Interkulturelle Vermittlungsarbeit im Germanischen Nationalmuseum

© Foto: Kunst- und Kulturpädagogisches Zentrum, Nürnberg (KPZ)

Wenige Orte scheinen für den interkulturellen Dialog so geeignet zu sein wie die Museen mit ihren vielfältigen Sammlungen zur Kunst, Geschichte und Kultur.

Sie bieten Anregungen der verschiedensten Art, sich mit Phänomenen des kulturellen Wandels auseinander zu setzen. Die spezifische museale Atmosphäre schafft einen geschützten Raum, der Kommunikation ermöglicht und zur Reflexion animiert. In einem besonderen Maße gilt dies für das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das größte Museum zur Kunst und Kultur des deutschsprachigen Raumes.

Seit rund zehn Jahren bietet das Kunst- und Kulturpädagogische Zentrum der Museen in Nürnberg (KPZ) für sog. Übergangsklassen, in denen vor allem Kinder aus Flüchtlings- und Einwandererfamilien auf den normalen Schulbetrieb vorbereitet werden, mehrteilige Veranstaltungsreihen an. Sie wollen dazu beitragen, in der Auseinandersetzung mit der Kultur des neuen Heimatlandes das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen zu stärken und den Spracherwerb zu fördern.

Mit der Ausstellung "Was ist deutsch?", die vom 2. Juni bis 3. Oktober 2006 im Germanischen Nationalmuseum zu sehen sein wird, bietet sich die Gelegenheit, den interkulturellen Dialog im Museum weiter zu entwickeln. Die Ausstellung stellt in fünf Themenbereichen - Geist, Charakter, Glaube, Sehnsucht und Vaterland - eine Frage in den Mittelpunkt, die Zuwanderer wie Alteingesessene gleichermaßen interessieren dürfte. Die immer wieder erhobenen Forderungen nach Anpassung bedingen eine Verständigung über das, woran man sich anpassen sollte, und sie bedingen auch eine Verständigung darüber, was denn "deutsch" charakterisiert mit Blick auf die Vergangenheit und was sich verändert mit Blick auf die Gegenwart. Mit Ernst und Ironie, mit Bekanntem und Überraschendem bietet "Was ist deutsch?" den Besuchern Anregungen, eigene Antworten zu finden, und nutzt so ganz bewusst das kommunikative Potential des Mediums Ausstellung.

Das Vermittlungsprogramm des KPZ will mit seinem interkulturellen Schwerpunkt diese anregende Auseinandersetzung unterstützen, schärft doch gerade auch die Perspektive der Zuwanderer die Einschätzung kultureller Besonderheiten. So konnten in Zusammenarbeit mit dem Amt für Kultur und Freizeit und dem Bildungszentrum der Stadt Nürnberg insbesondere russisch- und türkischsprachige Mitarbeiter mit Migrationshintergrund für die Vermittlungsarbeit in der Ausstellung gewonnen werden. Sie können bei Besuchern mit Migrationshintergrund die Schwellenangst deutlich mindern und die immer noch bestehenden Sprachbarrieren überwinden helfen. Alteingesessenen bieten sie neue Sichtweisen auf die deutsche Kultur und Geschichte. In drei Themenführungsangeboten lassen sich verschiedene Aspekte vertiefen: Ein Angebot widmet sich unter dem Titel "Dichter, Denker, Dürer" Leitfragen der Kulturnation, "Typisch deutsch!" setzt sich mit bekannten Stereotypen auseinander und "Deutschland, schwierig Vaterland" diskutiert vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen Perspektiven der Integration.

