Komponisteninstitute im AsKI: Rückblick nach vorn - 75 Jahre Beethoven-Archiv, Bonn

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Beethoven-Haus, Gartenansicht mit Büste von Riscutia, Foto: Beethoven-Haus Bonn

Das Beethoven-Archiv, Bonn, kann 2002 auf 75 Jahre seines Bestehens zurückblicken: Es wurde am 26. März 1927 in einer Gedenkfeier des Beethoven-Hauses zum 100. Todestag Beethovens öffentlich für gegründet erklärt.

Am 1. Mai 1927 nahm es seine reguläre Tätigkeit auf. Die Statuten der "Stiftung beim Verein Beethoven-Haus" fanden am 22. Juni 1927 ihren endgültigen Wortlaut; die staatliche Genehmigung erfolgte am 15. März 1928.

‘Das neue Beethoven-Archiv in Bonn‘, Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn

Als Zweck der Stiftung werden in der Gründungsurkunde 1. der Aufbau einer "möglichst vollständigen" Beethoven-Bibliothek genannt, 2. die Sammlung sämtlicher Ausgaben von Beethovens Werken, 3. die Sammlung "sämtlicher erhaltener Musik-Handschriften Beethovens" in fotografischer Reproduktion, 4. die Sammlung sämtlicher "Dokumente und Akten", welche "für die Biographie und das künstlerische Werk von Bedeutung sind", in "Faksimile-Nachbildungen" und 5. die Sammlung der "Materialien, die zum Studium des geistigen Umkreises von Beethovens Kunst und seiner Zeit notwendig sind". Es wird betont, dass das Archiv ein "wissenschaftliches Forschungsinstitut" sein und ein "Mittelpunkt der Beethoven-Forschung" werden soll.

Der Aufbau von Bibliothek und Sammlungen hat auch nach damaligem Verständnis nicht als Beethoven-Forschung gegolten, sondern lediglich als eine notwendige Voraussetzung. Frühere Entwürfe zu den Statuten zeigen, dass sehr wohl auch an "wissenschaftliche Veröffentlichungen" gedacht war, in denen die "wichtigsten Beethoven-Probleme in Angriff" genommen werden sollten. In der endgültigen Fassung heißt es dazu nur lapidar (§6): "Der Direktor hat die alleinige Entscheidung über Art und Umfang der wissenschaftlichen Arbeiten des Archivs." Will man sich einen Begriff machen von dem, was damals seitens der Musikwissenschaft als die "wichtigsten Beethoven-Probleme" erachtet wurde, muss man die Festreden studieren, die in Universitäten und Konzertsälen von prominenten Beethoven-Forschern gehalten wurden. Die Gebundenheit an eine national geprägte Zeit kommt allenthalben zum Ausdruck.

Prof. Dr. Ludwig Schiedermair, Gründer und erster Direktor des Beethoven-Archivs (1927-1945), Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn

Der Verzicht auf eine nähere Bestimmung der Forschungsziele in den Statuten des Beethoven-Archivs erscheint zunächst als ein Reflex auf den Führungsanspruch des designierten Archiv-Direktors, Ludwig Schiedermair, Ordinarius am noch jungen musikwissenschaftlichen Seminar der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn und treibende Kraft bei der Gründung des Beethoven-Archivs. Doch was sich in mancher Hinsicht als Manko der Statuten ausnimmt, hat sich im Laufe der Jahrzehnte als Vorteil erwiesen. Das Archiv blieb in seiner wissenschaftlichen Zielsetzung flexibel und konnte sich neuen Fragestellungen und Methoden anpassen.

‘Gedenkfeier des 100. Todestages Ludwig van Beethoven‘, Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn

Die ersten zwanzig Jahre des Bestehens des so hoffnungsvoll begründeten Instituts sind eher als eine Durststrecke zu begreifen. Nachdem die wohlwollende Anschubfinanzierung versiegt war, brachen ab 1932 magere Zeiten an. Die öffentlichen Zuschüsse (Reich, Preußen, rheinische Provinzialverwaltung, Stadt Bonn) wurden drastisch gekürzt, so dass die Weiterführung des Betriebes in Frage gestellt war. Die schon 1920 von Schiedermair begründete Reihe "Veröffentlichungen des Beethoven-Hauses", die wohl das wissenschaftliche Hauptorgan des Archivs werden sollte, wurde 1934 mit Band 10 eingestellt. 1935 erschien nur noch der "Handschriften-Katalog" von Joseph Schmidt-Görg, dem seit 1927 angestellten wissenschaftlichen Assistenten des Archivs und Privatdozenten an der Universität.

Ludwig van Beethoven, Autograph op 75/3 ‘Flohlied‘ (Ausschnitt), Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn

Nach dem II. Weltkrieg griff Schmidt-Görg, Nachfolger Schiedermairs in Archiv wie Universität, einige der Pläne wieder auf, die schon in den 1920er Jahren diskutiert worden waren. Er gründete die "Neue Folge" der "Veröffentlichungen des Beethoven-Hauses" mit vier Reihen: Skizzenausgabe, Beethoven-Jahrbuch, Faksimile-Edition und Schriften zur Beethoven-Forschung. In späteren Jahren kamen die Gesamtausgaben der Briefe und der Werke Beethovens hinzu. Mit diesen Projekten waren dem Archiv Ziele vorgegeben, welche die wissenschaftliche Arbeit bis heute bestimmen. Weitere Aufgaben kamen mit der Eröffnung des Kammermusiksaales 1989 und der Erweiterung des musealen Betriebes hinzu.

