Franckesche Stiftungen, Halle (Saale): hotel global. Eine interaktive Ausstellung für Kinder und Familien

Im Containerhafen, Foto: © Michael Lindner und FEZ-Berlin

Die Franckeschen Stiftungen haben es sich mit ihrer Neugründung 1991 zur Aufgabe gemacht, nicht nur das materielle Erbe ihres Gründers August Hermann Francke (1663–1727) zu bewahren, sondern auch mit ihren Aktivitäten an die Intentionen des Pietisten anzuknüpfen.

Ein Grundanliegen Franckes war, ein Bildungssystem für Kinder „aus allen Ständen" aufzubauen, das er mit der Gründung entsprechender Schulen realisierte. Als Francke starb, lebten und lernten mehr als 2.000 Kinder in seiner Schulstadt. Gleichzeitig suchte Francke das Niveau des Schulunterrichts zu heben, indem er zum einen die Studenten, die als Lehrer arbeiteten, in Seminaren ausbildete – diese Lehrerseminare sind die ältesten in Deutschland. Zum anderen wollte Francke die Unterrichtsinhalte im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbar" machen und gründete deshalb eine barocke Kunst- und Naturalienkammer, die als Mikrokosmos den Makrokosmos Welt widerspiegeln sollte. Diese Kammer war in das Unterrichtskonzept der Schulen integriert, was man ihr auch heute noch ansehen kann. Denn gerade die mechanischen Modelle zeugen von Franckes Intention, den Kindern in den Schulen moderne Technik vorzustellen.

An diese Traditionen knüpfen die Franckeschen Stiftungen heute wieder an, indem sie sich bemühen, Kinder und Jugendliche mit eigens für diese Zielgruppen konzipierten Ausstellungen anzusprechen. Sie werden zum Teil als bewährte Formate übernommen, zum Teil auch von den Stiftungen selbst konzipiert. Der größte Erfolg war in dieser Hinsicht die zum Reformationsjubiläum 2017 entwickelte Ausstellung „Du bist frei. Reformation für Jugendliche". Sie sprach bewusst Jugendliche als eine von der Institution Museum vernachlässigte, weil schwierige Zielgruppe an. Im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte haben die Franckeschen Stiftungen mehrere Kinderausstellungen präsentiert, die vom „Alice – Museum für Kinder im FEZ-Berlin" konzipiert worden sind, wobei die Stiftungen Kooperationspartner waren: „Erzähl' mir was vom Tod. Eine interaktive Ausstellung über das Davor und Danach" (2003/2004), deren Ziel es war, Kindern das gesellschaftlich verdrängte Thema Tod spielerisch näherzubringen, sowie „Achtung Familie. Eine interaktive Ausstellung für Kleine & Große" (2008/2009), die das gesellschaftliche Phänomen Familie (vor allem) Kindern vorstellte, um sie zur Reflexion darüber anzuregen.

In der Hotelküche, Foto: © Michael Lindner und FEZ-Berlin

Mit der Übernahme von „hotel global. Eine interaktive Ausstellung für Kinder und Familien" führen die Franckeschen Stiftungen ihre Zusammenarbeit mit dem „Alice – Museum für Kinder" fort. . Den Anlass dafür, diese Ausstellung zu zeigen, gab das Thema „Bewegte Zeiten. Zur Geschichte und Zukunft des Reisens" des kulturellen Themenjahres 2018 der Franckeschen Stiftungen, das Reisen und Migration aus historischer Perspektive, aber auch in ihrer Relevanz für die Gegenwart einer breiten Öffentlichkeit vorstellte. Die Jahresausstellung 2018 „Durch die Welt im Auftrag des Herrn. Reisen von Pietisten im 18. Jahrhundert" behandelte das Thema in seiner kulturhistorischen Dimension mit Blick auf die eigene Geschichte. Dazu sollte die Kinderausstellung sowohl hinsichtlich der Zielgruppe als auch durch die Fokussierung auf die Globalisierungsphänomene der Gegenwart einen Kontrapunkt bilden.

Schauplatz der Ausstellung ist das „hotel global". Die Besucher checken an der Rezeption ein und erhalten einen Pass, in dem Sie die Ergebnisse ihrer Erkundung der einzelnen Themenbereiche, die sich hinter den Zimmertüren des Hotels verbergen, festhalten können. Anschließend werden sie vom Hotelboy Jonas Jablonsky empfangen, der als Trickfilmfigur in die Ausstellung einführt. In den folgenden Räumen dient er als „Reiseführer", der an Hörstationen in einer Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit Hintergrundinformationen zu den außergewöhnlichen Hotelgästen gibt. Acht Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft mit ihren zukunftsweisenden und beispielhaften Projekten „bewohnen" die Zimmer des Hotels. Jedoch sind dies keine normalen Hotelzimmer, sondern man betritt überrascht eine Szene aus der Lebenswelt der Protagonisten, z. B. den afrikanischen Regenwald, in dem die Primatenforscherin Jane Goodall die Schimpansen schützt.

Im ersten Raum ist Felix Finkbeiner untergebracht, der schon mit neun Jahren die Umweltschutzorganisation „Plant-for-the-Planet" gründete, die es sich zum Ziel gesetzt hat, in jedem Land mindestens eine Million Bäume zu pflanzen. Die Besucher befinden sich in einem multimedialen Seminarraum der Klimabotschafter, überall hängen Poster, Tabellen und Diagramme zum Klimawandel und in einem Film stellt Felix seine Initiative vor. An einem Touchscreen können die Besucher ihren eigenen ökologischen Fußabdruck ermitteln.

