Bauhaus-Archiv, Berlin: Von jüdischen Bauhäuslern und ‘entarteter Kunst‘

Katalog der Galerie Nierendorf vom Sommer 1979, Foto: Bauhaus-Archiv BerlinEin Bericht aus der Provenienzforschung: Das Bauhaus-Archiv wurde 1960 gegründet und konnte folglich zwischen 1933 und 1945 keine Erwerbungen tätigen. Die Zeit des „Dritten Reichs", die Kernzeit, auf die sich Provenienzforschung derzeit zumeist konzentriert, kann an diesem Haus also gar nicht untersucht werden. Wozu also Provenienzforschung am Bauhaus-Archiv?

Die Forschungsarbeit, die seit April 2020 in diesem Bereich geleistet wird, zeigt, dass die Forschung zur Herkunft der Sammlungsbestände auch am Bauhaus-Archiv seine Berechtigung hat. Kunst- und Kulturgüter aus problematischen Quellen oder zumindest solchen, die offengelegt, reflektiert und diskutiert werden sollten, haben auch nach 1945 ihren Weg ins Museum gefunden.

Das Bauhaus-Archiv sammelt, bewahrt und erforscht die materiellen Zeugnisse des Bauhauses, wie es in Weimar, Dessau und Berlin von 1919 bis 1933 bestand. Zahlreiche Künstler und Künstlerinnen, die diese wohl einflussreichste Schule für Kunst und Design im 20. Jahrhundert hervorbrachte, wurden von den Nazis als „entartet" verfemt und ihre Werke aus deutschen Museen beseitigt. Etwa 200 Lehrende und Studierende des Bauhauses waren jüdischer Herkunft und im Nazi-Deutschland Opfer von Verfolgung und Vertreibung, zwölf von ihnen wurden in Konzentrationslagern ermordet. Provenienzforschung am Bauhaus-Archiv bedeutet deshalb auch erinnern an die­jenigen, deren Leben durch die Nazi-Herrschaft nachhaltig verändert oder auch vernichtet wurde.

Ein Konvolut, das sofort in den Fokus der systematisch angelegten Untersuchung geriet, waren die Ankäufe des Bauhaus-Archivs im Londoner Antiquariat Ben Weinreb. Obwohl sich die Sammlung überwiegend aus Ankäufen und Schenkungen direkt von Angehörigen des Bauhauses und ihren Familien speist, wurden die Bestände von Anfang an auch durch Erwerbungen im europäischen Kunsthandel ergänzt. Etwa 15% aller Erwerbungen wurden in den 1960er-Jahren auf dem Kunstmarkt getätigt. 1964, 1965 und 1967 erwarb das damals noch in Darmstadt ansässige Bauhaus-Archiv Konvolute mit insgesamt 140 Einzelarbeiten von überwiegend jüdischen Künstlern und Künstlerinnen bei Weinreb: Seltene Buchbindear­beiten, druckgrafische Blätter, Zeichnungen und Arbeiten aus dem am Bauhaus obli­gatorischen Vorkurs stammen u. a. von Franz Singer (1896–1954), Friedl Dicker-Brandeis (1898–1944), Anny Wottitz-Möller (1900–1945), Ruth Vallentin (später Cidor-Citroën, 1906–2002), Naum Slutzky (1894–1965), Stefan Wolpe (1902–1972) und Margit Téry-Adler (1892–1977).

