Beethoven-Haus Bonn: Beethoven und Postkolonialismus

Haus ‘Im Mohren‘ auf der Titelseite des Begleitheftes zur Stadtführung ‘Koloniale Spuren in Bonn‘, 2019, © Bundeszentrale für politische Bildung

Zur diskursiven Auseinandersetzung mit der Immobilie „Im Mohren" durch das Bridgetower-Projekt
Wer sich über Erinnerungskultur in der ehemaligen Bundeshauptstadt informiert, stößt schnell auf ein Begleitheft zur Stadtführung „Koloniale Spuren in Bonn", das die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) im März 2019 veröffentlicht hat.

Die Umschlagseite ziert das Hauszeichen der Immobilie Bonngasse 18, die seit 1907 zum Ensemble Beethoven-Haus gehört: Eine Figur mit Tabakfass und Pfeife, dunkelbrauner Hautfarbe und gekräuseltem schwarzem Haar, nur spärlich mit einem Schurz und Federschmuck bekleidet. Das Hauszeichen verweist auf eine Spezereien- und Kolonialwarenhandlung, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts, also lange nach Beethovens Jugendzeit in Bonn (1770 – 1792), dort befand und zur Namensgebung des Hauses „Im Mohren" führte. Die Auseinandersetzung mit diesem Baudenkmal war bis zuletzt auf einige für Beethoven wichtige Bewohner (u. a. die Taufpatin Gertrud Baum sowie sein Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler) fokussiert und ansonsten wenig differenziert. Als das verwitterte Hauszeichen 2005 in einer konzertierten Aktion aller rotarischen Vereinigungen in Bonn durch eine aufwendig angefertigte Kopie ersetzt wurde, interpretierte man die Figur kurzerhand als König Balthasar und freute sich, mit ihr einen Beitrag zum Erhalt des Charmes der Bonner Altstadt geleistet zu haben. Zu Recht heisst es in der Broschüre der bpb: „Ungewöhnlich an der Aufmachung der Figur ist allerdings zum einen, dass die Heiligen Drei Könige selten bis nie alleine und ohne Kontext abgebildet und präsentiert werden, zum anderen, dass sie mit Tabakfass, Tabakblättern und Pfeife ausgestattet ist. Umso befremdlicher wirkt die Argumentation mit dem Wissen, dass sich im selben Gebäude bis ca. 1820 ein Kolonialwarenladen befand." Das Befremden an dieser euphemistischen Kontextualisierung wuchs auch in der breiteren Öffentlichkeit sowie unter den Mitarbeitenden. Verstärkt durch die von den USA ausstrahlende Black Lives Matter-Bewegung hatte in Deutschland ein umfassender Diskurs über die Verwendung des Begriffs des „Mohren" und der mit ihm in Zusammenhang stehenden Symbole im öffentlichen Raum eingesetzt. In den Fokus gerieten zahlreiche aufgrund eines Mohren-Bezugs als problematisch empfundene literarische Texte, Werbeikonen sowie Apotheken, Straßen und Plätze. Dieser Streit entbrannte nun auch mit Blick auf das Haus „Im Mohren" in Bonn. Er wurde aus Sicht der Mitarbeitenden dadurch verschärft, dass das Hauszeichen die eigenen normativen Ansprüche einer auf Diversität verpflichteten und Diskriminierung vorbeugenden Institution konterkarierte, die aus Beethovens Musik und der eigenen Institutionen­geschichte im Nationalsozialismus abgeleitet werden.

