Ein universales Künstlerhaus - 100 Jahre Villa Romana

Max Klinger, Kuss der Sirene, ® Sammlung Villa Romana, Florenz

Ein Künstlerhaus ist immer auch sein Gegenteil. Was immer ein Künstlerhaus sein mag, was immer auch ein Künstlerhaus begründen mag, das Gegenteil davon ist ebenso zutreffend. Das zeigt sich besonders deutlich auch am Gründungsmythos des Künstlerhauses Villa Romana.

Die Architektur der Villa Romana formt sich aus in einem klassizistischen Kulturtempel, welcher im Sinne seines Stifters nicht der deutschen Nation allein, sondern der ganzen Menschheit gewidmet ist.

Als Ort für diese so kühne wie umfassende Kulturutopie des Stifters der Villa Romana, des Bildhauers, Radierers und Malers Max Klinger, war einzig und allein Italien und hier nur Florenz als Ort angemessen. Das in der Toskana gelegene Florenz symbolisiert eine Liebe zur Natur: der Name Florenz "florentina" impliziert eben nicht nur einen faszinierenden Salon ihrer Vergangenheit, sondern einen Garten der Welt mit süßlich-betäubenden Düften, eine Stadt der Blumen, einen Ausschnitt aus dem Paradies, ein Dasein in Harmonie mit dem Schöpfer. Florenz als Geburtsstätte der italienischen Renaissance steht zudem in einer ganz eigenen Beziehung zur griechischen und römischen Antike. In Florenz steht die Villa Romana antithetisch zur politischen Macht der Adels-Paläste, antithetisch zur militärischen Gewalt in Form des Forte Belvedere und auch antithetisch zum Dom als Sitz des christlichen Glaubens.

Max Klinger genoss ganz im Kontext des deutschen Klassizismus eine humanistische Gymnasialbildung, was den Leipziger Fabrikantensohn zu einem selbstbewussten Bildungsbürger machte. Im klassizistischen Gebäude der Villa Romana als Gegensatz zu den Renaissance-Adelspalästen der Florentiner haben nun Künstler seit einhundert Jahren einen ganz ihnen eigenen Bereich für ästhetischen Genuss, für Bildung- eben deshalb gibt es eine Bibliothek in der Villa Romana-und für künstlerische Gestaltungsfreiheit zum ausschließlichen Zweck einer künstlerischen Selbstvervollkommnung.

Das Künstlerhaus Villa Romana ist ganz offensichtlich das Architektur gewordene Zeugnis jener Kunstreligion Goethes und des Weimarer Idealismus, wonach die Betrachtung der Kunst-insbesondere die der Antike-den Menschen zu jener Vollkommenheit erhebt, die er als ein gesellschaftlich bedingtes Wesen auf anderem Weg kaum je erreichen kann. So wird in Schillers berühmten Briefen "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" von 1795 klar unterschieden zwischen dem Reich der Kunst und den gesellschaftlichen Zwängen, dem der Mensch unterliegt und die er auch durch Revolutionen letztlich nicht zu ändern vermag. Das sich aber durch gesellschaftliche Veränderungen ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit verwirklichen lässt, fordert das Oeuvre der Villa Romana-Preisträgerin von 1906, Käthe Kollwitz, ein.

Trotzdem ist von Wichtigkeit, besonders im geschichtlichen Kontext des Jahres 1905, dass Klinger gerade entgegen dem Geist des wilhelminischen Kaiserreiches kein Künstlerhaus zur nationalen Größe Deutschlands gründen wollte, sondern lediglich ein Künstlerhaus für deutsche Künstler in Italien. Klingers Stiftung versteht sich ausdrücklich und von Anfang an als ein Ort der Menschheitsbildung durch die Verehrung aller Künste und Kulturen der Welt. Besonders deutlich wird dies im Ägyptischen Zimmer der Villa Romana, in dem Orient und Okzident aufeinander stoßen. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass Künstler Kunst schaffen, die sie dann der Welt überlassen- aus einem inneren Drang und Verlangen heraus, welches letztendlich nur von Künstlern, Kunstbegeisterten und Kunstsammlern zu verstehen ist. Dafür steht auch die Kunstsammlung der Villa Romana, die in Ausstellungen Kunst von Villa-Romana-Preisträgern der Welt zugänglich macht.