Neben ihrer Tätigkeit am Bauhaus oder in dessen Umkreis teilten diese Künstler und Künstlerinnen das Schicksal von Flucht und Verfolgung. Franz Singer, der ab 1930 neben Wien auch in London lebte, konnte nach dem sogenannten Anschluss Österreichs im März 1938 nicht mehr in sein Heimatland einreisen. Anny Wottitz immigrierte über England nach Palästina, wo sie 1945 starb. Auch Ruth Cidor-Citroën brachte sich und ihre Familie zunächst in der Schweiz und später in Jerusalem in Sicherheit. Stefan Wolpes Fluchtweg führte über Palästina in die USA. Naum und Hedwig Slutzky sowie Bruno Adler und seine Frau Margit Téry-Adler flohen nach England. Friedl Dicker-Brandeisgelang die Flucht nicht. Über ihre außergewöhnliche Begabung und ihre traurige Lebensgeschichte berichtet das Bauhaus-Archiv in seinem Beitrag zum AsKI-Gemeinschafts­projekt tsurikrufn!. In Theresienstadt gab die Künstlerin Kindern Zeichenunterricht, bis sie im Oktober 1944 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurde. Diese Schicksale sind es, die eine Prüfung der Herkunft dieser Werke unbedingt erforderlich macht.

Da im Inventarbuch ausschließlich „Weinreb Ltd. London" als Erwerbsort notiert worden war, drängten sich die Fragen auf, wann, wie und durch wen die drei Konvolute in den Kunsthandel gelangten. Eine Untersuchung der Provenienzmerkmale zeigte, dass es sich in vielen Fällen um sehr persönliche Blätter mit Aufschriften und Widmungen handelte, etwa eine collagierte Geburtstagskarte von Friedl Dicker an Franz Singer von 1935 oder die Kohlezeichnung eines stilisierten Aktes von Franz Singer, die in Bleistift unten rechts bezeichnet wurde: „Besitzer F. Dicker". Die Hinweise auf das Künstlergespann – das nicht nur jahrelang erfolgreich zusammengearbeitet hatte, sondern auch durch eine dramatisch-unglückliche Liebesbeziehung verbunden war – als potenzielle Vorbesitzer häuften sich.

Glücklicherweise bewahrt das Bauhaus-Archiv nicht nur die Zeugnisse des Bauhauses, sondern archiviert auch seine eigene Arbeit. Im Briefwechsel zwischen Archiv und Antiquariat bestätigte sich für die Konvolute von 1964 und 1965, dass es sich um die Sammlung Franz Singers handelte. Unklar blieb jedoch, wer dem Antiquariat Weinreb seinen Nachlass zehn Jahre nach Singers Tod zum Verkauf übergeben hatte. Diese Frage wurde durch einen Zufallsfund beantwortet.

Als 1963 am Bauhaus-Archiv eine Ausstellung zum Werk Franz Singers geplant wurde, erhielt der damalige Museumsdirektor Hans Maria Wingler einen Brief der Geschwister Franz Singers, die das Ausstellungsprojekt mit der Stiftung des von ihnen so genannten Arbeitsnachlasses unterstützen wollten. Die Schenkung wurde dankend angenommen und gelangte im März 1964 nach Darmstadt. Im Oktober 1966 fragte die Familie nach, wann denn die Ausstellung eröffnen würde. Hans Maria Wingler berichtete daraufhin, dass die höchst fragilen Transparentpapiere noch restauratorisch betreut werden müssten und fragte zum Schluss: „Wissen Sie, dass auch die Bauhaus-Sammlung Franz Singers, die Sie an Weinreb gegeben hatten, im Besitz des Bauhaus-Archivs ist?" Nur durch diese Frage am Ende eines Briefes können wir für die 1964 und 1965 in London erworbenen Konvolute eine verfolgungsbedingte Entziehung mit Sicherheit ausschließen. Für das Konvolut von 1967, das höchst wahrscheinlich aus dem gleichen Zusammenhang stammt, fehlt bisher ein solcher Nachweis.

Doch längst nicht für alle Werke im Bauhaus-Archiv, die in den Fokus der Provenienzforschung geraten, lässt sich die Objektbiografie mit Dokumenten aus dem eigenen Archiv rekonstruieren. 1979 erwarb das Land Berlin Lyonel Feiningers (1871–1956) „Halle, am Trödel" von 1929 für das Bauhaus-Archiv. Das Haus war 1971 nach Berlin umgezogen und stand in diesem Jahr kurz vor der Eröffnung des von Walter Gropius geplanten Museumsneubaus in der Klingelhöferstraße am Tiergarten. Hauptwerke der Bauhaus-Meister durften bei diesem Ereignis nicht fehlen und so war es ein großes Glück, dass bei der Galerie Nierendorf in Berlin eines von Feiningers Halle-Bilder aus Münchner Privatbesitz zum Verkauf stand.

