Heiße Kufen - Schlittenfahren: Repräsentation, Vergnügen, Sport - Eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg

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Der Schlitten in Gestalt eines Hirschs entstand 1683 in München, © GNM Nürnberg

Für den nahenden Winter hält das Germanische Nationalmuseum schon die passende Ausstellung bereit: Es geht um die Freuden des Schlittenfahrens.

Anhand von Schlitten, Gemälden und Graphik, aber auch kunsthandwerklichen Arbeiten des 16. bis 20. Jahrhunderts wird die Kulturgeschichte eines Gefährts beleuchtet. Dabei geht es um die standesgemäße Repräsentation, aber auch um den Schlitten als Transportmittel und als Utensil der Sport- und Freizeitkultur. Über Jahrhunderte war der Schlitten in Mittel- und Nordeuropa das wesentliche Transportmittel für Menschen und Lasten in den Wintermonaten. Seit dem späten Mittelalter entwickelte es sich in zunehmendem Maße auch zu einem Vehikel für Vergnügungsfahrten gesellschaftlicher Eliten. Stadtpartien und Landausflüge in vornehmen Kufengefährten waren fester Bestandteil der luxuriösen Kultur von Adel und Patriziat.

Sündige Objekte

Nachdem der italienische Franziskanerpater Johannes von Capestrano in Nürnberg seine Bußpredigten gehalten hatte, die gegen Sünde und Luxus mahnten, verbrannte man in frommem Eifer alsbald nicht nur Spiele und modische Kleider, sondern auch 72 prächtige Schlitten. Der Missionar sah in ihnen Zeugnisse eines eitlen Lebenswandels, und da die Gefährte zudem mit heidnischen Götterfiguren verziert waren, hielt er sie für unzüchtig und sogar sündenbehaftet. Diese Nachricht aus dem Jahr 1452 gilt als die früheste aus deutschen Landen, die dokumentiert, dass nicht nur der Adel, sondern auch begüterte Bürger dem Luxus der Bilderschlitten frönten. Die kostspieligen, mit Bildwerken geschmückten und bemalten Fahrzeuge dienten im Winter zu fröhlichen Ausflügen, aber auch protzigen Rundfahrten und kurzweiligen Wettkampfspielen inmitten der Städte.

Fröhliche Rundfahrten

Oft besaßen diese Wintervergnügen der reichen städtischen Oberschichten gesellige Charakterzüge: So unternahm die Augsburger Patrizierschaft am 4. Januar 1569 einen Besuch der auf Friedberg lebenden Herzoginwitwe Christiane von Lothringen als Schlittenpartie. Sicherlich war hier auch der Gedanke der Repräsentation mit im Spiel wie bei jener Schlittenfahrt mit Musik, die der Magistrat der Stadt Nürnberg am 4. Februar 1763 für den Reichsfeldzeugmeister General von Stolberg und seinen Stab auf dem Dutzendteich veranstalten ließ. Vielerorts - wie in Göttingen oder Amsterdam, Wien, Frankfurt oder Augsburg - aber gaben die Straßen und die zentralen Plätze der Städte den Ort für fröhliche Rundfahrten ab. Als es den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz im Januar 1598 gelüstete, in der Reichsstadt Nürnberg Schlitten zu fahren, ließ der Rat den Marktplatz schleunigst räumen und verbot der Bürgerschaft die Wintervergnügung für die Zeit der fürstlichen Anwesenheit.

Lebhaftes Spektakel

In Bern fanden im 18. Jahrhundert jeweils im Dezember und Januar wöchentlich wilde Rennfahrten statt, die wettkampfartigen Spielen glichen. Skulptierte und bemalte Schlitten - so berichtet es ein Zeitgenosse - "durchflogen dann die weiße Boden-Decke, vom Christoffel-Turm bis zur Kreuzgass, in mehreren Touren, einen großen Musikanten-Schlitten voraus, von welchem von mehr als zwanzig Musikanten eine tobende Pauken- und türkische Musik erscholl! Alle Schwibbogen der Arkaden und Fenster der Häuser waren mit unzählbaren Zuschauern angefüllt, was alles zusammen ein ungemein schönes und lebhaftes Spektakel gewährte! Zuweilen wurden dergleichen Schlittenfahrten des Nachts mit Fackeln gehalten, was denn vollends prachtvoll war...".

Gefährliche Begegnung

Von Alters her war es nebenbei aber auch üblich, an Feiertagen oder am Abend nicht nur gemeinschaftlich, sondern auch ganz individuell spazieren zu fahren. Weil es dabei - wohl wegen der hohen Geschwindigkeiten - nicht selten zu Unfällen gekommen sein muss, waren die Behörden gezwungen, zu reglementieren. Die Nürnberger Polizei zum Beispiel gebot daher schon im 15. Jahrhundert den Bürgern recht "ernstlich, das fürbaß nyemands von der fewrglocken (Abendläuten) an biß auff zwo stund vor mitternacht one ein offenbar prynnend licht, als wachskertzen oder fackeln, auf sliten faren sol".

Sport und Werbung

Eine seit dem 18. Jahrhundert nachweisbare Art des Schlittenfahrens ist das Rodeln. Bis heute ist es das Kindervergnügen der kalten Jahreszeit schlechthin geblieben. Darüber hinaus entwickelte es sich zu einer beliebten Wintersportdisziplin. Aufgrund der Entfaltung des Wintersports im 20. Jahrhundert sind Schlitten und Darstellungen des Schlittenfahrens heute auch Synonyme für körperliche Aktivität und modernes Freizeitvergnügen im Winter. Die Tourismusindustrie setzt das Bild des Schlittens daher symbolisch ein: Es steht für aktive Erholung, mondänes Lebensgefühl und vielversprechende Erlebniswelten im Schnee. In zunehmendem Maße macht sich auch die Werbung das Kufenfahrzeug in seiner Sinnbildhaftigkeit zunutze. Als altmodisches, himmlisches Gefährt von Weihnachtsmann und Santa Claus beispielsweise transportiert es die Verzauberung einer hoch technisierten Realität in der weihnachtlichen Festzeit. Der Schlitten wird zum Sehnsuchtsmotiv und zur sentimentalen Metapher für längst vergangene Kindheitsträume und eine heile Welt.

Vorträge im Januar

Die Ausstellung arbeitet den Bestand an Schlitten, Schlittenzubehör und Schlittendarstellungen des Germanischen Nationalmuseums erstmals wissenschaftlich auf. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation in der Reihe "Kulturgeschichtliche Spaziergänge durch das Germanische Nationalmuseum". Ferner ist für Anfang 2007 eine Vortragsfolge mit Gastwissenschaftlern geplant, die das vorgestellte Thema begleitet und mit verschiedenen in der Sonderschau nicht darstellbaren Aspekten ergänzen wird.

Frank M. Kammel


Die Ausstellung ist noch bis zum 25.2.2007 zu sehen.
Weitere Informationen unter www.gnm.de

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