Spätestens als im Frühjahr 2020 Aktivistinnen und Aktivisten unmittelbar vor den Eingang des Museums die Parolen „DeColonize" und „No More Slavery!" sprühten, wurde deutlich, dass eine Neubewertung des Hauses „Im Mohren" aussteht. Es stellte sich die Frage, inwieweit das Festhalten an dem Hauszeichen und Namenszug „Im Mohren" rassistisch geprägte Begriffe und Bilder in die Gegenwart tradiert und wie mit ihnen sensibel und angemessen umgegangen werden kann. Dem Beethoven-Haus kommt für den sensiblen Umgang mit Rassismus auch deshalb eine besondere Relevanz zu, weil Beethoven selbst als Projektionsfläche für die Teilhabe Schwarzer Musikerinnen und Musiker am kulturellen Erbe klassischer Musik dient. Ausgangspunkt dieser Projektion ist der nicht zu leugnende Eurozentrismus, wie ihn zuletzt das Beethovenfest in seinem White Paper „Alle Menschen" formuliert hat: „Der Fokus [klassischer Kunstmusik und klassischer Konzertprogramme] liegt auf den Werken einer überschaubaren Gruppe europäischer und allenfalls nordamerikanischer Männer der letzten gut 300 Jahre. Talent war und ist gleichmäßig verteilt – jedoch sind Frauen und Künstler:innen sowie Ästhetiken anderer Kulturkreise noch immer deutlich unterrepräsentiert, was auf ein strukturelles Problem hinweist."

Dies gilt insbesondere für Ludwig van Beethoven, der ausweislich der Statistiken von bachtrack.com seit Jahren sowohl die Liste der meistgespielten Komponisten, als auch der meistgespielten Werke anführt. Aus dieser Dominanz Beethovens erklärt sich das wachsende Interesse an der sozialen Konstruktion einer Schwarzen Identität Beethovens, die an der historisch belegbaren dunklen Haut Beethovens anknüpft, die ihm bereits in Bonn den Spitznamen „Spagnol" einhandelte, und Raum zur Identifikation für nicht-europäische Musikerinnen und Musiker mit ihren Werken und Interpretationen eröffnen soll. Im Lichte dieser sozialen Neukonstruktion Beethovens ist es umso wichtiger, sich Klarheit darüber zu verschaffen, inwieweit Hauszeichen und Hausnamen rassistisch geprägte Begriffe und Bilder tradieren.

In einem ersten Schritt näherten wir uns der Frage etymologisch und ikonographisch. Zur Wortherkunft finden sich zahlreiche Veröffentlichungen, wonach der Begriff des ‚Mohren' in vorkolonialen Zeiten geprägt wurde und in damaligen Kontexten wertfrei zur Beschreibung erst von Mauren, dann generell von Menschen mit dunkler Hautfarbe verwendet worden sei. Gerade die Verwendung des Begriffs zu Werbezwecken zeige die positive Wahrnehmung des Begriffes etwa in Verbindung mit Heilkräutern bei Apotheken etc. So sah auch der emeritierte Stadtarchivar Dr. Norbert Schloßmacher im Juli 2021 in einem Artikel zum Haus „Im Mohren" im Bonner General-Anzeiger „...keine Hinweise dafür, dass es je in diskriminierender, fremdenfeindlicher Absicht so bezeichnet wurde. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die Namensgebung zum Zeitpunkt der Benennung positiv konnotiert war, freilich mit einer heute nicht zeitgemäßen Wortwahl."

Eine Internet-Recherche in historischen Veröffentlichungen der Leiterin des Beethoven-Haus Archivs zur Begriffsverwendung zwischen 1750 und 1900 ergab demgegenüber, dass „Mohren" regelmäßig negative Eigenschaften zugeschrieben und gleiche Rechte explizit abgesprochen werden. Sie seien „schmutzig" und „rachsüchtig", hätten „einen sehr eingeschränkten Verstand" und einen „üblen Geruch" und würden „Unzucht" treiben. Sie wurden mit Tieren verglichen und als „eine wirkliche Vermischung des weißen Menschen mit den Affen" hingestellt. Dabei fanden sich solche Vorurteile in höchst einflussreichen Werken wie Buffons Allgemeiner Naturgeschichte.

Ab etwa 1800 finden sich zudem in Lexika und Wörterbüchern explizit Hinweise, dass „Mauren" und „Mohren" keine Synonyme seien. Publikationen wie das Deutsche Sprichwörter-Lexikon von Brockhaus verzeichnen schließlich die sprachliche Diskriminierung von »Mohren« im allgemeinen Sprachgebrauch.