Lyonel Feininger, der ab 1919 als Meister in der Druckwerkstatt des Bauhauses in Weimar lehrte, war Ende der 1920er-Jahre von der Stadt Halle eingeladen worden, die ihm im Turm der Moritzburg ein Atelier zur Verfügung stellte. Dort entstanden zwischen 1929 und 1931 die Hallenser Stadtporträts, die 1931 zum 60. Geburtstag des Künstlers erstmals im Moritzburg Museum ausgestellt wurden. Vom weiteren Schicksal des Gemäldes „Halle, am Trödel" zeugen die zahlreichen Etiketten auf seiner Rückseite. Die Werke Feiningers galten unter den Nazis als „entartet", sodass der einstige Stolz der Stadt 1934 in eine sogenannte „Schreckenskammer" verbannt wurde. Als Vorgänger der „Entartete Kunst"-Ausstellungen wurde hier die von den Nazis verfemte Kunst diffamierend ausgestellt. Im August 1937 wurden alle Halle-Gemälde im Rahmen der Aktion „Entarte Kunst" beschlagnahmt. Im Inventar der Beschlagnahmeaktion erhielt „Halle, am Trödel" die Nummer 7362, die bis heute in großen Ziffern auf der Rückseite des Keilrahmens prangt.

Als die zum Verkauf ins Ausland bestimmten Werke im August 1938 ins Berliner Schloss Schönhausen gebracht wurden, war auch „Halle, am Trödel" dabei. Eine Inventarliste im Bundesarchiv mit dem Titel „Bestand Nieder-Schönhausen" führt das Gemälde unter der laufenden Nummer 167. Kurz darauf übernahm Ferdinand Möller, einer der vier Kunsthändler, die mit der „Verwertung" der verfemten Kunst betraut waren, das Bild als Kommissionsware. Doch auch bei ihm blieb „Halle, am Trödel" nicht lange. 1940 erwarb es die Münchner Familie Hildebrand bei Meta Nierendorf in Berlin-Tempelhof. Wann es aus der Verfügungsgewalt von Ferdinand Möller in die der Nierendorfs wechselte, ist aus gutem Grund nicht belegt, denn der Verkauf „entarteter Kunst" innerhalb Deutschlands war verboten. Eine Vermutung liegt jedoch nah: Anfang 1939 musste Josef Nierendorf seine Galerie schließen und lagerte seine Bestände in der Buch- und Geschenkehandlung seiner Frau Meta ein. Es scheint deshalb wahrscheinlich, dass der Besitzerwechsel noch vor der Schließung der Galerie Nierendorf stattgefunden haben muss. Ein weiteres Etikett, eines der Galerie Nierendorf, auf dem der Preis in RM, also Reichsmark, ausgewiesen werden sollte, zeugt von dieser Etappe in der Provenienzgeschichte von „Halle, am Trödel".

Die Münchner Familie Hildebrand besaß das Halle-Bild dann fast 30 Jahre lang. 1979 veräußerten sie es genau über die Galerie, in der sie es auch erworben hatten: die Galerie Nierendorf in Berlin. Zwei Etiketten auf dem Keilrahmen bezeugen Ausstellungen in München, für die Senta Hildebrand das Gemälde als Leihgabe zur Verfügung stellte. Seit Dezember 1979 ist „Halle, am Trödel" Teil der Sammlung des Bauhaus-Archivs, in der es mitsamt seiner aufregenden Geschichte bewahrt wird.

Dr. Corinna Alexandra Rade | Provenienzforschung
Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung

AsKI kultur leben 1/2021

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