Goethe und Schiller für Kinder. Weltliteratur im Kinderbuch - Ausstellung im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum

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Johann Wolfgang von Goethe, Faust, erzählt von Barbara Kindermann, illustriert von Klaus Ensikat, Berlin 2002, Foto: Freies Deutsches Hochstift/ Frankfurter Goethe-Museum

Kann und darf man eine so vielschichtige Tragödie wie Goethes "Faust" mit ihren komplexen historischen, ethischen und philosophischen Dimensionen zurechtstutzen auf das Format eines Kinderbuchs?

Das Freie Deutsche Hochstift wollte es genau wissen und ging der Frage nach, wie die großen Werke unserer literarischen Tradition im Laufe der Zeit für Kinder eingerichtet, nacherzählt, kommentiert und illustriert wurden und werden. Welcher Ort könnte geeigneter sein für eine solche Unternehmung als das Haus am Großen Hirschgraben in Frankfurt, in dem das Kind Johann Wolfgang Goethe das Lesen gelernt hat? Der Ausstellungsidee liegt die Überzeugung zugrunde, dass Kinder ein natürliches Interessen daran haben, sich lesend, hörend und "klickend" den Zugang auch zu literarisch tradierten Welten zu eröffnen. Und es scheint einiges darauf hinzudeuten, dass es ein neues Interesse an literarischer Tradition gibt. Indiz hierfür könnte die Fülle an Neuerscheinungen mit illustrierten Kinderausgaben sein, aber auch das von Seiten vieler Lehrer signalisierte Interesse, zwischen Literaturanspruch und Leserbezug, zwischen Pädagogik und Dichtung einen gangbaren Weg zu finden. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Kinder ein grundlegendes Verständnis und Interesse für die klassischen Autoren entwickeln, und wie man Anstöße geben kann zu einer schrittweisen Heranführung an die Lektüre des Originals, das soll anhand des umfangreichen Materials gezeigt werden.

Johann Wolfgang von Goethe, Reineke Fuchs Mit Zeichnungen von Wilhelm von Kaulbach München 1846, Foto: Freies Deutsches Hochstift/ Frankfurter Goethe-Museum

Die "Aussicht ins Kinderbuch" förderte eine ganze Reihe von illustrierten Büchern und Büchlein zutage, die zeigen, dass die Beschäftigung mit den Gedichten, Erzählungen, Dramen und Balladen unserer Klassiker keineswegs eine langweilige Erfahrung sein muss, sondern dass Leselust und literarische Bildung in eine durchaus vergnügliche Wechselbeziehung treten können. Besonders reizvoll sind sicher die illustrierten Ausgaben. Trotz unvermeidbarer "Transportverluste" ist es in vielen Fällen aber auch geglückt, komplex angelegte Originaltexte in eine für Kinder zumutbare Fassung zu verwandeln und dennoch etwas von der Sprachkraft und der Aura der literarischen Vorlage zu erhalten.

Reineke Fuchs, nach Johann Wolfgang von Goethe neu erzählt von Anne Jüssen mit Bildern von Kestutis Kasparavicius, Münster 1997, Foto: Freies Deutsches Hochstift/ Frankfurter Goethe-Museum

Angefangen bei nicht intendierter Kinderliteratur, Anthologien und Biographien aus Zeiten, in denen es eine eigene Kinderliteratur noch kaum gab, über eine repräsentative Auswahl an älteren Bearbeitungen von Goethes und Schillers Texten bis hin zu neuen Bilderbüchern will die Ausstellung einen Überblick geben über die zahlreichen Versuche, an die große Literatur heranzuführen. Der Schwerpunkt liegt bei den neuesten "kindgerechten" Klassikerinszenierungen. Dazu zählen beispielsweise die von Barbara Kindermann nacherzählten und von Klaus Ensikat illustrierten "Faust" und "Wilhelm Tell", Peter Schössows "Meeresstille und glückliche Fahrt", Janoschs "Reineke Fuchs", Wolf Erlbruchs "Hexeneinmaleins" und die von Peter Härtling zusammengestellte und von Hans Traxler illustrierte Auswahl von Goethe- und Schillertexten.

Eine wichtige Vermittlerrolle in diesem "Übersetzungs"-Prozess spielen die Illustrationen, die in vielen Fällen mehr sind als illustrative Beigaben, die ebenso wie der Text von Emotionen, Widersprüchen und Spannungen erzählen können, die ins Heute hineinreichen. Aufschlussreich ist dabei auch, zu welch unterschiedlicher Bildfindung die Künstler bei ein und demselben Drama, ein und demselben Gedicht kommen. Immer aber geht es ihnen darum, dem kindlichen Betrachter - dessen Rezeptionskompetenzen allzu oft unterschätzt werden - auch Vergnügen am intertextuellen Spiel zuzugestehen. Einige dieser Illustratoren und Buchgestalter, deren facettenreiche Bildsprache Kinder wie Erwachsene begeistern, haben schon jetzt den Status von "Klassikern", denen es geglückt ist, den Bogen zu spannen zwischen Realität und Magie, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ohne dass Kunstsinn, Subtilität und Einfühlsamkeit von didaktischen Ansprüchen in den Hintergrund gedrängt werden.

Ich bin so guter Dinge, Goethe für Kinder ausgewählt von Peter Härtling, illustriert von Hans Traxler, Frankfurt a.M. 1998, Foto: Freies Deutsches Hochstift/ Frankfurter Goethe-Museum

Die Ausstellung zeigt auch eine Auswahl aktueller Original-Illustrationen, und natürlich sollen auch Comics, Cartoons und Bildgeschichten einbezogen werden, die längst Teil der literarischen Bildung sind und ebenso wie das "gute, alte Lesebuch", wie Hörbücher, Videos und anderes zur notwendigen Sprach- und Kultursensibilisierung beitragen können. Ob hierin eine Anbiederung mittels eines aufgepeppten Klassikers an sein jugendliches Publikum zu sehen ist oder der ernst zu nehmende Versuch einer unterhaltsamen, unverkrampften Annäherung an die Texte unserer großen Dichter, wird im Einzelfall zu entscheiden sein.

Das ausgestellte Material soll dabei nicht allein zum "stillen Betrachten" einladen, sondern die Möglichkeit bieten zu vielfältiger Beschäftigung mit den vorgestellten Texten und Themen: in Vorlesestunden und mit szenischen Darstellungen, in Schreib-, Mal- und Theaterwerkstätten. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der neben einem historischen Abriss über die Entwicklung der für Kinder arrangierten Klassiker eine für die Ausstellung erarbeitete Bibliographie der einschlägigen Bücher enthält, die Lehrern und allen anderen Interessierten über die Ausstellung hinaus Anregung und Arbeitshilfe bieten will. Den Kindern wird ein eigenes Ausstellungsheft zur Verfügung stehen, das zu einer spielerisch-kreativen und aktiven Beschäftigung mit dem Ausgestellten einladen soll.

Beatrice Humpert M.A.
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum

Die Ausstellung ist vom 5. Dezember 2004 bis zum 6. Februar 2005 im Arkadensaal zu sehen.

AsKI KULTURBERICHTE 2/2004

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