Das neue Richard Wagner Museum - 2. Teil

Haus Wahnfried, Gartenseite: Eröffnungsfeier am 26.7.2015 - Foto: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

Fortsetzung von Teil 1

Hinzu kamen die Umbauten nach dem Krieg, mit denen Wieland Wagner das Haus für sich und seine Familie bis zu seinem Tod wieder bewohn- und nutzbar gemacht hatte.

„Man kann nicht in einem Museum leben, auch wenn es das des eigenen Großvaters ist", hatte Wieland Wagner einmal gesagt, und so verwandelte er die Ruine in ein zeitgemäßes Wohnhaus im Stil der 1950er Jahre. Nur die Vorderseite und der Westflügel waren erhalten geblieben, während die Gartenseite ohne den zerstörten Saal mit der prominenten Rotunde, dafür ausgestattet mit großen Panoramafenstern in nichts mehr an die historische Anmutung erinnerte.

Gleiches galt für die Innenräume: War ein Großteil der ursprünglichen Ausstattung und des Mobiliars bereits durch Kriegseinwirkung und Plünderungen verloren gegangen, so hatte Wieland Wagner zweckmäßiger Weise die haushohe Halle durch eine Zwischendecke teilen und die Seitenwände entfernen lassen und so Zuschnitt und Proportionen des Hauses auch innen vollständig verändert: Während im Erdgeschoss ein großzügiges Wohnzimmer entstanden war, war das Obergeschoss durch den nunmehr geschlossenen Luftraum über der Halle auf der gesamten Grundfläche nutzbar geworden. All diese Veränderungen wurden durch die Rekonstruktion zu Museumszwecken rückgängig gemacht und die zerstörten Gebäudeteile wieder aufgebaut.

Erschienen dabei die Halle und vor allem die Wände und Decken des wiederaufgebauten und vollständig rekonstruierten Saals schon bislang in ihrer originalgetreuen Anmutung, so war das jedoch ausgerechnet bei den bauzeitlich erhaltenen Räumen, Cosimas „Lila Salon" und dem Speisezimmer nicht der Fall, obgleich hier durchaus aussagekräftige fotografische Dokumente existieren. Nachdem im Zuge der Bauarbeiten auch noch bislang vollständig unbekannte originale Befunde der ursprünglichen Wandgestaltung im nördlichen Haupttreppenhaus freigelegt und sogar der Rapport rekonstruiert werden konnte, ist es eine besondere Freude, nunmehr das gesamte Erdgeschoss des Hauses Wahnfried, einschließlich des Treppenhauses, zumindest in den Raumschalen wieder weitestgehend in der Optik präsentieren zu können, wie sie Richard Wagner selbst gestaltet und gesehen hat.

 

Das verlorene Mobiliar und die nicht mehr vorhandenen, jedoch auf historischen Fotos dokumentierten Einrichtungsgegenstände werden dagegen durch hussenbedeckte Stellvertreter repräsentiert, so als ob Wagner mit seiner Familie für längere Zeit verreist sei (wie es in seinen letzten Lebensjahren mit mehrmonatigen Aufenthalten in Italien während der Wintermonate ja tatsächlich der Fall war) und daher die Möbel zum Schutz abgedeckt hätte. Auf diese Weise entsteht die Anmutung des historischen Interieurs, ohne dieses jedoch künstlich nachzuahmen und die noch vorhandenen, bewahrten und überlieferten Originale durch Vermischung mit nachgebauten Imitaten zu entwerten. Auch werden so Zeit und Zeitlichkeit, Verlust und Zerstörung, Original und Rekonstruktion als solche bewusst. Authentizität erscheint mithin durch den aufrichtigen und redlichen Umgang mit der Geschichte eines Ortes nicht durch eine den Verlust und die Zerstörung überdeckende oder gar verleugnende künstliche Wiederherstellung einer tatsächlich unwiederbringlich vergangenen Epoche, sondern als bewusste Vermittlung einer stets vergänglichen Geschichtlichkeit der Zeitläufte.

Für die äußere Erscheinung bedeutete dies, die beim Wiederaufbau 1974-76 verkürzte Allee zur Richard-Wagner-Straße in ihrer ursprünglichen Länge und damit die historischen Proportionen der Gesamtanlage zu erneuern, den Verbindungstrakt zwischen Wahnfried und Siegfried-Wagner-Haus aus den 1950er Jahren abzureißen, um so die ursprüngliche Solitärstellung Wahnfrieds wiederherzustellen, und die Außenanlagen des Parks samt Wegeführung und floralem Programm nach den historischen Plänen und Dokumenten neu zu gestalten.

Anders als für die Räume des Erdgeschosses gibt es für das Ober- und Zwischengeschoss des Hauses Wahnfried kaum aussagekräftige und brauchbare Dokumente über deren ursprüngliche Gestaltung. Auch von deren Einrichtung ist so gut wie nichts erhalten. Damit schieden rekonstruktive Maßnahmen hier von vorneherein aus. Stattdessen findet der Besucher hier – wie auch schon früher – eine allerdings vollständig überarbeitete, neu erschlossene und gestaltete Dokumentation zu Leben und Schaffen Richard Wagners mit wertvollen Exponaten und Archivalien aus dem angegliederten Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung.Ausstellung zur Geschichte  der Bayreuther Festspiele  im Untergeschoss des Neubaus - Foto: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

Dabei wird der Besucher grundsätzlich nie auf eine bestimmte Führungs- und Vermittlungslinie gezwungen, sondern kann sich auf dem gesamten Museumsareal mit allen drei Gebäuden frei bewegen und an jedem Punkt in die Ausstellungen „einsteigen". Als Hilfsmittel steht ihm dabei ein modernes Mediaguide-System zur Verfügung, sodass er das Museum mit allen Sinnen wahrnehmen kann: Das Schauen wird nicht durch den Zwang zum Lesen gestört, sondern die Erläuterungen und Kommentare zu Räumen und Objekten werden akustisch vermittelt und durch Illustrationen ergänzt. Dies hat überdies den Vorteil der problemlosen Realisierung einer mehrsprachigen Vermittlung: neben Deutsch derzeit auch in Englisch und Französisch.

