Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main : Akten des 1. Frankfurter Auschwitz Prozesses werden UNESCO-Weltdokumentenerbe

Tonbandmitschnitte des 1. Frankfurter Auschwitz Prozesses im Magazin des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden, Foto: Hessisches Landesarchiv – Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Vier Tage lang beriet sich das internationale Komitee im Hauptquartier der UNESCO am Place de Fontenoy in Paris. Dann gab die Generaldirektorin der Sonderorganisation der Vereinten Nationen, Irina Bokova, am 30. Oktober 2017 die Aufnahme der Verfahrensunterlagen und Tonbandmitschnitte des 1. Frankfurter Auschwitz Prozesses in das Weltdokumentenerbe der UNESCO bekannt

Damit ist bereits das vierte Dokument, das von einem Mitglied des AsKI e.V. verwahrt wird oder in engem Bezug zu seinem Sammlungs- und Tätigkeitsschwerpunkt steht, Teil des renommierten Verzeichnisses des „Memory of the World"-Programms der UNESCO.

Die Auszeichnung „Weltdokumentenerbe" wird seit 1992 alle zwei Jahre verliehen. Jeder Mitgliedsstaat der UNESCO kann bis zu zwei Dokumente nominieren, über deren Aufnahme in das Register ein international besetztes Beratergremium entscheidet. Auf diese Weise versucht das Programm „Memory of the World" zum Erhalt des dokumentarischen Erbes der Menschheit beizutragen. Die Auszeichnung ist mit drei Zielen verknüpft: Erstens soll das betreffende Dokument vor Gedächtnisverlust und Zerstörung geschützt werden; zweitens soll ein universeller Zugang zum Weltdokumentenerbe geschaffen und drittens das Bewusstsein über die Existenz und Bedeutung des anerkannten Dokuments weltweit gestärkt werden. Die Auszeichnung ist allerdings mitnichten als Förderprogramm zur Instandsetzung des Weltdokumentenerbes gedacht, sondern vielmehr als eine Verpflichtung der Herkunftsländer für die Erhaltung und Verfügbarkeit des Dokuments zu sorgen.

Aktenvermerk von Untersuchungsrichter Heinz Düx über seinen Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz vom 26. bis 28. Juli 1963 mit selbsterstellten Fotos vom Lagergelände, Foto: Hessisches Landesarchiv – Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Deutschland ist aktuell mit 24 Einträgen im Register des Weltdokumenterbes vertreten. Unter den aufgenommenen Dokumenten finden sich die Himmelsscheibe von Nebra, die Gutenberg-Bibel, die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm, das von Carl Benz eingereichte Patent des weltweit ersten Automobils, Fritz Langs Stummfilm „Metropolis" sowie der Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs . Von besonderer Bedeutung für den AsKI e.V. waren im Jahr 2001 die Aufnahme des schriftlichen Nachlasses von Johann Wolfgang von Goethe, der sich im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung Weimar befindet, sowie eines Autographs von Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie, das zum Teil vom Bonner Beethoven-Haus aufbewahrt wird. 2015 wurde das aus dem 10. Jahrhundert stammende kartographische Werk „Kitab al-Masalik wa-l-mamalik" in das Weltdokumentenerbe aufgenommen, dessen älteste erhaltene arabische Abschrift sich in der Forschungsbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein befindet.

Mit der Auszeichnung der Verfahrensunterlagen und Tonbandmitschnitte des 1. Frankfurter Auschwitz Prozesses wurde ein Bestand zum Weltdokumentenerbe erklärt, der für das Fritz Bauer Institut im Zentrum seiner langjährigen Forschungs- und Publikationstätigkeit steht. Der vom Namensgeber des Instituts maßgeblich initiierte Prozess, der in den Jahren 1963 bis 1965 vor dem Landgericht Frankfurt am Main verhandelt wurde, ist in der öffentlichen Wahrnehmung einer der wohl bedeutendsten Versuche juristischer Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Zum ersten Mal stand hier der systematische Massenmord im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz vor einem bundesdeutschen Gericht. In 183 Verhandlungstagen wurden neben den 22 Angeklagten auch 360 Zeugen, darunter 221 Überlebende von Auschwitz und anderen Lagern, sowie 54 Angehörige der SS-Besatzung des Lagers gehört. Auf Grund der intensiven Medienberichterstattung erfuhren jedoch nicht nur die im Verhandlungssaal Anwesenden, sondern auch weite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung erstmals, was in Auschwitz geschehen war.

Eine besondere Rolle spielten dabei die zahlreichen Berichte von Überlebenden des Lagers, die zur Stärkung des Gedächtnisses des Gerichts auf Tonband aufgezeichnet wurden. Diese Mitschnitte lassen bis heute die Atmosphäre im Gerichtssaal vor über 50 Jahren lebendig werden und berühren zutiefst. Der Vorsitzende des deutschen Nominierungskomitees für das UNESCO-Weltdokumentenerbe, Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, begründete deshalb die Entscheidung für die Auszeichnung des Bestandes als Weltdokumentenerbe wie folgt: „Die Verfahrensunterlagen und Tonbandaufnahmen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses belegen das vom NS-Regime etablierte System der gezielten Tötung. Dabei beschreiben die Opfer eindringlich in eigenen Worten die Mordmaschinerie von Auschwitz. Die Dokumente besitzen nicht zuletzt deshalb eine enorme psychologische und auch emotionale Kraft, indem sie den unvorstellbaren Schrecken des größten Konzentrations- und Vernichtungslagers des NS-Regimes widerspiegeln. Sie erinnern daran, was passieren kann, wenn zu Viele Unrecht schweigend hinnehmen. Diese Eintragung in das Register gibt uns den Auftrag, heute und in Zukunft Hass und Ausgrenzung entschieden entgegenzutreten."

Tonbandmitschnitte des 1. Frankfurter Auschwitz Prozesses, Foto:  Hessisches Landesarchiv – Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Die ausgezeichneten Unterlagen – insgesamt 456 Aktenbände und 103 Tonbänder – befinden sich heute im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden. Das Hessische Hauptstaatsarchiv hat die wertvollen Dokumente im vergangenen Jahr komplett digitalisiert und sie über sein Archivinformationssystem Arcinsys einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bereits im Jahr 2004 hatte das Fritz Bauer Institut in Kooperation mit dem Hessischen Hauptstaatsarchiv und dem Deutschen Rundfunkarchiv sowie mit finanzieller Unterstützung des AsKI e.V. eine DVD-Edition mit ausgewählten Prozessdokumenten und Zeugenaussagen herausgegeben. Seit 2013 können sämtliche Mitschnitte des 1. Frankfurter Auschwitz Prozesses über das Online-Angebot des Fritz Bauer Instituts unter www.auschwitz-prozess.de angehört werden. Im Mai dieses Jahres ist anlässlich der Urkundenüberreichung zum Weltdokumentenerbe ein Symposium zur Bedeutung der Unterlagen geplant, das das Fritz Bauer Institut gemeinsam mit dem Hessischen Hauptstaatsarchiv gestalten wird. Aktuelle Informationen können der Homepage des Fritz Bauer Instituts unter www.fritz-bauer-institut.de entnommen werden.

Johannes K. Beermann
Archiv und Dokumentation Fritz Bauer Institut

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2018

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