Goethe-Museum, Düsseldorf: ‘Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen‘ Uecker – Hafis – Goethe

Goethe-Museum Düsseldorf, Blick in die Ausstellung mit dem Mappenwerk: Günther Uecker, ‘Huldigung an Hafez‘, 2015, 42 Druckgrafiken und Holzkassette, Goethe-Museum Düsseldorf/VG Bild-Kunst

Günther Uecker im Goethe-Museum? Der ,Nagelkünstler' in einem Literaturhaus? Gegenwartskunst in einem Barockschlösschen?

Diese Fragen mag sich stellen, wer erfährt, dass das Goethe-Museum Düsseldorf den Künstler zum 90. Geburtstag mit einer Ausstellung würdigt. Doch tatsächlich passt genau diese Schau in kein anderes Haus so gut wie ins Goethe-Museum, denn es ist in Wahrheit eine Ausstellung über die Kraft der Poesie.

Ja, Poesie kann so kraftvoll sein, dass sie Künstlern keine Wahl lässt, dass sie diese fast zwangsläufig zu eigenen Werken inspiriert – und das über geografische, historische und kulturelle Grenzen hinweg. Wenn Günther Uecker sagt: „Sobald ich lese, muss ich auch malen" und Goethe erklärt: „Ich musste mich dagegen produktiv verhalten, weil ich sonst vor der mächtigen Erscheinung nicht hätte bestehen können", so beziehen sich beide auf dasselbe Werk. Beide, der Weimarer Klassiker und der Gegenwartskünstler, konnten sich der schöpferischen Energie der Gedichte aus dem „Diwan" des persischen Poeten Hafis (auch: Hafez) aus dem 14. Jahrhundert nicht entziehen. Vielmehr geriet der eine wie der andere durch die Lektüre in einen Schaffensrausch.

So entstanden der „West-östliche Divan", die größte Gedichtsammlung Goethes, und 200 Jahre später Ueckers „Huldigung an Hafez", ein Zyklus von 42 Druckgrafiken, darunter neben Siebdrucken auch Sand- und Prägedrucke. Angeregt vom Bilderreichtum der 650 Jahre alten Gedichte des persischen Poeten, führt Uecker seine weit ausschwingende Handschrift mit leuchtenden Malereien in einem temperamentvollen Tanz zusammen.

Was Goethe und zwei Jahrhunderte später auch Uecker an Hafis und dessen „Diwan" unmittelbar gefangen nahm, sind die Freiheit des Geistes und die Mehrdeutigkeit der Sprache. In seinen Gedichten reizt der Meister des doppelbödigen Sprechens den Spielraum des Sagbaren eindrucksvoll aus. Das lebendige Changieren zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem, Profanem und Heiligem, Nüchternheit und Rausch, Ernst und Ironie, rhetorischer Strenge und zwangloser Umgangssprache zeugt von derjenigen geistigen Unabhängigkeit, ja Überlegenheit, die Goethe „skeptische Beweglichkeit" nennt.

Und noch etwas trifft auf beide Künstler als Rezipienten der Lyrik des Hafis in gleicher Weise zu: Sie ließen sich durch dessen „Diwan" nicht etwa zu einem Einzelwerk inspirieren, sondern zu einer komplexen mehrteiligen Arbeit, einer – wenn man der ursprünglichen Bedeutung des Wortes ,Diwan' folgt – ,Sammlung' von Gedichten (bei Goethe) oder Grafiken (bei Uecker), die es dem Dichter des 19. wie dem bildenden Künstler des 21. Jahrhunderts ermöglicht, auf die vielschichtigen Bedeutungsnuancen der fremden Gesänge aus ferner Vergangenheit im künstlerischen Dialog ebenso vielstimmig zu antworten.

Günther Uecker sagt: „Die höchste Abstraktion, die der Mensch hervorgebracht hat, ist das Zeichen, das sich zum Wort bildet, sich zum bildnerisch-sprachlichen lesbaren Ausdruck verwandelt." Daher verwundert es nicht, dass Uecker seit 1960 eine umfangreiche Werk-Abteilung geschaffen hat, die explizit um die Themen Sprache, Schrift und Buch kreist.

Exemplarisch sei nur „Graphein" genannt, ein bibliophiles Buch, in dem Uecker sich historisch und künstlerisch mit einem guten Dutzend Schriftarten aus verschiedenen Kulturen auseinandersetzt – von der Keilschrift aus dem 4. Jahrtausend vor Christus über die chinesische, phönizische und die zypriotische Schrift, über ägyptische Hieroglyphen, die aramäische, griechische, koptische, tibetanische, arabische, hebräische und die kyrillische Schrift bis zu unseren lateinischen Buchstaben.

Hat man dieses Werk über die Schriftkul­turen der Welt vor Augen, wird deutlich: So wie Sprache und Zeichensysteme die Gedanken erst Wirklichkeit werden lassen, so verwahrt die Schrift das Wissen der Menschheit über Jahrtausende hinweg. Das ist das A und O. Und man möchte dem Alpha das Omega hinzufügen und sagen: „Im Anfang war das Wort. – Am Ende bleibt das Buch."

In dauerhafter Buchform erschien schließlich nicht nur Goethes „West-östlicher Divan", der mit seinen zwölf jeweils als ,Buch' betitelten Kapiteln im eigentlichen Wortsinn gar als ,Buch der Bücher' gelten könnte, sondern auch Günther Ueckers Grafik­zyklus „Huldigung an Hafez".

In beiden Werken, in Ueckers „Huldigung an Hafez" und in Goethes „West-östlichem Divan", werden östliche und westliche Schrift zueinander in Beziehung gesetzt und erscheinen friedlich vereint auf demselben Blatt. Neugier auf das Fremde und Selbsterkenntnis sind die Voraussetzungen für Völkerverständigung:

„Wer sich selbst und andre kennt

Wird auch hier erkennen:

Orient und Okzident

Sind nicht mehr zu trennen."

 Dr. Barbara Steingießer | Kuratorin am
Goethe-Museum, Düsseldorf


Goethe-Museum Düsseldorf/
Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung
„Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen"
Uecker – Hafis – Goethe
8. September bis 15. November 2020
www.goethe-museum.de
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog

AsKI kultur leben 1/2020

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