Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt a. M. / Potsdam-Babelsberg: Digitale Zugänge zum Rundfunkerbe der DDR und der NS-Zeit

Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv,  Übersichtsseite des „Retro Spezial DDR

Als gemeinsam von allen ARD-Rundfunkanstalten und von Deutschlandradio getragene Stiftung bewahrt das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) einen wichtigen Teil des deutschsprachigen audiovisuellen Kulturerbes.

Kernbestände bilden zum einen die Überlieferungen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, also Hörfunkbeiträge und kontextualisierende Unterlagen aus der Zeit der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus. Zum anderen ist das DRA verantwortlich für das Rundfunkerbe der DDR, was neben dem Hörfunk auch das ehemalige Fernsehen aus der DDR betrifft.

Dieses Rundfunkerbe ist auch ein schwieriges Erbe, insofern es nachhaltig durch zwei Diktaturen geprägt wurde. Zu den besonders herausfordernden Quellen im DRA gehören beispielsweise zahlreiche der von Adolf Hitler öffentlich vorgetragenen Reden, darunter Hitlers Reichstagsrede vom 30. Januar 1939, in der er „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa" androhte. Es handelt sich dabei um eine der ganz wenigen Ansprachen, in denen Hitler den Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden offen angesprochen hat – und zwar vor Publikum, das diese Ankündigung mit Jubel und Beifall quittierte.

Solche Dokumente, die propagandistische, rassistische, antisemitische und/oder menschenverachtende Details beinhalten, können und dürfen nicht ohne Weiteres veröffentlicht werden. Trotzdem ist klar, dass sie wichtige Quellen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Zeit sind.

Mit den Rundfunk-Überlieferungen aus der DDR verhält es sich anders. Sie enthalten keine sprachlichen Gewaltakte desselben Ausmaßes. Nichtsdestotrotz tragen viele dieser Quellen eine staatsoffizielle Signatur, in die sich vielfältige Sichtweisen einer mehrere Jahrzehnte andauernden Diktatur eingeschrieben haben. Viele aus der DDR überlieferte Hörfunk- und Fernsehsendungen sind aber immer noch erlebte Lebensrealität. Vieles, aber nicht alles, was im Radio und Fernsehen der DDR lief, war Propaganda. Daher findet man einige der Sendungen des Rundfunks der DDR auch heute noch als Wiederholung im Programmalltag, andere Sendungen müssen dagegen kritischer beurteilt werden.

Bei allen Unterschieden besteht eine gemeinsame Herausforderung in der Frage, wie solche Inhalte digital oder sogar online veröffentlicht werden können – denn dann stellt sich automatisch auch die Frage nach einer angemessenen und verantwortungsvollen Präsentation. Letztendlich muss die Zugänglichmachung solcher Quellen aber immer eine Einzelfallentscheidung bleiben – nicht nur aus ethischen, sondern auch aus rechtlichen Gründen.

Das DRA stellt sich dieser Herausforderung aktuell auf unterschiedliche Art und Weise. Unter Leitung des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München ist eine wissenschaftlich kommentierte Text- und Audio-Edition der Reden Adolf Hitlers geplant, an der das DRA neben der Frankfurter Goethe-Universität und der Phillips-Universität Marburg als Kooperationspartner beteiligt ist. Ziel der Audioedition ist ein umfassender Zugang zu den Tondokumenten, der eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ermöglicht und zu neuen Fragestellungen u. a. im Bereich der Sound History anregt. Sollte das Projekt gefördert werden, wird in diesem Fall aber wohl kein uneingeschränkter Online-Zugang, sondern nur ein kontrollierter digitaler Zugang ermöglicht werden. Die eingangs beschriebene Prägung solcher Aufnahmen steht einer uneingeschränkten Öffnung im Wege.

Walter Ulbricht zu Besuch beim Deutschen Fernsehfunk in Berlin-Adlershof, wo u. a. die DDR-Nachrichtensendung ‘Aktuelle Kamera‘ produziert wurde, Foto: Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv / Waltraud Denger

Retro Spezial DDR in der ARD Mediathek

Bereits im Oktober 2020 ist das „Retro Spezial DDR" gestartet, ein Projekt, in dem das DRA in Kooperation mit der ARD Mediathek ausgewählte Beiträge aus dem Fernsehen der DDR online bereitstellt:

www.ardmediathek.de/ard/retrospezialddr

Gemeinsam mit den Rundfunkanstalten der ARD werden unter dem Label „ARD Retro" nicht-fiktionale Videos aus den 1950er- und 1960er-Jahren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dieses Archivöffnungsprojekt soll in Zukunft Schritt für Schritt ausgebaut werden. Die von Seiten des DRA zu diesem Projekt beigetragene Überlieferung ist insofern schwierig, als es sich dabei um Inhalte des staatlichen Fernsehens einer Einparteiendiktatur handelt. Gerade die nicht-fiktionalen Beiträge, wie die Nachrichtensendungen der „Aktuellen Kamera" aus der Zeit des Kalten Krieges sind aus heutiger Perspektive inhaltlich nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Wie ist beispielsweise ein Beitrag aus den 1950er- Jahren einzuschätzen, der anführt, dass Politik und Wirtschaft der Bundesrepublik zum damaligen Zeitpunkt von NS-Tätern und Täterinnen durchsetzt sind? Ohne Kontextwissen ist kaum ersichtlich, dass er auf der einen Seite eine propagandistische Intention verfolgt, auf der anderen Seite aber nicht auf falschen Tatsachen beruht. Eine tiefgehende Quellenkritik für jeden einzelnen Beitrag kann die Archivöffnung nicht leisten. Trotzdem war innerhalb des Projektteams schnell klar, dass auch solche Videos Bestandteil von "ARD Retro" sein sollten. Das DDR-Fernsehen ist Teil des Rundfunkerbes des heutigen Sendegebietes der ARD. Nicht nur, aber gerade mit Blick auf den Kalten Krieg ist die ost- und westdeutsche Fernsehgeschichte eng miteinander verflochten. Wenn solche Videos im Online-Angebot gefehlt hätten, wäre „ARD Retro" nicht als Blick auf die gesamtdeutsche Mediengeschichte zu verstehen gewesen.

Um die Besonderheit der Quellen aus dem DRA hervorzuheben, werden alle Videos mit einem Disclaimer versehen, der den einzelnen Beiträgen vorangestellt wird. Er lautet: „Ein Beitrag aus dem Archiv des Deutschen Fernsehfunks, dem ehemaligen staatlichen Fernsehen der DDR." Die Videos sind außerdem in einer anderen Farbe gekennzeichnet als die Beiträge aus den Archiven der westdeutschen Rundfunkanstalten.

Eine Vergleichbarkeit und damit auch eine Form der historischen Kontextualisierung der Beiträge wird zudem dadurch angeregt, dass diese Videos auf den thematischen Auswahlseiten im Verbund mit den westdeutschen Beiträgen zu gleichen Themen und aus dem gleichen Zeitraum angeordnet werden. Auf diese Weise können sie in Ausdrucksform und Sprache gut miteinander verglichen und in den Kontext der Zeit eingeordnet werden. Schließlich erfolgt eine Einordnung der Sendereihen, aus denen die vom DRA bereitgestellten Beiträge stammen, über kurze Fachartikel auf der Website des DRA.

Jens Kleinschneider | wiss. Dokumentar,
Deutsches Rundfunkarchiv

Dr. des. Götz Lachwitz | wiss. Fachreferent,
Deutsches Rundfunkarchiv

AsKI kultur leben 2/2022

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