Zu ähnlichen Erkenntnissen führte eine ikonographische Bewertung der dargestellten Figur. Sie ähnelt zahlreichen Darstellungen an anderen Orten, vgl. etwa das Mohren-Haus in Bamberg, und erinnert in ihrer Stereotypie an viele als Jim Crow bezeichnete Darstellungen von Schwarzen als fröhliche, mit sich und der Welt zufriedenen, aber untätigen Menschen.

Kontextualisierende Hinweistafel zum Haus ‘Im Mohren‘ von 2021, Foto: Beethoven-Haus Bonn

Zusammen genommen reichten uns die Erkenntnisse, um festzuhalten, dass Figur und Aufschrift an der Fassade des Hauses mit der Zuweisung abwertender Eigenschaften verknüpft sind, insoweit an ein verbreitetes ideologisch geprägtes Menschenbild jener Epoche erinnern und rassistisch verstanden werden können.

In einem zweiten Schritt loteten wir unsere Handlungsspielräume aus und nahmen Kontakt mit der Unteren Denkmalbehörde auf. Denn Hauszeichen und Fassadengestaltung unterliegen in Bonn anders als in vergleich­baren Konstellationen dem Denkmalschutz, so dass jede Änderung einer Erlaubnis der unteren Denkmalschutzbehörde bedarf. Im Ergebnis verwies die Behörde auf die Verantwortung des Eigentümers (Verein Beethoven-Haus) und signalisierte Gesprächsbereitschaft für eine mögliche Umgestaltung oder Entfernung von Hauszeichen und Namen.

Schließlich sondierten wir in einer Umfeldanalyse mögliche Strategien im Umgang mit einem solchen „unbequemen" Denkmal. Diese lassen sich grob gesagt in drei Gruppen unterteilen: 1. Bewahrung des Status Quo, 2. Entfernung oder Umbenennung sowie 3. Kontext­ualisierung.

George Augustus Polgreen Bridgetower (1779–1860), Reproduktion einer anonymen Miniatur, Ausschnitt, Beethoven-Haus Bonn, Sammlung H. C. Bodmer, HCB Br 328

Seit Mitte 2021 führen wir unter dem von unserem Präsidenten Daniel Hope unterstützten Titel „The Bridgetower Project" eine Veranstaltungsreihe durch, die sich in den nächsten Jahren mit verschiedensten Fragen von Diversität und Diskriminierung in der Musikwissenschaft, im Musikbetrieb und in der Institutionengeschichte des Beethoven-Hauses befassen wird. Themen gibt es zuhauf. Sie reichen von der Rolle nicht-europäischer Menschen im Musikleben zur Zeit Beethovens über ihre Teilhabe im aktuellen Musikbetrieb bis zur Auseinandersetzung mit der Arbeit der Chineke Foundation. George Polgreen Bridgetower steht dabei für einen Schwarzen Musiker, für den Beethoven mit der Sonate für Klavier und Violine (A-Dur) op. 47 eines seiner wichtigsten Werke komponiert hatte und der zu Unrecht in der Beethoven Rezeption in Vergessenheit geraten ist. So machen wir deutlich, dass wir den Diskurs aktiv führen und unsere Perspektive auf nicht-europäische Einflüsse in der Musik erweitern wollen, ohne aber Beethoven der Cancel Culture zu opfern. Andererseits nehmen wir uns Zeit für einen ergebnisoffenen Abwägungsprozess, um unserer besonderen Rolle einer historisch orientierten und wissenschaftlich arbeitenden Kultureinrichtung für das denkmalgeschützte Gebäude gerecht werden zu können. Am Ende mag eine Umgestaltung stehen, präjudiziert ist sie nicht.

Malte Boecker | Direktor,
Beethoven-Haus Bonn

 

AsKI kultur leben 2/2022

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