Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), Wiesbaden: Bedroht das Netz die deutsche Sprache?

Harm Bergen, Kinder im Internet, 2015  Foto: Harm Bengen/toonpool.com

Nicht wenigen gelten das Internet und die Digitalisierung als Einfallstor für negative Sprachentwicklungen.

Waren die Klagen in den 1990er-Jahren auf Anglizismen und die Dominanz englischer Websites beschränkt, so wird heutzutage das Schreiben in digitalen Medien und Kommunikationsformen (WhatsApp, Facebook, Pinterest etc.) für schlechten Schreibstil und Grammatikfehler, orthografische Mängel und Hybridschreibungen (Stichwort: Emojis) verantwortlich gemacht. Der Trend zu einer zunehmend negativen Sicht auf den Einfluss der digitalen Kommunikation auf die (Schrift-)Sprache scheint in den letzten Jahren auch aufgrund der rasanten Digitalisierung der Kommunikation zugenommen zu haben. In der Umfrage „Wie denken die Deutschen über ihre Muttersprache und über Fremdsprachen? Eine repräsentative Studie der Gesellschaft für deutsche Sprache" gaben die Deutschen im Jahr 2008 als Gründe dafür, warum die deutsche Sprache immer mehr zu verkommen drohe, zu 48 Prozent an, dass beim Austausch von SMS oder E-Mails wenig auf eine gute Ausdrucksweise geachtet wird. Als negativer Einfluss wurden zu 33 Prozent das Internet und andere Medien angegeben. Zehn Jahre später glauben vier von fünf Befragten in der repräsentativen Forsa-Umfrage „Sprachliche Kommunikation in der digitalen Welt", dass die digitale Kommunikation die deutsche Schriftsprache negativ beeinflusst. Hierbei wird z.B. befürchtet, dass gängige Rechtschreibnormen weniger beachtet würden und sich das Sprachvermögen von Kindern und Jugendlichen verschlechtere.

Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Unter dem Deckmantel der Anonymität werde der verbalen Aggression freier Lauf gelassen (Stichworte: Cybermobbing, Hetzsprache), kurzum: Das Netz sei Hauptgrund dafür, dass die Sprache immer mehr verfalle und verrohe. Eine solche Sicht ist einfach, und wer sich entsprechend öffentlich äußert, kann sich einer medialen Aufmerksamkeit gewiss sein. Aber eine solche eindimensionale Betrachtung verkürzt die Sicht auf die in komplexer Weise sich digital entwickelnde Welt und sie verkennt die linguistischen Befunde einerseits und die gesellschaftlichen Verhältnisse und Begründungszusammenhänge andererseits.

Von der Norm abweichende Schreibungen

  • (ham statt haben, Kleinschreibungen etc.)
  •  Abkürzungen (LOL)
  • der Gebrauch von Emotikons [:-)]
  • und Emojis .
  • Inflektiven (freu, grins)
  • Satzverkürzungen und -abbrüche

- all dies ist in der Internetlinguistik in den letzten zwanzig Jahren ausgiebig dokumentiert und analysiert worden. Die Gründe für diese schriftsprachlichen Phänomene sind vielfältig: Sprachökonomische Faktoren spielen eine Rolle, insbesondere bei Kurzmitteilungen, Rückkopplungseffekte von der gesprochenen Sprache auf die Schriftsprache (is statt ist, (ich) hab statt habe, vonnem statt von einem usw.), Gruppenstile und individuelle Ausdrucksmöglichkeiten, kommunikationsformen- und textsortenspezifische Faktoren, Text-Bild-Relationen, Assistenzsysteme wie Textein­gabehilfen usw.

WhatsApp-Beispiel
A: Sind angekommen. alles okay bei euch
B: Ja. Alles klar ....... Wie läufts?!
A: Testen Gerade
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Hervorzuheben ist zunächst, dass es um geschriebene und nicht um gesprochene Sprache geht und dass die Phänomene in interaktionsbasierten Kommunikationsformen auftreten und weniger in Textsorten wie Nachrichten oder wissenschaftlichen Texten. Und so ist auch die Frage nach den Auswirkungen auf die Sprache zu differenzieren: Auf die gesprochene Sprache ist ein Rückkopplungseffekt kaum gegeben, allein auf Ebene der Lexik haben sich netzspezifische Begriffe durchgesetzt: liken, facebooken, lollen, simsen/smsen. Inwieweit allgemein die schriftsprachlichen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen durch den Gebrauch digitaler Medien beeinflusst werden, lässt sich nach dem jetzigen Forschungsstand nur schwer beurteilen. Festgehalten werden kann, dass es keine monokausalen Erklärungen gibt und dass junge Menschen auf der einen Seite in digitalen Kommunikationsformen normabweichend schreiben, andererseits in schulischen Kontexten mehr oder weniger den orthografischen Normen folgen (können). Allerdings spielen Bildungshintergründe in den Familien und die muttersprachliche Sozialisation hierbei eine wichtige Rolle.

Schriftsprache wird in einem immer stärkeren Maße für die alltägliche Kommunikation genutzt und dringt in Domänen vor, die zuvor der gesprochenen Sprache vorbehalten waren. Allerdings lässt sich in jüngster Zeit eine umgekehrte Entwicklung beobachten: der Gebrauch von Sprachnachrichten in zuvor rein textbasierten Kommunikationsformen. Nach der o. g. Umfrage gibt die Mehrheit der Nutzer zwar an, Sprachnachrichten seltener als einmal pro Monat (24 Prozent) bzw. gar nicht (31 Prozent) zu verschicken, es erstaunt aber doch der relativ hohe Anteil derjenigen, die Sprachnachrichten verschicken: 11 Prozent der Nutzer von Messenger-Diensten verschicken täglich, 13 Prozent mehrmals pro Woche und 5 Prozent einmal pro Woche Sprachnachrichten. Zudem werden zunehmend Assistenzsysteme wie Siri oder Alexa genutzt, um mit computerbasierten Systemen zu kommunizieren.

Die vorliegenden Befunde rechtfertigen nicht, von Sprachverfall oder -verrohung zu sprechen, vielmehr findet ein sprachlicher Ausbau und Umbau statt, der auf der Folie von sprachlicher Variation und Sprachwandelprozessen erklärt werden kann. Diese Prozesse sind eingebettet in komplexe technologische und gesellschaftliche Veränderungen. Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche und eben auch unsere Kommunikation und Sprache.

Prof. Dr. Peter Schlobinski
Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache

AsKI KULTUR lebendig 2/2019

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