Fundsachen für Grass-Leser - Ausstellung in der Akademie der Künste, Berlin

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Günter Grass im Atelier Karlsbader Straße 16 um 1962, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Günter-Grass-Archiv/Slg. Maria Rama; © Foto: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin

Mit einer Ausstellung unter dem Titel "Fundsachen für Grass-Leser" würdigt die Akademie der Künste den Nobelpreisträger Günter Grass anlässlich seines 75. Geburtstags.

Seit 1963 ist Grass Mitglied der Akademie und war 1983-86 auch ihr Präsident. Vom 13. Oktober bis 20. November 2002 stellt sie damit das im Jahr 1990 erworbene Günter Grass-Archiv auf 500 Quadratmetern erstmals in größerem Rahmen vor. Innerhalb der Bestände der Stiftung Archiv der Akademie der Künste steht Grass gemeinsam mit den Archiven von Peter Weiss, Hans Werner Richter, das auch die Unterlagen zur Gruppe 47 enthält, und Walter Jens exemplarisch für die kritische literarische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland; im gesamtdeutschen Kontext der Archivstiftung korrespondieren damit die Archive von Bertolt Brecht, Heiner Müller, Christa Wolf u. a. für das literarische Leben in der DDR.

Die Ausstellungsmacher - der Sekretär der Abteilung Literatur Karin Kiwus, die Grass-Archivarin Elisabeth Unger, der Architekt Lorenz Dombois und der unterzeichnende Direktor der Archivstiftung - haben, im Wortsinn, die Qual der Wahl. Etwa 60.000 Blatt Werkmanuskripte und Arbeitstagebücher sowie ca. 73.500 Blatt Korrespondenz umfasst das vorläufig bis 1989 reichende Grass-Archiv. Hiervon ist der gesamte Werkkomplex in 2300 Datensätzen erfasst, die Korrespondenz insgesamt geordnet und bis zum Buchstaben G in weiteren 4200 Datensätzen verzeichnet. Hinzu kommen ein kompletter Satz von Grass' Druckgrafik und eine Auswahl seiner Zeichnungen, vornehmlich der fünfziger Jahre. Außerdem besitzt die Archivstiftung die "Sammlung Maria Rama", ein Konvolut von 6000 Fotos der 1997 verstorbenen Fotografin, die seit Mitte der fünfziger Jahre Günter Grass' Leben, Schreiben und bildnerisches Arbeiten dokumentiert hat.

Günter Grass im Atelier Karlsbader Straße 16 um 1962, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Günter-Grass-Archiv/Slg. Maria Rama; © Foto: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, BerlinNicht nur der literarischen Rang des Werks und sein Umfang, sondern auch die archivalischen Qualitäten des Bestands sind herausragend. Mit Ausnahme der "Blechtrommel", von der 31 Kapitelentwürfe und einzelne Kapitel aus dem ersten bis dritten Buch in einer frühen handschriftlichen Fassung erhalten sind, liegen von allen anderen großen Werken jeweils mehrere Fassungen vor. Detaillierte Arbeitspläne für einzelne Titel sowie Werktagebücher geben Einblick in den Schreibprozess, und im bildnerischen Bereich überraschen immer wieder die Wechselbezüge zwischen dem zeichnerischen und dem literarischen Werk. Neben den Vögeln, Nonnen und Köchen und der Spinne des "Gleisdreiecks" beginnen sie mit zwei großformatigen Zeichnungen, die Motive aus der ersten publizierten Erzählung von Grass "Meine grüne Wiese" (1955) ausarbeiten. Dort taucht auch das u. a. im "Tagebuch einer Schnecke" wiederkehrende Schneckentier erstmals auf. Vor allem in den fünfziger Jahren erstaunt die Fülle des unpublizierten Materials; bei den Gedichten stehen beispielsweise 381 publizierte Titel 654 unveröffentlichten gegenüber. Die überaus umfangreiche Korrespondenz hat hohen zeitgeschichtlichen Wert, zumal sich auch - derzeit gesperrt - wichtige politische Briefwechsel darin finden.

Archive zu Lebzeiten wachsen in der Werkstatt des Autors weiter. Noch in diesem Jahr wird die Stiftung Archiv der Akademie der Künste die ab 1990 entstandenen literarischen Manuskripte bis einschließlich "Ein weites Feld" sowie durchgängig die Briefe, Tagebücher und Redemanuskripte übernehmen. Mit den nach "Ein weites Feld" entstandenen Werkmanuskripten, werkbezogenen Aquarellfolgen und dem umfassenden graphischen Archiv von Grass wird im Herbst dieses Jahres in seiner neuen hanseatischen Wahlheimat Lübeck ein Grass-Haus mit Ausstellungsräumen und einer Forschungsstelle eröffnet. Das von der Akademie übernommene Archivierungssystem für die Lübecker Manuskripte (die im Zuge eines Kopientausches auch nach Berlin gelangen) und die kollegiale Kooperation zwischen Berlin und Lübeck werden die Nachteile eines geteilten Archivs ausgleichen. Auch mit dem in Bremen entstandenen audiovisuellen Grass-Archiv sind Kooperationen geplant.

Günter Grass, Theater. Manuskript mit  Federzeichnung aus <Gleisdreieck>; Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Günter-Grass-Archiv, © Foto: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin

Die Berliner Ausstellung zeigt Manuskripte, Arbeitspläne, Korrespondenzen und Fotos zu den Schwerpunkten Lyrik, Danziger Trilogie - "Blechtrommel", "Katz und Maus" und "Hundejahre" - "Der Butt", "Das Treffen in Telgte", "Die Rättin" und "Ein weites Feld" sowie den politischen Autor Grass und seine Wahlkämpfe. Den biographischen Zusammenhang verdeutlicht eine Auswahl aus der Fotosammlung Maria Rama. Die bildkünstlerische Arbeit ist mit Zeichnungen der fünfziger Jahre, von Grass gezeichneten Porträts anderer Autoren, Selbstporträts in der Druckgrafik, der Aquarellfolge zu "Mein Jahrhundert" und von Grass selbst gefertigten Umschlagentwürfen vertreten, wobei sich ein Fokus auf das Wechselspiel zwischen bildnerischen und literarischen Motiven richtet.

Dr. Wolfgang Trautwein
Direktor der Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin

Als begleitende Publikation entsteht in Kooperation mit dem Steidl-Verlag eine "Archivbox" mit in Mappen zusammengefassten Blattfolgen aus dem Archiv.

 

AsKI KULTURBERICHTE 2/2002

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