AsKI-Gemeinschaftsprojekt 2011/12

Special Delivery. Von Künstlernachlässen und ihren Verwaltern

Special Delivery - Von Künstlernachlässen und ihren Verwaltern - Teil I

Wie kommt ein Nachlass in eine öffentliche Institution? Was hat den Nachlassverwalter bewogen, die künstlerische und oftmals sehr persönliche Hinterlassenschaft eines geliebten Menschen und Künstlers einem Archiv oder einem Museum anzuvertrauen?

Wird damit nur der letzte Wille des Verstorbenen respektiert, oder verfolgen die Erben auch ganz eigene Absichten? Wie aufschlussreich ist ein Nachlass in biografischer Hinsicht, welche Rückschlüsse auf das Werk lässt er zu? Schließlich: Welche Geschichten verbergen sich eigentlich hinter diesen Hinterlassenschaften?

Diesen Fragen geht der AsKI mit einer Publikation nach, die aus allen Sparten der Kunst zu berichten weiß, wieviel persönliches Engagement, Geschick, zuweilen auch Geschäftssinn benötigt werden, bis ein künstlerisches Erbe an einen Ort gelangt, der das Œuvre für die Nachwelt sichert.

Das 'junge Ehepaar Reger', München 1903, Foto: Sammlung des Max-Reger-Instituts/Elsa-Reger-Stiftung, Karlsruhe

„Auch ich will am Gebäude seiner Kunst bauen ..." - so das erklärte Ziel der Komponistenwitwe Elsa Reger nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Max Reger (1873-1916). Dem 1920 gegründeten Max-Reger-Archiv - seit dem Ende des 2. Weltkriegs in Meiningen beheimatet - überlässt die Witwe jedoch nicht das „Filetstück" der Sammlung: die Autographen. In finanziellen Notzeiten wird sie diese einzeln und z.T. zu Schleuderpreisen verkaufen.

So stellt die 1947 von der Witwe in Bonn als Pendant zum Thüringer Archiv gegründete Elsa-Reger-Stiftung mit dem Max-Reger-Institut ein Kuriosum dar: eine Stiftung (fast) ohne Sammlung und ohne finanzielle Ausstattung. Das Ziel der Stiftung ist umso hochgesteckter: die Pflege und Erforschung von Regers Werken. Die beeindruckende Erfolgsgeschichte dieser Einrichtung schildert Susanne Popp in ihrem Beitrag: Wie es in den folgenden Jahrzehnten gelingt, den entgangenen Künstlernachlass aufzuspüren, vieles aus den Tantiemen - seit 1951 und bis 1986 ist die Stiftung alleiniger Erbe des Urheberrechts - für die Sammlung anzukaufen (weitere Ankäufe werden danach aus Sondermitteln von Bund und Ländern sowie durch Mäzene ermöglicht), und wie die Sammlung des Max-Reger-Instituts zur weltweit größten ihrer Art und Grundlage vielfältiger Forschung geworden ist.

Macha Kaléko, Notizbuch aus dem Nachlass, Foto: DLA Marbach

In erster Linie sind es natürlich die engsten Verwandten, die beim Thema Nachlass in den Fokus der Betrachtung rücken.

Im Fall der Dichterin Mascha Kalékos (1907-1975) aber ist es die Rezitatorin Gisela Zoch-Westphal, die in einzigartiger Weise zur Nachlassverwalterin, Editorin, Biografin und PR-Mangerin der Werke Kalékos wurde, wie Gunilla Eschenbach vom Deutschen Literaturarchiv Marbach in ihrem Beitrag betont. Die beiden Frauen hatten sich kennen gelernt, als Mascha Kaléko ihren einzigen Sohn verloren hatte und sich außerstande sah, Lesungen abzuhalten. Sie lernte Gisela Zoch-Westphal auf eine Weise zu schätzen, dass sie ihr ihren Nachlass anvertraute. Diese Aufgabe übernahm Zoch-Westphal so engagiert und vielseitig, dass die nahezu vergessene Mascha Kaléko heute zum literarischen Kanon gehört.

Geno und Felix Hartlaub mit dem Schatten des Vaters, 1918, Foto: DLA Marbach

Bei Felix Hartlaub (1913-1945) ist es der ehrgeizige Vater und vor allem die auch selbst künstlerisch tätige Schwester Geno, die Felix Hartlaub vor dem Vergessen bewahrt haben, so Nikola Herweg vom Deutschen Literaturarchiv. Geno Hartlaub stellt sich ganz in den Dienst des in den letzten Kriegstagen verschollenen Bruders und bereitet seine hinterlassenen Schriften für die Veröffentlichung vor, die für eine beachtliche Hartlaub-Begeisterung sorgte. Daneben geht sie ihrem eigenen Werk nach, ist Mitglied der Gruppe 47, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und des deutschen P.E.N. Clubs. Beider Nachlässe, insbesondere die über das Werk hinausgehenden privaten Aufzeichnungen, geben einen höchst aufschlussreichen Einblick in das Innenleben dieser Familie.