Ein Künstlerhaus ist immer auch sein Gegenteil: Italiensehnsucht, Antikenverehrung, Liebe zur Natur, Historismus und ästhetische Religion, Menschheitspathos und patriotische Gesinnung, Nationalismus und Universalismus- das sind um 1900 offensichtlich keineswegs Gegensätze, die sich ausschließen, sondern komplementäre Leitbilder des Künstlerhauses Villa Romana sowohl in ihrer geistigen wie auch ihrer gebauten Architektur von Anbeginn. Der Mensch ist frei einzig in der Kunst und nur in den Künsten, und nur als künstlerisches Wesen ist er wirklich ein Mensch. Diese ästhetische Grundüberzeugung der Weimarer Klassik, die in der griechischen und römischen Antike und in der vom Humanismus des Erasmus von Rotterdam geprägten italienischen Renaissance wurzelt, reicht mit ihrem fortdauernden, prägenden Einfluss bis in die Gegenwart.

Ein Künstlerhaus ist immer auch sein Gegenteil - auch davon spüren viele Villa-Romana-Preisträger etwas. So kann ein Künstlerhaus ein Ort der Freiheit, der Ruhe, der geistig-kulturellen Erbauung sein, aber auch eine Stätte düsterer Gedanken für die Künstler: "Für uns, die Dunklen, aus der Gotik Geborenen, die das Schattenreich bevölkern" - so Markus Lüpertz bei der Eröffnung der Jubiläumsausstellung der Villa Romana in Weimar- eine Stätte der Einsamkeit, des sich Verlassen-Fühlens, der Menschenferne. Klinger wusste aber auch, dass erst in dieser Zurückgezogenheit ein sinnlicher Genuss im Sinne der klassizistischen Ästhetik möglich ist, eben in Form der Verehrung, ja Huldigung graziler, betäubend schöner Frauengestalten wie Diana und Aphrodite und junger, muskulöser Männerkörper in Gestalt von Merkur und Herkules. Zugleich war dem Stifter der Villa Romana in seinem ganz persönlichen Leben gewahr, dass zwischen Ästhetik und Sexualität, lustvoller Betrachtung und gelebter Partnerschaft ganze Welten liegen. Für Klinger selbst kam dieser Spagat in seiner letztlich schwierigen Persönlichkeit zum Tragen, die ihn selbst kein ruhiges Eheleben führen ließ. Vom Park, von den vielen Fenstern und der Dachterrasse der Villa Romana in Italien- wobei Markus Lüpertz Italien als "die Helle, die Schöne, die Griechenland Arkadien stahl" charakterisierte- fällt der Blick auf den Dom von Florenz. Der Dom steht antithetisch zu seiner Umgebung und ist doch sichtbarer Bezugspunkt für alles. So kann die Villa Romana auch ein Locus christlicher Identitäts- und Sinnsuche sein, ganz im Sinne Klingers, der gerade als Künstler um seine Grenzen wusste. Ästhetische Kunst und Kultur, sie erschienen Klinger unwichtig im Angesicht von Tod, Verwundung, Verkrüppelung und Leid so vieler Menschen im I. Weltkrieg. Eben deshalb kommt in Klingers Oeuvre immer und seit Beginn eine christliche Ebene zum Tragen, die an die österliche Auferstehungshoffnung anknüpft, ganz im Sinne des Propheten Hiob, der da schreibt: "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt." (Hiob 19,25). Ein universales Künstlerhaus ist immer ein Ort der Freiheit, aber auch sein Gegenteil, und eben im Sinne Klingers eine Stätte, die sich der Transzendenz und der christlichen Religion gewahr ist

Andreas M. Rauch


Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Villa Romana erschien im Auftrag des Deutschen Kunsthistorischen Instituts in Florenz-Max Planck Institut das Buch "Mir tanzt Florenz auch im Kopfe rum. Die Villa Romana in den Briefen von Max Klinger an den Verleger Georg Hirzel".
Herausgegeben und eingeleitet von Angela Wildholz. Deutscher Kunstverlag. Edition Imorde. Berlin, 2005, Ln., 496 S., ISBN 3-422-06592-X

 

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