Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: Papierne Gärten

Guajave mit Vogelspinne. In: Maria Sibylla Merian: Metamorphosis insectorum Surinamensium, 1705, Taf. 18, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Illustrierte Pflanzenbücher der Frühen Neuzeit

„Zuerst war ich ein Kraut", schreibt der Schweizer Albrecht von Haller 1736. Als Zeitgenosse der Aufklärung nimmt der Lyriker und Arzt, der Botaniker und Universalgelehrte die Beziehungen zwischen Lebewesen und der sie umgebenden Natur in den Blick. Der Mensch erkennt sich dabei als Spezies, die mit allem Leben auf der Erde verbunden ist. Zeugnisse derart hoher Wertschätzung sind die überkommenen Kräuter- und Pflanzenbücher. Ihnen widmet das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg aktuell eine Kabinettausstellung.

Unter den verschiedenen Bedeutungsfacetten dieser besonderen Buchgattung sticht in der Anfangszeit ihr Nutzen als Gesundheitslexikon heraus. Spielt ihre Geschichte doch vor dem bedrohlichen Hintergrund zahlreicher ungebändigter Pandemien und Epidemien wie Lepra und Pest. Immer wieder geht es daher um die Frage nach den Heilkräften und Wirkungen der Pflanzen, es geht um ihre Benennungen und Merkmalsbestimmung, und es geht um die Frage, woher das jeweilige Pflanzenwissen stammt: Rezipiert der Autor antike Lehrmeinungen mediterraner Vegetation, oder fußen seine Pflanzenbeschreibungen auf eigenen Beobachtungen und schließen die heimische Flora mit ein?

Der „weitberühmte" Italiener Pier Andrea Mattioli (1501–1577) verfasste 1554 eine neue Übersetzung der antiken Heilmittellehre „De Materia Medica" des Pedanius Dioskurides (ca. 40–90 n. Chr.). Mit ausgesprochener Lust an der Beschreibung pflanzlicher Merkmale und Heilwirkungen präsentiert Mattioli eine ganz Kohorte von Gewächsen, die auf das Aufwändigste illustriert sind. Mit jeder neuen Auflage seines Dioskurides-Kommentars kommt eine neue Ebene auf die historische Wissensschicht. Die Autoren der Frühen Neuzeit standen geradezu vor einem Wissensberg, den es zu erklimmen galt. In der Ausstellung ist die von Georg Handsch bearbeitete und 1563 in Prag gedruckte deutsche Ausgabe von Mattiolis Dioskurides-Kommentar zu sehen. Sie steht exemplarisch für alle Pflanzenbücher der antiken Traditionslinie.

Tatsächlich geht es zwischen den 1480er- und den 1550er-Jahren in den deutschsprachigen Ländern um einen Paradigmenwechsel. Darf man die tradierte Überlieferung anzweifeln? Johann Wonnecke von Kaubs reich mit Holzschnitten illustrierter Bestseller „Gart der Gesundheit" erschien 1485 erstmalig im Druck. Der Autor war noch ein reiner Kompilator, der für seinen Text ausschließlich aus antiken und mittelalterlichen Quellen schöpfte. Erst mit den sogenannten „Vätern der Botanik", erst mit Otto Brunfels (1488/89–1534), Leonhart Fuchs (1501–1566) und Hieronymus Bock (1498–1554) gesellten sich zu den von Generation zu Generation weitergegebenen Erkenntnissen der Altvorderen zunehmend Eindrücke aus eigener Anschauung.

Etwas grundsätzlich Neues entstand erst 1613. Damals erschien als Auftragsarbeit des Fürstbischofs Johann Conrad von Gemmingen (1561–1612) der „Hortus Eystettensis". Das überaus repräsentative Florilegium bildet mit dem Bastionsgarten der Willibaldsburg in Eichstätt nicht nur die Pflanzenwelt eines einzelnen Gartens ab, reine Zierpflanzen rücken zunehmend in den Fokus der Betrachtung. Pflanzenbücher des Barock sollten sich in der Folge mit der Natur einen Überbietungskampf in puncto Realität und Schönheit liefern. Als papierne Paradiesgärten bringen sie den Garten Eden auf ewig in die heimische Bibliothek. Pflanzen mit ihren Blüten und Früchten mutieren im Bild vom Beiwerk zu in Nahsicht wiedergegebenen Hauptgegenständen: Einheimische Gewächse aber auch Exotica wie Limonen, Zitronen, Ananas werden oft in natürlicher Größe und Farbe täuschend echt auf imposant ausladende Papierformate gebracht. Die frühneuzeitliche Idee von Pflanzendarstellungen erlaubt Abbilder belebter und unbelebter Natur, stellt sublim Erhabenes neben Schaurig-Schönes, das einen erschaudern lässt. Der Kupferstich Maria Sibylla Merians mit Spinnen, Kolibri und Ameisen von 1705 sei exemplarisch erwähnt. Von der in der Literatur nach seinem Hauptmotiv als „Vogelspinnenblatt" bezeichneten Graphik hat die Spinne ihren Namen.

Der eigentliche Schwerpunkt der Ausstellung aber liegt auf dem Meisterwerk „Plantae selectae", das Christoph Jacob Trew ab 1750 über 23 Jahre herausgab (Abb. 2). Es gibt eine Auswahl aus rund 1.000 Aquarellen wieder, die der Pflanzenmaler Georg Dionysius Ehret (1708–1770) für ihn geschaffen hatte. Im Vergleich mit dem Merianschen Stichwerk fällt auf, dass die Ehretschen Kompositionen auf belebende Insekten als Bestäuber verzichten und stattdessen die generativen Teile selbst detailreich wiedergeben. 48 der Originalaquarelle Ehrets sind im Verlauf der Ausstellung zu bewundern.

Dr. Johannes Pommeranz |
Leiter der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums


Germanisches Nationalmuseum
Papierne Gärten. Illustrierte Pflanzen­bücher der frühen Neuzeit
Noch bis 26. September 2021
www.gnm.de

AsKI kultur leben 1/2021

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