EDITORIAL

Titelbild kultur leben 1/22: Richard Mosse, Madonna and Child, 2012, aus der Serie Infra, Digitaler C-Print; © Courtesy of the artist, Jack Shainman Gallery, New York and carlier | gebauer

Es gibt Ereignisse von einer so ungeheuren Tragweite außerhalb unserer Tätigkeit, dass es kaum möglich ist, sie nicht zu erwähnen, zumal wenn sie die Debatten, die in der Kultur der Bundesrepublik Deutschland geführt wurden – und sicher auch weiter werden – auf einmal in den Hintergrund treten lassen. Wir erleben in diesem Frühjahr einen verbrecherischen Angriffskrieg, den zum zweiten Mal binnen eines Zeitraums von 80 Jahren die Ukraine als Opfer erleiden muss. Einige wenige unserer Mitgliedsinstitute haben Kontakte in das vom Krieg überrollte Land, einige wenige in das von einer Diktatur gefesselte Russland, dass vieles, was wir kennen, in den Schatten stellt. Sollte es Chancen geben, dass unsere Mitglieder den Betroffenen helfen und der AsKI sie hierbei unterstützen kann, werden wir dies tun.

Vor allem Diktaturen machen uns immer wieder deutlich, welche Waffe die Kultur ist. Sie ist oft das erste, gegen das sich Verbote und Verfolgungen richten, aber sie wird auch immer wieder missbraucht und verfälscht, wie dies jüngst die kruden Äußerungen des russischen Diktators gezeigt haben. Kultur ist allerdings kein Garant, verbrecherische Diktaturen zu verhindern, doch die Unterdrückung der Menschen geht immer einher mit der Unterdrückung der Kultur.

Die Naivität – um nicht schlimmeres zu un­ter­stellen –, mit der manche bekannte Künstler willfährige Helfer und Propagandisten von Diktatoren sind, ist nur ein Aspekt dafür. Die Frage, wie man mit entsprechenden Künstlern, jüngst waren es in Deutschland vor allem einzelne Musiker, umgehen soll, führt uns übrigens wieder zu der Debatte um die „cultural correctness" zurück. Die Verzahnung von Kultur und Wissenschaft kann helfen, aufzuzeigen, wo Kultur von Diktaturen missbraucht wird – die Beispiele reichen von den propagandistischen Werken gleichgeschalteter Künstler im „Dritten Reich" bis zu den jüngsten pseudohistorischen Auslassungen in Russland – und sie kann freiheitliche Bestrebungen in diktatorischen Staaten erkennen helfen. Wenn wir uns den Rang der Kultur vor Augen führen, können wir auch nach außen unsere eigene Rolle vermitteln.

Hochaktuell ist die Ausstellung in der Kunsthalle Bremen, die den aus Irland stammenden Konzeptfotografen und Videokünstler Richard Mosse in den Mittelpunkt rückt, der sich mit Kriegsfotografie und Fotografie in Krisengebieten auseinandersetzt, auch wenn die Ausstellung vor dem aktuellen Angriffskrieg Putins entstanden ist und weder dieser Beitrag noch die anderen im neuen Heft „kultur leben" auf diese jüngste Ereignisse Bezug nehmen können.

Zu den Aufgaben vom „kultur leben" gehört es, neue AsKI-Mitglieder vorzustellen. In der letzten Mitgliederversammlung im November 2021 wurde die Aufnahme des Jüdischen Museums Franken beschlossen. Das aus drei Standorten bestehende Museum, das Rang und Umfang jüdischen Lebens in Mittelfranken beispielhaft erforscht und darstellt, wird in einem Beitrag der Direktorin, Daniela Eisenstein, vorgestellt.

Mit jüdischer Kultur hat auch das Projekt „TSURIKRUFN" zu tun, das der AsKI 2021 ins Leben gerufen hat. Das jiddische Wort steht für „erinnern". Es hat sich als das erfolgreichste Projekt der letzten Jahre erwiesen und trägt dazu bei, den AsKI in eine stärker digitale Zukunft zu führen, die neben der analogen ein wichtiger Weg der Vermittlung unserer Institutionen und ihrer Ideen sein kann, aber auch der Sammlungspräsentation und der Forschung.

Die Rückkehr zu Präsenzausstellungen wird in vielen Häusern mit Erleichterung wahrgenommen, einige Projekte finden ihren Niederschlag in diesem Heft, erwähnt sei beispielhaft die Ausstellung „Essen als Bekenntnis" des Museums Brot und Kunst in Ulm. Ausstellungen im Kleist- und im Novalis-Museum, im Lyrik-Kabinett sowie ein Blick hinter die Kulissen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach stehen für die Literatur-orientierten Mitglieder des AsKI. Das unmittelbar an der Oder gelegene Kleist-Museum in Frankfurt/Oder eröffnete vor wenigen Wochen eine Ausstellung zu Bühnenmodellen von Aufführungen zu Kleists Schauspiel „Der zerbrochene Krug" in der DDR, mit Modellen, die teils Modernität, Experimentierlust, aber in einem Fall auch die Bauernhausforschung der 1960er Jahre zur Voraussetzung hat, die damals übrigens in West- und Ostdeutschland noch einigermaßen vernetzt war. Innovativ ist die dazu gehörende digitale Präsentation in der Ausstellung, zu deren Entwicklung ein universitäres Kooperationsprojekt Voraussetzung war. Die Brücke zum Künstlerbuch spannt der Beitrag aus dem Lyrik-Kabinett in München; an den 250. Geburtstag von Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (Novalis) erinnert das Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt.

Ich bin überzeugt, dass die Arbeit und die Präsentationen unserer Mitglieder den richtigen Weg zwischen Entspannung und Aufrüttelung durch Kultur und Kulturforschung gefunden haben. Ich wünsche unseren Projekten Erfolg und uns weitere erfolgreiche Projekte, die ihren Widerhall in den künftigen Ausgaben von „kultur leben" finden werden.

Im März 2022

 

Prof. Dr. G. Ulrich Großmann, © Foto: Frank Boxler/GNM

 

 

 

 

 

 


Prof. Dr. G. Ulrich Großmann
Vorsitzender des Arbeitskreises
selbständiger Kultur-Institute e.V. - AsKI

AsKI kultur leben 1/2022

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