Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg: Beat und Kalter Krieg. Deutsch-amerikanische Literaturbeziehungen 1958 – 1968

v.l.n.r.: Walter Höllerer, Peter Orlovsky, Allen Ginsberg, unbekannt, Berlin, 1976, Foto:  Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg

Die literarische Bewegung der „Beat Generation" formiert sich in den USA in den 1950er-Jahren. Die Orientierung an der Ästhetik des Alltags und des Spontanen sowie das emphatische Bekenntnis zum Modernismus, das Autoren wie Allen Ginsberg, Gregory Corso oder Jack Kerouac vertreten, setzen weit über die USA hinaus wichtige literarische Impulse.

Dem deutschen Publikum werden die Autoren der „Beat Generation" erstmals in den späten 1950er-Jahren präsentiert. Eine zentrale Vermittlerrolle spielt hierbei der gebürtige Sulzbach-Rosenberger Walter Höllerer (1922 – 2003), der in den 1950er-Jahren Literaturdozent an der Frankfurter Goethe Universität ist, Gedichte schreibt und die Literaturzeitschrift „Akzente" herausgibt. Höllerer lernt im Januar 1958 den New Yorker Lyriker Gregory Corso (1930 – 2001) kennen, als dieser sich während eines längeren Europa-Aufenthaltes nach Frankfurt am Main begibt, um dort für den Collier-Verlag als Buchhandelsvertreter zu arbeiten – ein Unterfangen, dass er nach nur zwei Tagen abbricht, um sich stattdessen in Museen und Jazzkellern der Mainmetropole herumzutreiben. Zwischen Corso und Höllerer entwickelt sich schnell eine intensive und produktive deutsch-amerikanische Autorenfreundschaft, die der Nachlass Höllerers eindrücklich dokumentiert. Die Briefe und Manuskripte, die sich aus dieser Freundschaft erhalten haben, bilden den Ausgangspunkt für die Sonderausstellung „Beat und Kalter Krieg. Deutsch-amerikanische Literaturbeziehungen 1958 – 1968".

Mit dem amerikanischen Literaturbetrieb kommt Höllerer, wie die Ausstellung ebenfalls dokumentiert, bereits vor der Begegnung mit Corso in Berührung. Im Sommer 1957 reist er auf Einladung Henry Kissingers in die USA, um am „International Seminar" an der Harvard University teilzunehmen. Zweck des jährlich stattfindenden Seminars, zu dem Kissinger unter anderem auch Ingeborg Bachmann, Siegfried Unseld und Uwe Johnson einläd, ist es, Netzwerke zwischen Literaten, Künstlern, Politologen und Soziologen zu bilden – stets mit dem Ziel, anti-amerikanischen und pro-kommunistischen Ansichten in Europa entgegenzusteuern.

Was literarisch auf der anderen Seite des Atlantiks in Bewegung kommt, erlebt Höllerer vor Ort hautnah mit: Bei Viking Press erscheint Jack Kerouacs Roman „On the Road", Lawrence Ferlinghetti muss sich in Kalifornien wegen des in seinem Verlag City Lights Books erschienenen Gedichtband „Howl" von Allen Ginsberg öffentlich und medienwirksam vor Gericht verantworten und die neue, in New York herausgegebene Zeitschrift „Evergreen Review" macht die subkulturelle Literaturströmung der „San Francisco Scene" staatenweit bekannt. Höllerer sieht in den Impulsen, die von den jungen, aufrührerischen Autoren ausgehen, allerdings nicht nur einen Bruch mit literarischen Konventionen, sondern zugleich auch eine Fortführung der Tradition der literarischen Moderne.

Walter Höllerer und Gregory Corso 1958 in Paris (Mitte), Foto: : Maria Bosse-Sporleder

Nur einige Monate nach ihrem ersten Treffen verabreden Höllerer und Corso sich in Paris im berühmt gewordenen Beat Hotel. Hier wird beschlossen, einen Aufsatz Corsos über „Dichter und Gesellschaft in Amerika" in Höllerers „Akzenten" zu veröffentlichen. Zugleich werden Pläne für eine zweisprachige Anthologie mit junger amerikanischer Lyrik geschmiedet, die später im Carl Hanser Verlag erscheint. Außerdem freundet Höllerer sich mit Allen Ginsberg an, den er auf die Lyrik von Günter Grass hinweist, der gerade ebenfalls in Paris lebt.

