graphiken des Spaniers in die Sammlung der Kunsthalle Bremen sowie das Gemälde Sylvette, ein Meisterwerk und herausragendes Beispiel für Picassos virtuoses Spätwerk.

So erzählte die Ausstellung die Geschichte der Entwicklung der modernen Kunst, vor allem die fast 200-jährige Geschichte des Bremer Kunstvereins und seiner bürgerlichen Sammlung, die bis heute auf dem enthusiastischen Engagement der Bremer für die Kunst basiert. Die Bremer Sammlung traf im Guggenheim Museum Bilbao nicht zuletzt auf eine ganz ähnliche Symbiose aus Tradition und Innovation, den Mut, sich mit dem Neuen zu beschäftigen sowie die lebendige Anziehungskraft (zeitgenössischer) Kunst.

Dr. Henrike Hans
Projektleiterin und Co-Kuratorin
der Ausstellung

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2020

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