Die bauliche Sanierung und museale Erneuerung des Hauses Wahnfried und des Siegfried-Wagner-Hauses bedeuteten indessen im Gesamtprojekt planerisch wie finanziell trotz allem den deutlich geringeren Aufwand. Wesentliche Bestandteile der technischen Sanierung und Erneuerung sind die dringend erforderliche, jedoch ebenso wie die zentrale Sicherheits- und Steuerungstechnik hoch komplexe und aufwändige Klimatisierung des Museums, was den Exponaten ebenso zugutekommt wie den Besuchern, sowie der bislang unmögliche barrierefreie Zugang, der durch drei neue Aufzugsanlagen gewährleistet wird.

Von außen augenfällig ist vor allem der Museumsneubau im westlichen Teil des Wahnfried-Parks, der – wie immer bei derartigen Projekten – vor allem in der Planungsphase das eine oder andere Gemüt erregt hatte. Waren im Rahmen des Architektenwettbewerbs 2010 verschiedenste Möglichkeiten einer baulichen Erweiterung des Museums vorgestellt und durchgespielt worden, so erwies sich schließlich der Entwurf des Berliner Architekten Volker Staab als der sinnvollste, praktikabelste und ansprechendste: Errichtet auf einem Grundstücksteil, der zu Wagners Lebzeiten noch gar nicht zu seinem Anwesen gehörte, sondern erst von Winifred Wagner in den 1930er Jahren hinzugekauft worden war, markiert die Gebäudevorderseite nunmehr ziemlich genau die einstige Westgrenze des ursprünglich symmetrischen Grundstücks. Auch entspricht der Neubau in punktsymmetrischer Projektion dem Siegfried-Wagner-Haus mit Wahnfried im Zentrum. Die moderne, gleichwohl zurückhaltende Gestaltung des flachen Baus nimmt die Optik des Parks durch die großen, spiegelnden Glasfronten auf und bezieht den Besucher auch innerhalb des Baus stets auf die Außenflächen des Parks.

Neben den sichtbaren und jedermann zugänglichen Bereichen des Neubaus umfasst dieser schließlich auch noch ein angemessen großes, auf Zuwachs eingestelltes Depot nach dem neuesten technischen Stand unter dem Vorplatz des Hauses Wahnfried. Denn selbstverständlich können längst nicht alle Sammlungsgegenstände in den Dauerausstellungen ge- zeigt werden und benötigen wie die hochwertvollen Schätze des Nationalarchivs der Richard-Wagner-Stiftung mit dem handschriftlichen Nachlass Richard Wagners – darunter Werk- und Briefhandschriften sowie die autographen musikalischen Skizzen, Entwürfe und Partituren – eine auf Dauer konservatorisch und sicherheitstechnisch angemessene Aufbewahrung.

Der Neubau entlastet die bisherige bauliche Infrastruktur von dort nur unzureichend möglichen Museumsfunktionen und bietet als Erweiterung insgesamt deutlich mehr Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Serviceflächen als bisher. So können Haus Wahnfried und das Siegfried-Wagner-Haus jetzt vollständig für die Dauerausstellungen zu Wagners Leben, Schaffen, Werk sowie seiner Rezeptions-, Wirkungs- und Ideologiegeschichte genutzt werden. Die Einrichtungen für den Besucherservice, Kasse und Information, Museumsshop und Museumscafé befinden sich sämtlich im Foyer des Neubaus sowie dem Erdgeschoß des ehemaligen Gärtnerhauses. Im Untergeschoß findet der Besucher die Dauerausstellung zur Aufführungsgeschichte der Bayreuther Festspiele mit Kostümen, Bühnenbildmodellen und technischen Exponaten, zwei Hörnischen mit einer Audiothek zum individuellen Hören verschiedenster historischer und moderner Wagner-Aufnahmen nach eigener Wahl sowie das Museumskino. Das Obergeschoß ist als flexibler Galeriebau für Sonderausstellungen und verschiedenste museale Veranstaltungsformate vorgesehen.

Im neuen Richard Wagner Museum soll – wie Goethe sagte – „im Gegenwärtigen Vergangenes" erscheinen, die Aura Wagners und seines Werks als Phänomen einer „einmaligen Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag", wie Walter Benjamin es formulierte. Auf diese Weise kann und soll der Besucher sich Wagner nähern, um sich selbst als Teil der Kulturgeschichte erkennen zu können, die wie die menschliche Natur selbst Fragwürdigkeiten und Abgründe besitzt, deren Bewältigung zum Verständnis des Ganzen ebenso nötig wie allein durch kritisches Betrachten und Nachdenken möglich ist. So wird auch im Falle Wagners das Bewusstsein einer Größe möglich, die sich nicht nur im gleichwohl unersetzbaren Enthusiasmus des unmittelbaren Erlebens erschließt und mitteilt und die sich daher eben auch nicht nur nach ihren überwältigenden ästhetischen Wirkungen ermessen lässt, sondern ebenso nach der Länge und Tiefe ihrer Schatten.

Dr. Sven Friedrich
Direktor des Richard Wagner Museums

 

AsKI KULTUR lebendig 2/2015

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