Katharina Sieverding - Metamorphosen der Evolution

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Katharina Sieverding: Video-Installation 2001, © Foto: Janos Grapow, Rom

Eine Ausstellung der Casa di Goethe in Rom in Zusammenarbeit mit der Stiftung Weimarer Klassik

Über den Jahreswechsel 2001/02 erwartete die Besucher der Casa di Goethe in Rom eine ungewöhnliche Präsentation: Katharina Sieverding, eine der wichtigsten Impulsgeberinnen der zeitgenössischen Kunst, hat die von Goethe vor mehr als zweihundert Jahren entwickelte Idee der Metamorphose auf ihre heutige Gültigkeit hin befragt und aktualisiert.

Das Ergebnis ist ein bestürzend aktuelles Ausstellungsprojekt am Anfang des 21. Jahrhunderts, realisiert in einer Zeit, in der neue Technologien die Gesetzmäßigkeiten des Lebens zu unterlaufen drohen und in der nach den Ereignissen des 11. September 2001 endgültig niemand mehr die Augen verschließen kann vor der bitteren Erkenntnis der elementaren Gefährdung allen menschlichen Lebens durch menschenverachtenden Terror, Krieg und Bioterrorismus.Katharina Sieverding mit Schädel aus Goethes Sammlung - angeblich des Malers Anthonis van Dyck (1599-1641), © Foto: Pola Sieverding

Die Idee für dieses Ausstellungsprojekt in der Casa di Goethe entstand vor fast zwei Jahren. Cornelia Lauf und Ludovico Pratesi, die beiden Kuratoren der Ausstellung, haben die international bekannte Künstlerin Katharina Sieverding eingeladen, aus der gut 50.000 Objekte umfassenden Privatsammlung Johann Wolfgang Goethes in Weimar signifikante Stücke auszuwählen, in Goethes ehemaliger römischer Wohnung am Corso zu installieren und mit einer eigenen künstlerischen Arbeit zu verbinden.

Die 1944 in Prag geborene Künstlerin hat sich für den naturwissenschaftlichen Bestand Goethes entschieden und nach mehreren Besuchen in den Archiven der Stiftung Weimarer Klassik ca. 150 Objekte ausgewählt, die die vier "Naturreiche" repräsentieren: Mineralien, Pflanzen, Tiere und schließlich den Menschen. Den Auftakt bildete eine kleine Auswahl aus Goethes reichhaltiger Mineraliensammlung, der im zweiten Raum Gelenk- und Schädelknochen von Tieren und Menschen folgten, sparsam inszeniert in hohen, wie eigenständige ästhetische Körper wirkenden Glasvitrinen. In diesem Teil der Ausstellung wurden die Fensterläden zum Innenhof geöffnet, damit Tageslicht und Sonne diese Räume erhellen, Innen und Außen sich durchdringen konnten. Für den dritten, völlig abgedunkelten Raum hat Katharina Sieverding einige Originalzeichnungen Goethes ausgewählt, die die belebte Natur und das Verhältnis von Mensch, Tier und Pflanze thematisieren.

Ausstellung Katharina Sieverding: Vitrinen mit Menschenschädeln aus Goethes Sammlung, © Foto: Janos Grapow, RomDiesen Objekten aus den Anfängen der modernen Biologie stellte Katharina Sieverding eine eigens für diese Ausstellung entwickelte neue Arbeit gegenüber. Die großformatige Beamer-Projektion, ein Medien-Kunstwerk als Resultat ihrer Auseinandersetzung mit Goethes grundlegenden naturwissenschaftlichen Überzeugungen, thematisiert die Metamorphose sowohl technisch als auch inhaltlich. Die Künstlerin verwendet dabei u.a. technisch-wissenschaftliches, aus dem medizinischen Kontext stammendes Bildmaterial wie Blutgerinnungsbilder oder Sequenzausschnitte der Genforschung, aber auch mit dem Computer bearbeitete Fotografien, Flüchtlings- und Kriegsbilder und immer wieder Selbstportraitaufnahmen.

Bilder, die in einem langsamen, aber steten Farb- und Konturenwechsel ineinander wachsen, sich überblenden, einer ständigen Metamorphose unterzogen werden und regelmäßig von Schriftzeilen unterbrochen werden. Der Betrachter, der sich auf dieses dreißigminütige Farben- und Formenspiel einlässt, werde - so Henning Klüver in der Süddeutschen Zeitung - "in eine Welt entführt, die vom Erschrecken über die Zeitläufe ebenso geprägt ist wie vom Erstaunen über die Schönheit der Dinge und die Kraft der Natur. Kunst wird hier von Wissenschaft durchdrungen, und Wissenschaft lässt sich mit Kunst beschreiben."

Katharina Sieverding, Ende der 60er Jahre Meisterschülerin von Joseph Beuys und Pionierin der Foto-, Film- und Videokunst im Großformat, steht mit ihren Arbeiten zu den Themen Identität, Individualität, Gesellschaft und Technologisierung von Mensch und Natur für eine gesellschaftlich verantwortete Kunst. Ihre Ausstellung in der Casa di Goethe Rom, die 2002 auch in Weimar gezeigt werden soll, will sie als einen Appell verstanden wissen, grundlegende Lebensprinzipien der Natur zu respektieren.

Ursula Bongaerts
Leiterin der Casa di Goethe, Rom


Beim Verlag Charta (Mailand) ist eine dreisprachige Publikation (italienisch, deutsch, englisch) erschienen (160 Seiten) mit Texten internationaler Autoren und 43 ganzseitigen Abbildungen in Duoton. Dieses von Katharina Sieverding selbst gestaltete Künstlerbuch kann über die Casa di Goethe zum Vorzugspreis von 25 EUR zzgl. Versandkosten erworben werden.

AsKI KULTURBERICHTE 1/2002

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