Postkarte von Lovis Corinth an seinen Sohn Thomas, 4.6.1917, Foto: DKA Nürnberg

Der enge Familienzusammenhalt der „vier Corinther" sorgte auch im Fall von Lovis Corinth (1858-1925) dafür, dass sein Werk nicht in Vergessenheit geriet. Birgit Jooss vom Deutschen Kunstarchiv und Anke Matelowski vom Archiv der Akademie der Künste zeigen in ihren Beiträgen auf, wie sehr die Familie sich dem künstlerischen Erbe verpflichtet fühlte. Zunächst ist es die Witwe Charlotte Behrend-Corinth, die mit aller Macht die Erinnerung an ihren Mann wachhält. Sie erstellt ein Werkverzeichnis, redigiert seine Lebensbeschreibung, schreibt ihre Erinnerungen und sorgt immer wieder dafür, dass Corinth ausgestellt wird. Nach Emigration und Tod von Charlotte Behrend-Corinth verwaltet vor allem Sohn Thomas das väterliche Erbe, wobei er sich als äußerst geschäftstüchtig erweist. Immer wieder bietet er dem Deutschen Kunstarchiv in Nürnberg und dem Archiv der Akademie der Künste in Berlin Teile des Nachlasses zum Verkauf an, ohne jemals eine vollständige Liste der vorhandenen Objekte vorzulegen. So kommt es ständig zu neuen Forderungen und langwierigen Verhandlungen zwischen den Beteiligten, aber auch den Geldgebern, da es zu dieser Zeit unüblich war, Nachlässe zu veräußern. Nach dem Tod Thomas Corinths kümmert sich seine Schwester um die noch vorhandenen Objekte und hält mit ihren eigenen veröffentlichten Erinnerungen das Gedenken an ihre Eltern wach. Hochbetagt gibt sie den noch vorhandenen Restbestand im Wege einer Schenkung in das Archiv der Akademie der Künste, darunter viele private Fotos und Aufzeichnungen.

Richard Oelze, Ichmirnoff, Öl auf Leinwand, 1967–69, Foto: Richard Oelze-Archiv in der Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Bei Richard Oelze (1900-1980) etwa ermöglichen gerade persönliche Requisiten, seine Malproben und Wortskizzen einen Zugang zu diesem schwierigen Künstler und seinem Werk. Darauf verweist Katharina Groth von der Bremer Kunsthalle in ihrem Beitrag über das dort ansässige Archiv des Künstlers. Trotz der symbiotischen Enge ihrer Beziehung trennte sich Ellida Schargo von Alten, die Lebensgefährtin Oelzes, von zahlreichen Werken, Dokumenten, Briefen und persönlichen Gegenständen und begründete damit das Richard-Oelze-Archiv in der Kunsthalle Bremen. Dieser großzügigen Schenkung fügte sie eigene Aufzeichnungen hinzu, in denen sie über sein Leben und seine Arbeitsweise berichtet, häufig die einzige Quelle zu Biografie und Werk dieses Künstlers.

Künstlernachlässe sind in der Regel mehr oder weniger zufällig angelegt. In den seltensten Fällen sammelt der Künstler schon zu Lebzeiten für den eigenen Nachruhm, wie Marlene Dietrich (1901-1992) es mit Akribie getan hat. Sie sammelte praktisch alles, was mit ihr als Star und Privatperson in Verbindung stand, Bedeutendes und Banales, aber auch Kuriosa - die größte Sammlung, die je ein Filmstar zu sich anlegte. Viele Jahrzehnte lang will die Stadt Berlin von ihrer ungeliebten, als „Vaterlandsverräterin" beschimpften Tochter Marlene Dietrich nichts wissen. Umso überraschender dann der Coup der Deutschen Kinemathek ein Jahr nach ihrem Tode: der Erwerb ihres umfangreichen Nachlasses, finanziert vom Bund und der „Deutschen Klassenlotterie Berlin".

Promotionfoto mit 'Wind-Kleid', USA 1959, Entwurf: Jean Louis, Foto: Marlene Dietrich Collection - Deutsche Kinemathek

Zum Nachlass, so berichtet der Autor Werner Sudendorf, wird dann ein 40-seitiger Vertrag mit drei umfangreichen Anlagen aufgesetzt; die Sammlung soll fortan den Namen „Marlene Dietrich Collection Berlin" tragen. Die Vertragspartner Peter Riva, Enkel, und Maria Riva, einziges Kind von Marlene Dietrich aus der Ehe mit Rudi Sieber und Alleinerbin, haben mit der Deutschen Kinemathek wunschgemäß die Institution gefunden, die die kulturelle und politische Dimension des Nachlasses erfassen kann. Ein Nachlass mit einer Fülle von Material: 15.000 Fotos, 300.000 schriftlichen Dokumenten, 2.500 Tonaufnahmen, 3.000 textilen Objekten, 80 (!) Koffern und mit rund 150 Minuten Privatfilmen.

Marlene Dietrich sammelte leidenschaftlich für den eigenen Mythos - das ungebrochene Interesse der Nachwelt hat ihr Recht gegeben.

(Fortsetzung in der nächsten Ausgabe zu den Nachlässen von Walter Höllerer, Lucia Moholy, Bertolt Brecht, Georg Tappert, Gerhard Marcks und zum Vorlass von Ronald Searle).

Ulrike Horstenkamp/Gabriele Weidle

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