EDITORIAL: Herausforderung Bildungsauftrag

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Titelbild KULTURBERICHTE 3/03 : Spielende Kinder im Jacobi-Garten, Farbige Stickerei aus Familienbesitz, Ehem. Ofenschirm aus dem Jacobi-Haus in Pempelfort, um 1800, Goethe-Museum Düsseldorf zu: AsKI-Gemeinschaftsausstellung HOMO LUDENS, © Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Das Abschneiden Deutschlands in verschiedenen international-vergleichenden Studien zur Bildungssituation ist, bei allen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern, insgesamt als unbefriedigend einzuschätzen.

Dieses Ergebnis hat eine öffentliche Debatte angestoßen und in der Kulturministerkonferenz zu konkreten Absprachen geführt. Einer der Wege, die sich abzeichnen, ist die Erweiterung des Unterrichts hin zu einer Ganztagsschule.

Sie wird besonders dort erfolgreich sein, wo es gilt, Defizite der Familie auszugleichen, Alleinerziehung und Berufstätigkeit zu kompensieren. Sie wird unser Schulsystem aber auch vor neue Probleme stellen, denn in den Nachmittagsstunden werden die Schüler besonderer Stimulanzien bedürfen, um Neues aufnehmen und geistig verarbeiten zu können. Der AsKI als Verbund von Kultureinrichtungen ganz unterschiedlicher Art ist in hervorragender Weise geeignet, durch Anschaulichkeit, Spezialisierung und Themenvielfalt diese Herausforderung anzunehmen.

Faust 1925/26 Original-Plakatentwurf von Arno Richter (zugeschrieben)nicht signiert Bleistift, Kohle, Tusche, Filmmuseum Düsseldorf, © Foto: Filmmuseum Düsseldorf

Am Beispiel von Murnaus „Faust"-Film möchte ich diese besondere Verknüpfungskompetenz verdeutlichen. Der Film als modernes Medium findet bei Schülern und Studenten ein besonderes Interesse, was sich bei selbstgewählten Veranstaltungen stets in der hohen Zahl der Anmeldungen bemerkbar macht. Bei Nachfrage zu einem gerade gesehenen Film bleiben die Antworten im Regelfall bei der reinen Wiedergabe des Inhalts hängen, die Komposition des Films wird jedoch nicht erkannt. Die Nähe, die der Film herstellen kann, schlägt damit in Sprachlosigkeit um, macht anfällig - auch im politischen Sinn - für distanzlose Reproduktion. Auf der anderen Seite gibt es eine breite Palette an vorzüglichen Studien und Abbildungssystemen, wie sie zuletzt Hans Helmut Prinzler, Vorstand des AsKI-Mitglieds Filmmuseum Berlin/Deutsche Kinemathek, in dem von ihm herausgegebenen Band „Murnau. Ein Melancholiker des Films" (Berlin 2003) präsentiert hat.

Es gibt, folgt man diesen Beobachtungen, eine Vermittlungslücke zwischen einem hohen Standard an wissenschaftlichen Kenntnissen einerseits und mangelnden Beschreibungskategorien der jüngeren Generation andererseits. Am expressionistischen „Faust"-Film von Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) aus dem Jahr 1926 lassen sich Vermittlungsziele skizzieren:

1. Die Verbindung von Zeitschichten

Der Film führt in die Lebenszeit des historischen Faust (ca. 1480 - ca. 1540), lässt in einer Kirmes-Szenerie Seiltänzer, einen Harlekin, einen Bärenführer und Editorial einen Schattenspieler auftreten. Das historische Kolorit wird durch den von Gösta Ekman gespielten Faust verkörpert, der sich - sogar mit Hilfe des Teufels - Wissen aneignen möchte, um die Pest zu bekämpfen. Dürers vier apokalyptische Reiter lassen schon einleitend den hohen Anteil an deutlicher Symbolsprache auch in dieser Schicht erkennen. Die auf das Volksbuch von 1587 gegründete Puppenspiel-Tradition macht sich besonders in der Luftfahrt zu Macht und Herrlichkeit bemerkbar, visualisiert durch die mit Zauberkraft vollzogene Überwältigung der Herzogin v. Parma. Der Untertitel „Eine deutsche Volkssage" knüpft unmittelbar daran an. Der erste Teil von Goethes „Faust" liefert das stark variierte Grundmuster: Der „Prolog im Himmel" wird gleich in der Eröffnungssequenz aufgenommen mit einem Dialog zwischen dem Erzengel und Mephisto, den Emil Jannings in einer dämonisierenden Groß- und Kleinheit spielt. Die Schlusssequenz 13 (ich folge der Zählung von Eric Rohmer) formt den Schluss von „Faust" II um: Der in einen Greis zurückverwandelte Faust wird im gemeinsamen Tod auf dem Scheiterhaufen durch die Liebe von seiner Schuld erlöst. Das beherrschende Element der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ist eine Krudität der dominierenden Gefühlswelt, die Reduktion auf die Begierde, deren Herrschaft eine scharfe Grenze zwischen dem Territorium des Göttlichen und des Teufels markiert.

2. Der Stummfilm „Faust" setzt die Expressivität mit verschiedenen Mitteln um

Signalhafte Zwischentitel nach dem Drehbuch von Hans Kyser (eine Alternative von Gerhart Hauptmann blieb unberücksichtigt); Bühnenbilder von emotionaler Dramatik, wie das Bild von Mephisto, der als schwarzer Schatten über der gotischen Stadt erscheint, eine Einfachheit in Kleidung und Raumausstattung; eine genaue Szenenkomposition, bei der wenige Kamerabewegungen durch die Senkrechte und die Diagonale dynamisiert werden; der Wind als Atem Mephistos oder als Schneesturm; Feuer mit magischer Kraft wie bei Fausts Verjüngung oder als Aphrodisiacum für Frau Marthe. Raumübergänge werden durch Überblenden erreicht, die Personen durch Halbnah-Einstellungen und Gegenschuss vergrößert. Die junge Schauspielerin Camilla Horn (1903-1996), die als Gretchen ihren Persönlichkeitstypus spielen kann, wird durch diesen Film für Jahrzehnte zum Star.

Es bietet sich offensichtlich an, Filme, die zahlreiche kulturgeschichtliche Aspekte in sich vereinigen, als eine der Möglichkeiten sinnvoller Nutzung des Schulnachmittags einzusetzen. Dankbare Adressaten dürften nicht nur Schüler, sondern Filminteressierte aller Altersstufen sein. In der Einrichtung Ganztagsschule liegt für Museen und Kultureinrichtungen ein großes Potential, den Schulen ein qualifiziertes Programm zum Themenkreis ihrer Häuser zu offerieren. Zu dieser Problematik plant der AsKI im kommenden Jahr eine Fachtagung mit dem Titel „Der ausgefüllte Nachmittag - Herausforderung Ganztagsschule für Kulturinstitute".

Prof. Dr. Dr.h.c.mult. Volkmar Hansen,
Vorstand und Direktor des Goethe-Museums/
Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, Düsseldorf
und Vorsitzender des AsKI e.V.

 

AsKI KULTURBERICHTE 3/2003

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