Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg: Peter Weibel – (Post-)Europa?

Installationsansicht, Peter Weibel - (Post-)Europa? im KOG, 2020  v.: Peter Weibel, Polster, aus der Serie: Scanned Objects, 1991;  h.: Peter Weibel, Klangkanal, 2012, ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe  Technisches Konzept: Manuel Weber, Softwareentwicklung: Nikolaus Völzow  Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg, Foto: Uwe Moosburger, www.altrostudio.de

Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie zeichnet den Medienkünstler Peter Weibel mit dem Lovis-Corinth-Preis 2020 aus. Eine aus diesem Anlass eigens für Regensburg konzipierte Ausstellung ist der Höhepunkt des Jubiläumsprogramms zum 50-jährigen Bestehen des Museums.

 Prägende Persönlichkeit der Medienkunst

Seit den 1960er-Jahren beschäftigt sich Peter Weibel intensiv mit verschiedenen Medien – neben der Sprache sind es von Anfang an insbesondere Film und Ton gewesen. Sein künstlerisches Schaffen umfasst Experimentalfilm, Computerkunst, Videokunst, Konzeptkunst und Performance.

Peter Weibel, © Peter Weibel, Foto: Tobias Wootton

Mit seinen Kunstprojekten sowie durch kunsttheoretische Abhandlungen – etwa seine mehrbändige Enzyklopädie der Medien – avancierte Weibel zu einem bedeutenden Akteur der internationalen Szene der Medienkunst. Seit Januar 1999 ist Weibel Vorstand des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM), wo er bis heute zahlreiche Projekte realisiert.

Ausstellung in Regensburg

Die Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie gibt einen Einblick in Peter Weibels vielfältiges Lebenswerk. Es ist insbesondere die kritische Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Phänomenen, die seine Kunst auszeichnet. Die Präsentation führt diejenigen Arbeiten zusammen, in denen sich Weibel mit Kernfragen rund um Europa befasst. Wie der Titel „(Post-)Europa?" ankündigt, legt er dabei immer wieder den Finger in die Wunden und berührt die Wurzeln der vielschichtigen Krise. Natürlich ist es kein Zufall, dass sich der Ausstellungszeitraum teils mit der sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands deckt.

Peter Weibel, Patridioten, Courage, Sprache, Chair, 1966/2014, Neonrohren, Kabel; Peter Weibel, Savoir, Ecrire, 1966/2011, Neonrohren, Kabel, Archiv Peter Weibel; Foto: Tobias Wootton

Die Werkauswahl bietet einen Überblick über sein gesamtes Schaffen von den Anfängen in den 1960er-Jahren bis heute. Zu sehen sind seine frühen Selbstzeugnisse, in denen er sich als Anonymus, als Frau oder als Hund
darstellte, sowie seine vielfältige Auseinandersetzung mit Schrift.

Mit der erstmals 1968 für eine Gruppenausstellung im Stift Melk realisierten Bodenskulptur „Das Recht mit Füßen treten" wird der Betrachter partizipativ Teil des Kunstwerks. Der Fußboden ist mit dem Wort „Recht" übersät; betritt ihn der Besucher, erhält die als Titel gebrauchte Redewendung eine neue Bedeutung. Auch die Teleaktionen, die Weibel Anfang der 1970er-Jahre für das Österreichische Fernsehen produziert hat, entlarven das Zuschauerverhalten. Das Spiel mit der Beobachtung ist zudem Teil einiger in Regensburg gezeigten Computer-Video- und Klanginstallationen. Im Zentrum der Ausstellung stehen Werke mit europäischer Thematik, etwa „Europa(t)raum" (1983), „Festung Vernunft" (1994) und „45 europäische Sockel mit nach innen versenkten Skulpturen" (1998). Mit seiner Computer-Videoinstallation „Die Vertreibung der Vernunft" von 1993 ergründet Weibel ein einschneidendes historisches Ereignis – nämlich die erzwungene Emigration von Künstlern und Intellektuellen Österreichs zwischen 1933 und 1945.

Zugleich widmet er sich aktuellen Fragen, wobei er von Beginn an vielfach visionär ins Schwarze trifft. Bezeichnend hierfür ist seine Installation „Station W – die Welt ein Krankenhaus", entstanden 2019. Letztes Jahr war sie Teil seiner Retrospektive im ZKM, wo die Aufsichtskräfte als Krankenhauspersonal auftraten – fast als ob Weibel die Corona-Krise vorausgeahnt hätte.

Peter Weibel, Brennt das Haus Europa?, 2020, Gesägte Siebdruckplatte, Farbe, Foto: © Peter Weibel, Foto: Tobias Wootton

Die neueste, für die Ausstellung angefertigte Arbeit hat den Titel „Brennt das Haus Europa?". Auch hier führt Weibel mehrere Bedeutungsstränge zusammen. Vor allem aber zeigt er dem Betrachter im wahrsten Sinne des Wortes den Spiegel – so trägt die Figur der Europa plötzlich das eigene Gesicht, wodurch man aktiv in die Verantwortung gezogen wird.

 Dr. Agnes Tieze | Direktorin des Kunstforums
Ostdeutsche Galerie, Regensburg


Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg
Peter Weibel – (Post-)Europa?
Lovis-Corinth-Preis 2020
3. Oktober 2020 bis 31. Januar 2021
www.kunstforum.net
Katalog
 hg. von Agnes Tieze, mit einen Text von Bazon Brock sowie einem Interview von Agnes Tieze mit Peter Weibel, dt./engl.,
128 Seiten, zahlreiche farbige Abb., Berlin, Hatje Cantz, 2020, 38 €
ISBN 978-3-7757-4793-6

Der Lovis-Corinth-Preis

Den Lovis-Corinth-Preis verleiht das Kunstforum Ostdeutsche Galerie alle zwei Jahre. Gegründet von der KünstlerGilde e. V. wurde er 1974 erstmals im Kunstforum Ostdeutsche Galerie vergeben. Ausgezeichnet werden bildende Künstlerinnen und Künstler, deren Schaffen im Bereich Malerei, Grafik, Plastik/Skulptur, Installation, Performance, Foto­grafie und Neue Medien einen inhaltlichen oder biografischen Bezug zum östlichen Europa aufweist.

Mit der Verleihung wird ein international bedeutendes Gesamtwerk gewürdigt, das einen relevanten Beitrag zur Entwicklung zeitgenössischer Ausdrucksformen leistet. Die Kandidaten werden von den Mitgliedern einer Fachjury nominiert.

www.kunstforum.net/museum/lovis-corinth-preis

AsKI kultur leben 1/2020

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