Deutsch im vielsprachigen Europa - Wissenschaftliche Fachkonferenz in Brüssel

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Podiumsdiskussion <Europas Zukunft im Spannungsfeld der Sprache>, Von links: Eckhardt Barthel, Karl-Heinz Lambertz, Dr. Karin M. Eichhoff-Cyrus, Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, Sylvia Vlaeminck, Rolf-Dieter Krause, © Foto: Goethe-Institut Brüssel

Zum Ausgang des Europäischen Jahres der Sprache hat die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) einen viel beachteten Schlussakzent gesetzt.

In Zusammenarbeit mit dem Brüsseler Goethe-Institut InterNationes und der Vrije Universiteit Brussel (VUB) veranstaltete sie Ende November 2001 eine wissenschaftliche Fachkonferenz, zu der auch die interessierte Öffentlichkeit willkommen war. Der Titel: "Deutsch im vielsprachigen Europa".

In der belgischen Hauptstadt arbeitet erfolgreich ein Zweigverein der GfdS unter Vorsitz von Prof. Dr. Madeline Lutjeharms, der Organisatorin der Tagung. Schirmherrin der Konferenz war Frau Dr. Godelieve Quisthoudt-Rowohl (Europäisches Parlament). Der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Staatsminister Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, sowie die Volkswagen AG unterstützten finanziell die Veranstaltung.

In seinem Eröffnungsvortrag wies Nida-Rümelin auf die Bedeutung der sprachlichen Vielfalt in Europa hin. Unterschiedliche Sprachen seien Manifestationen unterschiedlicher kollektiver Erfahrungen. Da es nicht eine einzige, allein angemessene oder richtige Weltansicht geben könne, sei mithin die sprachliche Vielfalt eine kulturelle Bereicherung und helfe bestimmte Beschränktheiten des Bildes vermeiden.

Der in der Öffentlichkeit hin und wieder erhobenen Forderung nach einem Sprachpflegegesetz wie in Frankreich erteilte Nida-Rümelin eine klare Absage. Eine staatliche Kontrolle der Sprache sei nicht sinnvoll, da eine gute Sprache nur durch ihren lebendigen Gebrauch lebe, und sie sei zumindest in Deutschland aus historischen Gründen auch gar nicht durchsetzbar. Demgegenüber bezeichnete der Minister die sprachpflegerische Arbeit von Institutionen wie der GfdS, die durch öffentliche Veranstaltungen, Publikationen und individuelle Beratung auf einen reflektierten Sprachgebrauch des und der Einzelnen abzielt, als äußerst wichtig.

Auf die großen Erfolge seines Hauses bei der Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache verwies im zweiten Eröffnungsvortrag Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, der Generalsekretär des Goethe-Instituts InterNationes. Er wies darauf hin, dass die Verbesserung der Deutschkenntnisse im Ausland unter anderem einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellt. Die Bereitschaft, sich mit der deutschen Sprache und Kultur zu beschäftigen, sei in vielen Ländern der Welt sehr groß, und die Goethe-Institute seien oft die einzige Anlaufstelle. Leonhard appellierte in diesem Zusammenhang an die Politik, diese Einrichtungen finanziell stärker zu unterstützen und Schließungen zu vermeiden.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion zu der Leitfrage "Europas Zukunft im Spannungsfeld Sprache" griff der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Eckhardt Barthel, diese Forderung auf: Die Förderung der Sprache im In- und Ausland sei eine kulturpolitische Aufgabe. Als wichtigen Punkt sieht Barthel die Förderung der Fremdsprachenkenntnisse; hier hofft er durch Schüleraustauschprogramme mehr als bisher zu bewegen.

In den wissenschaftlichen Fachvorträgen, eröffnet durch einen Plenarvortrag von Prof. Dr. Albrecht Greule (Regensburg), der neue Aspekte der Sprachkultivierung aufzeigte ("Weg von der konservativen, nationalistischen Sprachpflege von einst, hin zu einer internationalistischen Kommunikationskultivierung"), wurden die inhaltlichen Aspekte weiter vertieft. In zwei Sektionen referierten namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland. So hob etwa in Sektion I ("Die Kultursprachen in der EU", Leitung Prof. Dr. Rudolf Hoberg, Wiesbaden, und Prof. Dr. Madeline Lutjeharms, Brüssel) die Innsbrucker Romanistin Prof. Dr. Petra Braselmann hervor, dass Frankreich - von den Befürwortern einer Sprachgesetzgebung in Deutschland immer wieder als Vorbild genannt - etliche radikale Regelungen längst als Fehler erkannt und bereits wieder rückgängig gemacht habe.