Das neueste Vorhaben, das "Digitale Beethoven-Haus", kehrt mit seinem Kernstück, dem "Digitalen Archiv", gewissermaßen zu den Anfängen von 1927 zurück: Es sammelt und ordnet, freilich mit modernen Mitteln, die Dokumente zu Beethovens Leben, Werk und Wirkungsgeschichte und macht sie einer breiteren Öffentlichkeit als bisher zugänglich. Die wissenschaftliche oder bildungspolitische Auswertung des zusammengetragenen Materials wird nicht festgelegt, sondern ist jenen aufgetragen, die das neue Medium beherrschen und über zündende Ideen verfügen. Mit Hilfe dieser elektronischen Kommunikations- und Publikationstechniken, welche direkte Zugriffs- und Nutzungsmöglichkeiten für die in Museen, Archiven oder Bibliotheken aufbewahrten Dokumente bieten, lassen sich die Arbeitsgrundlagen der text- und quellenbasierten Wissenschaften verbessern, indem mehr Material bearbeitet werden kann, aktuelle Fragestellungen entwickelt werden können und sich zugleich eine bessere Nachvollziehbarkeit empirischer Befunde ergibt.

Die Bereitstellung und Nutzung von Primärquellen in digitaler Form über Kommunikationsnetze hat gleichzeitig auch Auswirkungen auf die musealen Aufgaben der Kulturbewahrung und -vermittlung. Über multimediale Objekt- und Archiv-Datenbanken können - unabhängig von Vorgaben des realen Museums - virtuelle Ausstellungen präsentiert werden, die das Bildungs- (und Unterhaltungs-)Angebot des Museums inhaltlich, methodisch und kontextuell erweitern. Nicht zuletzt kann eine Kulturinstitution aus der kommerziellen Nutzung ihrer digitalen Sammlung das Standbein als Bildagentur-Profitcenter stärken. © Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus, Bonn Der Arbeitsplatz des Scanner-Operators

Solche Ziele vor Augen wurde im Beethoven-Haus soeben die Bilddigitalisierung von 26.000 Seiten an Musikhandschriften, Briefen, Erstausgaben, Bildern und Objekten abgeschlossen. Die durch hochwertiges Image-Scannen (48 Bit, RGB, ICC-Profile) erzeugten digitalen Master-Daten im Tiff-Format bilden die 4,3 Terabyte (7900 CDs) große Grundlage für spezifische Nutzungsversionen und weitergehende Erschließungen, haben zugleich aber selbst schon einen bleibenden Wert.

Der Arbeitsplatz des Scanner-Operators, Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn

Für die Digitalisierungsmethode waren vor allem die beiden Anforderungen Farbtreue und Langzeitarchivierung maßgeblich. Die Bedingungen für eine verlustfreie Langzeitarchivierung betreffen die Art und Lagerung der Datenträger, die Verwendung von Standards, die Entwicklung von Konzepten und Berücksichtigung von Ressourcen, um rechtzeitig die Speichermedien zu erneuern, die Daten in neue Speichertechnologien zu migrieren und in neue Dateiformate zu konvertieren.

Der Wunsch nach einer farbgetreuen Transformation des analogen Dokuments ins digitale Medium leitet sich von der Forderung ab, sowohl den Inhalt als auch Anmutung und Aura eines Original-Dokuments zu erfassen. Nur durch eine getreue Wiedergabe auch des äußeren Erscheinungsbildes bis hin zur Abbildung der Papierstruktur ist gewährleistet, dass die digitale Kopie die Anziehungskraft und Informationstiefe des Originals erhält.

Robert Levin, Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn

"Rückblick nach vorn" ist auch das Motto der Jubiläums-Veranstaltungen, die anlässlich des 75-jährigen Bestehens vom 24. bis 26. Mai 2002 stattfinden. Zum Auftakt (bereits am 13. Mai) erinnert Robert Levin in einem Gesprächskonzert an "Beethoven als Erben Mozarts". In einem Festakt spricht Ludwig Finscher zum Thema "Musikalische Denkmäler und Musikleben". Die Geschichte, die Ziele und die Vielfalt der Aufgaben musikwissenschaftlicher Forschungsinstitute rund um das Beethoven-Archiv behandelt ein Symposion, an dem Rudolf Stephan, Wolfgang Rehm, Walther Dürr, Sieghard Brandenburg, Susanne Popp, Egon Voss, Gabriele Buschmeier und Helga Lühning teilnehmen.

Auryn-Quartett, Foto: Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn

Aus einem druckfrischen Band der Beethoven-Gesamtausgabe trägt das Auryn-Quartett die Streichquartette op. 131 und 132 vor. Ein Tag der offenen Tür mit drei kleinen Round tables, Lesungen, einer Ausstellung, Veranstaltungen für Kinder und anderen auf ein breiteres Publikum zielenden Darbietungen beendet das Jubiläum.

Sieghard Brandenburg / Friederike Griegat / Helga Lühning

Dr. h.c. Sieghard Brandenburg ist Leiter des Beethoven-Archivs im Beethoven-Haus, Bonn
Friederike Grigat M.A. ist Leiterin des Projektes "Digitales Beethoven-Haus"
Dr. Helga Lühning ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Beethoven-Archivs

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/2002

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