Corso bringt Höllerer außerdem mit Don Allen in Kontakt, dem Herausgeber der „Evergreen Review". In Folge dessen werden dort viele Autoren aus dem Umfeld der Gruppe 47 veröffentlicht, darunter Ingeborg Bachmann, Hans Magnus Enzensberger, Paul Celan, Günter Grass und Uwe Johnson. Höllerer wird im Impressum für einige Zeit sogar als „Contributing Editor" geführt.

Höhepunkt der Freundschaft zwischen Corso und Höllerer und der dadurch entstandenen Austauschbeziehungen ist aber ohne Zweifel die von beiden gemeinsam herausgegebene, zweisprachige Anthologie „Junge amerikanische Lyrik" (1961). Ihr ist in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet, der sämtliche Korrespondenzen zwischen den Autoren, Herausgebern und dem Verlag präsentiert. Eine Vielzahl an Originalmanuskripten und Übersetzungen dokumentieren den Entstehungsprozess des Buches. So lässt sich etwa nachvollziehen, wie schwer sich die Übersetzer damals mit dem amerikanischen Szenejargon taten, der für die Beat-Lyrik typisch war. Manuskripte mit Hinweisen für die deutschen Übersetzer zeigen, dass sich Allen Ginsberg dieses Problems sehr bewusst war. In Corsos Bildgedicht „Bomb", das in mehreren Ausarbeitungsstufen zu sehen ist, wird außerdem deutlich, wie sehr sich die Diskurse des Kalten Kriegs in die junge amerikanische Lyrik eingeschrieben haben.

Auf der Bedeutung der Kulturpolitik des Kalten Kriegs für die transatlantischen Literaturbeziehungen liegt ein weiterer Fokus der Ausstellung. Kissingers „International Seminar", das etlichen deutschsprachigen Intellektuellen Türen in den USA öffnete, war in den 1950er-Jahren nur ein kleiner Teil einer breit angelegten, dezidiert gegen die Ideologie des Ostblocks gerichteten Kulturpolitik, die auf europäischem Boden von unterschiedlichen Stiftungen unter der Schirmherrschaft des Congress for Cultural Freedom verkörpert wurde.

In ihren Augen war die Kunst der Moderne eine Institution, die sich autoritären Ideologien gegenüber von sich aus kritisch verhält. Der Zweckfreiheit der modernen Kunst und Literatur wurde deshalb ein hoher Stellenwert eingeräumt. Wie gut diese Idee mit Höllerers Vorstellungen von moderner Literatur zusammenging, wird deutlich an der Veranstaltungsreihe „Ein Gedicht und sein Autor", die er 1966 und 1967 am Literarischen Colloquium Berlin durchführte. Hier trafen vor Fernsehkameras der Amerikaner Lawrence Ferlinghetti und der russische Lyriker Andrei Wosnessenski aufeinander. Höllerer spricht in der Aufzeichnung, die in der Ausstellung zu sehen ist, von ‚literarischem Nomadentum', das die ideologischen Verhärtungen der verfeindeten Blöcke im Zeichen der Moderne aufzulösen vermag. Dieser Kontext, der sowohl die Dimension der Kulturpolitik wie auch den der Poetik moderner Literatur berührt, begleitet die erste Welle der Rezeption von Beat Literatur in Deutschland.

Nach 1968 verändert sich die Rezeption der „Beat Generation" in Deutschland grundlegend. Mit der Anthologie „ACID" von Rolf-Dieter Brinkmann und Rainer Rygulla rückt der Gegensatz zwischen Mainstream und Subkultur in den Mittelpunkt; die Dialektik von Tradition und Avantgarde, die für Höllerers Vermittlungsbemühungen noch zentral war, tritt in den Hintergrund. Zugleich wird Beat-Literatur zunehmend unter dem Paradigma der Popkultur rezipiert: Hippie-Kultur und Happenings, Popmusik und Videokunst werden zu den Kontexten, in denen Beat-Literatur von nun an vorwiegend in Erscheinung tritt. Die Sammlung des Neumarkter Beat-Experten Horst Spandler, aus der in einem dritten Schwerpunkt exemplarische Stücke zu sehen sind, dokumentiert insbesondere diesen Rezeptionsstrang. 1968 bildet somit gleichsam Schlusspunkt und Ausblick der Ausstellung „Beat und Kalter Krieg", die noch bis Ende des Jahres in Sulzbach-Rosenberg zu sehen sein wird.

Michael Peter Hehl M.A.
Wissenschaftlicher Leiter des
Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg


Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg
Beat und Kalter Krieg. Deutsch-amerikanische Literaturbeziehungen 1958 – 1968
bis 20. Dezember 2018
www.literaturarchiv.de

AsKI KULTUR lebendig 2/2018

.

xxnoxx_zaehler