Deutsches Literaturarchiv Marbach: Auf Luthers Spuren in Marbach

Lesung mit Feridun Zaimoglu, Moderation: Vanessa Greiff, Foto: Deutsches Literaturarchiv Marbach

Mit dem Projekt „500 Jahre Reformation: Luthers Bedeutung für die deutsche Kultur - Eine interdisziplinäre Spurensuche" feiert das Literaturarchiv Marbach in diesem Jahr nicht die Reformation des Glaubens, sondern vor allem die Reformation der deutschen Sprache.

Gläubiger, Reformator, Gelehrter. Neben seinen vielen Verdiensten um die Religion ist Martin Luthers Verdienst um die deutsche Sprache ebenso hochzuhalten wie sein Verdienst um den christlichen Glauben und die einfache Bevölkerung. Doch neben den beinahe verherrlichenden Attributen, mit denen die Gesellschaft Martin Luther heutzutage krönt, war er vor allem eines: Ein Mensch aus Fleisch und Blut. Diesem Menschen und seinem Gespür für die deutsche Sprache versucht das Deutsche Literaturarchiv im Lutherjahr näher zu kommen: In einer interdisziplinären Spurensuche.

Begonnen hat die Suche nach dem Menschen Luther am 22. Mai mit einer Lesung des Schriftstellers Feridun Zaimuglu. Im Mittelpunkt der Lesung stand sein Lutherroman „Evangelio", der den Menschen hinter dem Reformator beleuchtet - mit allem, was dazu gehört. Die laute und derbe Sprache des Romans versetzte die Zuhörer in eine Zeit, die wir uns heute nicht mehr vorstellen können. Dabei sind wir den damaligen Menschen gar nicht so fern. „Ich habe nie daran geglaubt, dass der Mensch so, wie er ist, jetzt so ganz anders sei. Er zieht sich anders an, er spricht eine andere Sprache, er hat vielleicht andere Sitten, aber der Mensch bleibt, wie er ist.", meint Zaimoglu. Das habe es ihm erleichtert, in diese „versunkene Welt" Luthers einzutauchen, in die er seine Leser über die Sprache mitnehmen möchte. Dabei ging es ihm in erster Linie darum, keinen „wohnzimmertauglichen Luther" zu präsentieren, sondern den abergläubischen, gequälten, lebensmüden Mann, den wir heute gerne totschweigen. An Luthers Sprache schätzt der gebürtige Anatolier, dass er keiner war, „der künstliche Grenzen zog in der Sprache". So trug Luther dazu bei, dass Feridun Zaimoglu heute sagen kann: „Deutsch ist gewaltig, man kann alles ausdrücken."

Einer anderen Luther-Spur gingen die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 10 des Goethe Gymnasiums in Ludwigsburg und des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Marbach nach. Das Schülerseminar „Spuren Luthers in der deutschen Sprache" regte die Jugendlichen dazu an, sich selbst über die deutsche Sprache Gedanken zu machen. Diese Erkenntnisse sollten die Schülerinnen und Schüler dann in einem Essay festhalten. Dabei konnten die Teilnehmer im Vorfeld eigene Fragen an das Thema stellen, immer angeleitet von Vanessa Greiff, Projektleiterin des Marbacher Lutherjahres. Konkret ging es im Seminar um die Schönheit der deutschen Sprache. Um sich dieses Thema zu erarbeiten, bekamen die Zehntklässler nach einer allgemeinen Einführung in die Form des Essays Texte unterschiedlicher Epochen zur Auswahl, darunter eine Fabel von Luther. Diese sollten sie chronologisch ordnen und nach ihrer Schönheit bewerten. Im Anschluss erhielten die Seminarteilnehmer ein Dossier mit unterschiedlichen Anregungen zu den Aspekten „Schönheit", „Dialekt" und „Sprache", unter anderem Sprichwörter und Redewendungen. Viele von ihnen gehen auf Luther zurück und werden heute noch gerne verwendet. Dann ging es an das Verfassen des Essays. Was den Schülern dabei besonders gut gefiel: Die eigene Meinung kann niemals falsch sein, so lange sie gut begründet ist.

Die dritte und bisher letzte Spur Luthers in Marbach findet sich nicht in der Sprache, sondern in der Kunst. Kunst ist ein streitbares Thema, wie die Besucher der Marbacher Podiumsdiskussion Anfang Juli erleben durften. Zu Gast waren der Kunsthistoriker und Leiter der graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart Hans-Martin Kaulbach, der Künstler Yadegar Asisi und der Kunst- und Bildgeschichtsprofessor Micheal Diers. „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte", dieses Luther-Zitat eröffnete die Podiumsdiskussion um Bilderlast und Bilderlust. Besonders hitzig wurde das Gespräch, als es um die Panoramen Yadegar Asisis ging. Während Micheal Diers den Werken Asisis das Prädikat, „Kunst" zu sein, absprach, konterte dieser mit stoischer Gelassenheit. Moderator Dietmar Jaegle und Kunsthistoriker Hans-Martin Kaulbach sorgten dafür, dass das eigentliche Thema „Bilder der Reformation" nicht aus den Augen geriet. Fazit: Es gibt keine Bilder der Reformation. Was wir sehen sind Bilder, die sich nachfolgende Generationen von der Reformation gemacht haben. Trotzdem führte dieser Akt des Aufruhrs, symbolisch oft dargestellt durch Luthers Thesenanschlag, zu einer Verweltlichung und somit zu einer Befreiung der Kunst und sorgte so neben dem Buchdruck für einen Umbruch in der Gesellschaft.

Die Gesprächsrunde „Die rebellischen Leben des Reformators" läutete das nahe Ende des Lutherjahres ein. Am 29. September waren der als unangepasst geltende Journalist und Luther-Biograph Willi Winkler sowie der württembergische Landesbischof Frank Otfried July im Deutschen Literaturarchiv Marbach zu Gast und sorgten für angeregte Gespräche auf und vor der Bühne.

Faust - ein zentraler Mythos der Moderne wird im Mittelpunkt der Lehrerfortbildung Ende November stehen. PD Dr. Carsten Rohde von der Klassik Stiftung Weimar wird die historische Faustfigur im geistesgeschichtlichen Kontext der Reformation beleuchten und die Entwicklung des Medienmythos Faust bis in unsere Tage aufzeigen.

Zum Abschluss der Spurensuche werden am 7. November die Übersetzerin Elisabeth Edl, Hannelore Jahr von der Deutschen Bibelgesellschaft und Prof. Matthias Schulz von der Universität Würzburg über die Bibel in deutscher Sprache zwischen Lebenswirklichkeit des Reformatorischen und heute diskutieren. Bei dieser Podiumsdiskussion wird Martin Luther als Übersetzer, Interpret und Literat im Mittelpunkt stehen.

Vanessa Greiff
Schulprogramm/Lehrerfortbildung
Deutsches Literaturarchiv Marbach

AsKI KULTUR lebendig 2/2017
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