EDITORIAL

Titelbild kultur leben 2/22: Digitale Bearbeitung v. Lucas Cranach d. Ä., Venus mit Amor als Honigdieb vor schwarzem Grund, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg (GMN), Inv.-Nr. Gm1097.

Das zu Ende gehende Jahr konfrontiert uns mit mehr weltweiten Veränderungen als jedes andere seit 1989. Der durch den russischen Diktator angezettelte Krieg gegen die Ukraine, Europa und die von den Lebensmittellieferungen abhängigen außereuropäischen Staaten steht dabei fraglos an erster Stelle, aber auch die Zunahme des Rechtsextremismus und des Populismus spielen eine große Rolle. Die abnehmende Bereitschaft zu Toleranz und Verständnis spüren nicht zuletzt viele Kultureinrichtungen. Wer sich über ein ausgestelltes Objekt oder eine Aussage ärgert, schreibt oft keinen Brief mit Beschwerde oder Nachfrage mehr, sondern „teilt" seinen Ärger als vermeintlich einzige Wahrheit mit einer breiten Öffentlichkeit. Dies war ein Ansatzpunkt für eine wissenschaftliche Tagung des AsKI, die im September 2022, eher zufällig unmittelbar nach dem Ende der „documenta fifteen", im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main stattfand.

Zur vermeintlichen Gendergerechtigkeit, zur kulturellen „Aneignung" und zur angeblichen Identität vermag sich jeder zu äußern, auch ohne einen faktenbezogenen Hintergrund. Allenfalls verweist man darauf, dass man sich angegriffen oder beleidigt „fühle", dann spielen Sachargumente ja keine Rolle mehr. Allzuleicht schließt man sich in den „sozialen" Medien vorgetragenen Protesten an, ohne die Fakten zu überprüfen – was andere gesagt haben, wird schon irgendwie stimmen. Solche „Aufreger" sind inzwischen weit verbreitet und werden immer beliebter, weil man sich an Debatten auch mit geringer Sachkenntnis beteiligen kann. Dürfen weiße Musiker Dreadlocks tragen oder ist es Zensur, ihre Konzerte genau deshalb abzusagen? Darf man in steuerfinanzierten Museen oder Ausstellungen Abbildungen nackter Menschen zeigen? Wie steht es um die „Aneignung" fremden Kulturguts, um die Ausstellung außereuropäischer Kunstwerke bzw. Kulturgüter, um die wissenschaftliche Erklärung afrikanischer oder asiatischer Kunstwerke durch Europäer, wie mit außereuropäischer Musik, gespielt von Europäern? Müssen Kunstwerke, die das moralische Empfinden einzelner Besucher stören könnten, gekennzeichnet oder gar abgehängt werden?

Beispielhaft haben die Referenten der Tagung diese und vergleichbare Fragen behandelt. Durchgeführt als interne Veranstaltung des AsKI, wollen wir mit diesem Heft einige der Beiträge einer breiten Leserschaft zur Verfügung stellen und nach der Diskussion vor Ort – öffentlich war nur die vom Hessischen Rundfunk übertragene abendliche Podiumsdiskussion – nun einen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte liefern.

Namens des Vorstandes danke ich allen Mitwirkenden, Autoren und Organisatoren und nicht zuletzt der Geschäftsstelle des AsKI unter Leitung von Dr. Jessica Popp, die Tagung und Heft umfassend und souverän vorbereitet haben. Der Dank gebührt selbstverständlich auch Franz Fechner und Silvia Fröhlich und für die Tagung selbst der Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, sowie für die gelungene Moderation Dr. Konrad Heumann, dessen Anregung zum Tagungsort wir gerne aufgegriffen haben.

Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir uns mit diesem Fragenkomplex beschäftigt haben, aber ich hoffe, dass wir mit den nachdenklichen und nachdenkenswerten Beiträgen zur Versachlichung der Debatte beitragen können.

 

Prof. Dr. G. Ulrich Großmann, © Foto: Frank Boxler/GNM

 

 

 

 

 

 


Prof. Dr. G. Ulrich Großmann
Vorsitzender des Arbeitskreises
selbständiger Kultur-Institute e.V. - AsKI

AsKI kultur leben 2/2022

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