Prof. Dr. Margot Heinemann (Zittau) machte am Beispiel Polens deutlich, wie wichtig Deutsch als Fremdsprache in den östlichen Nachbarländern ist. Aus französischer Sicht bestätigte Dr. Albert Salon (Paris) das Anliegen einer möglichst großen Sprachenvielfalt in Europa. Auch Prof. Dr. Martin Durrell (Manchester) sieht die "Gefahr", Englisch könne sich trotz aller prinzipiellen Entscheidungen als einzige tatsächlich verwendete EU-Verwaltungssprache durchsetzen: "Mehr denn je stimmt das alte Schlagwort 'English is not enough`, vor allem innerhalb der EU."

Hingegen wies Prof. Dr. Ulrich Ammon (Duisburg) darauf hin, dass pauschale Aufrufe zur Vielsprachigkeit wenig bewirken. Es gelte vielmehr die unterschiedlichen Sprachinteressen in den verschiedenen europäischen Ländern angemessen zu berücksichtigen.

Praktische Probleme wurden in Sektion II ("Sprachen und Recht", Leitung Prof. Dr. Gerd Antos, Halle, und Dr. Karin M. Eichhoff-Cyrus, Wiesbaden) behandelt. So setzte sich u. a. Prof. Dr. Rainer Wimmer (Trier) mit Sprachproblemen im Verhältnis von deutschem Recht und EU-Recht auseinander, Prof. Dr. Konrad Ehlich (München) diskutierte, ob die Verwendung von Deutsch als Wissenschaftssprache eine Rechtsfrage sei, und Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (Berlin) forderte die Einführung einer eigenen Fachdisziplin Rechtslinguistik, in der Juristen und Sprachwissenschaftler zusammenarbeiten sollen.

Das Abschlusspodium fasste die verschiedenen Themen der Tagung zusammen. Prof. Dr. Armin Burkhardt (Magdeburg), der GfdS-Vorsitzende Prof. Dr. Rudolf Hoberg, Prof. Dr. Eva Neuland (Wuppertal), Dr. Werner Roggausch vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (Bonn), der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, Prof. Dr. Gerhard Stickel, und der Generalsekretär der Belgisch-Deutschen Gesellschaft in Brüssel, Dieter W. Volkmar, waren sich einig, dass in Europa die sprachliche Vielfalt als ein Garant kulturellen Reichtums erhalten bleiben müsse. Dies sei unter anderem eine Aufgabe der Politik. Dabei seien auf nationaler Ebene Sprachgesetze im Sinne von Fremdwörterverboten der falsche Weg; vielmehr sei eine Unterstützung der Fremdsprachenkenntnisse vermittelnden Institutionen und eine Stärkung der verschiedenen Sprachen in der EU erforderlich. Es sei nicht akzeptabel, dass faktisch nur Englisch und Französisch als EU-Amtssprachen verwendet werden. Besonders das Deutsche, mit etwa 100 Millionen Sprecherinnen und Sprechern die größte der europäischen Sprachen, müsse hier stärker berücksichtigt werden.

Die seit Jahrzehnten kontinuierliche, ausgewogene und wissenschaftlich fundierte sprachpflegerische Arbeit der GfdS fand auf der Konferenz allenthalben Zustimmung. In den repräsentativen Räumlichkeiten des Brüsseler Goethe-Instituts war gleichzeitig eine multimediale Ausstellung zur deutschen Sprache zu sehen, betitelt "Herzliche Grüße ... - Deutsch entdecken".

Dr. Jochen A. Bär
wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Germanistische Linguistik
mit besonderer Berücksichtigung der Sprachgeschichte,
Universität Heidelberg

Nachdruck eines Beitrags aus: "Der Sprachdienst" 1/02 (Gesellschaft für deutsche Sprache, Wiesbaden).

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/2002

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