In der danebenliegenden Hotelküche stellt der Chocolatier, Koch und Biolandwirt Josef Zotter sein Konzept vom Umgang mit Nahrungsmitteln vor, die trotz globaler Nahrungsproduktion biologisch angebaut sind und fair gehandelt werden. Ein multimediales Koch-Spiel konfrontiert die Kinder spielerisch mit der globalen Dimension unserer Ernährungsgewohnheiten. Gegenüber in der Wäschekammer erzählt das Zimmermädchen Fatima, das aus Marokko stammt, von ihrer eigenen Arbeitsmigration und den harten Arbeitsbedingungen in Deutschland.

Im letzten Ausstellungsraum diskutiert eine Moderatorin mit einer Kindergruppe über deren Eindrücke, Foto: © Michael Lindner und FEZ-Berlin

Im Nachbarraum ist das Fotostudio der französischen Fotografin Catherine Balet eingerichtet, die Dress-Codes von Jugendlichen in Europa untersucht und diese in ihrem individuellen Outfit fotografiert hat. Sie kann zeigen, dass es Jugendlichen trotz der Uniformisierung der Mode durch die weltweit agierenden Bekleidungsketten gelingt, einen persönlichen Kleidungsstil zu entwickeln. Gegenüber wohnt der Kapitän Mischa Richter, der mit seinem Containerschiff im Liniendienst zwischen Westeuropa und China fährt. Der Raum ist wie ein Containerhafen gestaltet und die Besucher erhalten durch das eigenhändige Umladen von Miniaturcontainern Einblick in die Dimensionen und die Technologien des weltweiten Handels. Als historisch anmutendes Eisenbahnabteil ist das Hotelzimmer von Phileas Fogg, dem Protagonisten aus Jules Vernes Roman „In 80 Tagen um die Welt", gestaltet. Man kann es sich hier gemütlich machen, während vor dem Abteilfenster ein Zeichentrickfilm abläuft, der die zunehmende Beschleunigung des Personentransports durch die Entwicklung der Transportmittel von ihren Anfängen bis heute darstellt.

Um das Thema Religion geht es bei Gregor Hohberg, einem Berliner Pfarrer, der dort die Errichtung einer Gebetsstätte und damit eines Ortes der Begegnung für Juden, Christen und Muslime initiiert hat. In Filmsequenzen erzählen Berliner Kinder, die einer dieser drei Religionsgemeinschaften angehören, von ihrem Alltag. Im als Urwald gestalteten Nachbarraum erzählt die Primatenforscherin und Umweltaktivistin Jane Goodall, die auch Schirmherrin der Ausstellung ist, von ihren Forschungen, dem Schutz der Tiere und deren Umwelt. Das Inventar des Raumes informiert auf kindgerechte Weise über Primaten und deren Erforschung.

Ergänzt wird die Ausstellung durch einen Hotelshop und die Passagierkabine eines Flugzeugs. Der Shop informiert über die Produktionsbedingungen und die Kostenfaktoren bestimmter Produkte wie Turnschuhe oder Jeans. Hier sollen die Besucher dafür sensibilisiert werden, dass sie durch ihr Kaufverhalten die Qualität eines Produktes, aber auch die wirtschaftliche und soziale Situation von dessen Produzenten beeinflussen können. Das interaktive Wirtschaftsspiel in der Flugzeugkabine lässt die Besucher in die Rolle von Geschäftsleuten schlüpfen, die Rohstoffe einkaufen sollen und sich dabei entscheiden müssen, ob sie sich nur am niedrigen Preis oder auch an ökologischen oder sozialen Kriterien hinsichtlich der Produktion orientieren.

Im letzten Ausstellungsraum sind die Besucher eingeladen, ihren Besuch der Ausstellung zu reflektieren und ihre Eindrücke auf bereitliegenden Zetteln festzuhalten. Für Gruppen, die die Ausstellung besuchen, stehen Moderatorinnen und Moderatoren bereit, die hier die gewonnenen Impressionen nochmals diskutieren und reflektieren.

Über 1.000 Kinder besuchten seit der Eröffnung im Dezember 2018 bis zum Anfang Februar 2019 die Ausstellung. Damit überstiegen die Besuche der Mitmachausstellung zeitweilig sogar die Tagesbesucherzahlen des Publikumsmagnets der Franckeschen Stiftungen, der barocken Kunst- und Naturalienkammer.

Dr. Claus Veltmann
Kustos der Franckeschen Stiftungen zu Halle


Franckesche Stiftungen zu Halle, Halle (Saale)
hotel global. Eine interaktive Ausstellung für Kinder und Familien
2. Dezember 2018 bis 11. August 2019
www.francke-halle.de
Zur Ausstellung ist das pädagogische Handbuch „Willkommen@HotelGlobal – Ein interaktives Abenteuer für alle Weltentdeckerinnen und Weltentdecker" erschienen, dass unter
https://alice-museum-fuer-kinder.fez-berlin.de
heruntergeladen werden kann.

AsKI KULTUR lebendig 1/2019

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