Bei diesen Veranstaltungen geht es nicht um Lehrstunden, in denen im Schnelldurchgang Wissen über Geschichte und Kultur der letzten 200 Jahre zu vermitteln wäre. Diesbezüglich ist der viel beschworene "Lernort Museum" wohl immer missverstanden worden. Worum es geht, ist das Gespräch mit den Besuchern und der Besucher miteinander über die Frage "Was ist deutsch?" als eine der zentralen Fragen nach unserer kollektiven Identität. Vorkenntnisse und Vorurteile der Besucher sind dabei der Ausgangspunkt; sie zu artikulieren und in Beziehung zu setzen mit der musealen Präsentation ist das Ziel. Damit können diese Veranstaltungen wichtige Impulse setzen, die Reflexionsprozesse anregen und fördern. Und sie lassen das Museum erleben nicht als einen Ort der Belehrung, sondern als einen lebendigen Ort der Auseinandersetzung mit Fragen der Gegenwart.

Einen besonderen Akzent setzt ein Angebot der "Südstadtkids", einer Gruppe Nürnberger Hauptschüler, die vor wenigen Monaten den "Preis für Innovation in der Erwachsenenbildung" des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung erhalten haben. Sie werden in der Ausstellung etwas andere Ausflüge ins Reiseland Deutschland anbieten, in denen sich der interkulturelle Blick mit der Perspektive von Jugendlichen verbindet und zu verblüffenden Einsichten führt.

Bei der Arbeit für "Was ist deutsch?" sollen Erfahrungen gesammelt und gemeinsam ausgewertet werden, die die Grundlage für ein umfangreicheres interkulturelles Vermittlungsprogramm in den Nürnberger Museen bilden werden. Es ist daran gedacht, neben dem Germanischen Nationalmuseum auch im Stadtmuseum Fembohaus und im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Veranstaltungen anzubieten. Hierbei könnten folgende Themenkomplexe eine Rolle spielen:

Im Germanischen Nationalmuseum könnte man sich mit dem Verhältnis von Religion und Gesellschaft, von Religion und Staat auseinandersetzen, einem der zentralen Konfliktfelder unserer Geschichte. Der Blick in die Geschichte schärft das Bewusstsein für die Fragen der Gegenwart und zeigt auch, unter welchen historischen Bedingungen sich bestimmte Denkhaltungen entwickelt haben. Ein Mangel der gegenwärtigen Auseinandersetzungen insbesondere in den Medien ist ja die Verabsolutierung von Grundsatzpositionen ohne deren historische Entwicklung auch nur im Ansatz begreifen zu können oder zu wollen.

Im Stadtmuseum Fembohaus ginge es allgemein um Stadtgeschichte und Migration, die kein isoliertes Phänomen der Neuzeit ist. Auch die wenigsten Nürnberger wissen, dass ihr größter Künstler, Albrecht Dürer, das Kind eines ungarischen Einwanderers ist. Darüber hinaus bietet das Stadtmuseum die Möglichkeit, sich über das zu verständigen, was die gemeinsame lokale Identität ausmacht. Für einen erfolgreichen Integrationsprozess sind die Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene sicher von Bedeutung. Integration gelebt wird jedoch vor Ort, jenseits von Programmen und wohlmeinenden öffentlichen Erklärungen. Aufgabe der Stadt- und Heimatmuseen bleibt es, den demographischen Wandel der letzten vierzig Jahre auch in ihre Präsentation zu nehmen und damit den Besuchern mit Migrationshintergrund Anknüpfungspunkte zu ihrem eigenen Leben zu bieten.

Im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände schließlich kann man sich über "Mechanismen politischer Propaganda" anhand des historischen Beispiels informieren und der Frage nachgehen, welche Voraus setzungen für die Wirksamkeit solcher Propaganda notwendig sein könnten. Wird man sich bei diesem Thema unter Umständen leichter verständigen, wird es bei der Frage nach der deutschen Verantwortungsgemeinschaft in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit sicherlich unterschiedliche Positionen geben.

Das KPZ wird sein interkulturelles Vermittlungsangebot in enger Partnerschaft mit entsprechenden lokalen Einrichtungen entwickeln und über eine kontinuierliche Evaluierung sorgfältig beobachten. Ein Ziel ist es dabei auch, Angebotsformate zu entwickeln, die auf andere Städte und Museen modifiziert anwendbar sind.

Thomas Brehm

 

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 2/2006

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