"!Alterskultur? Reflexionen - Zerrbilder - Visionen" - Eine Ausstellung der Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale

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Franz von Defregger (1835-1921), Das Tischgebet, 1875, Öl auf Leinwand, Museum der bildenden Künste Leipzig, © Foto: Katalog

Im Rahmen des Themenjahres "ALTERnativen. Auf dem Wege zu einer Alterskultur" findet noch bis zum 5. Oktober 2003 die Ausstellung "!Alterskultur? Reflexionen - Zerrbilder - Visionen" im Hauptgebäude der Franckeschen Stiftungen statt.

Sie trägt der Situation Rechnung, dass alte Menschen seit einigen Jahren im besonderen Blick der informierten Mediengesellschaft stehen: in politischen Grundsatzreden, in Talkrunden, in der Werbung zumal und nicht zuletzt in kulturgeschichtlichen Ausstellungen. Die persönlichen Lebenswege alter Menschen sind heute im Vergleich zu früher vielfältiger geworden.

Der Wille, das Alter sinnvoll und erfüllt zu gestalten, lässt sich an vielen aktuellen Beispielen belegen. Zuweilen unterscheidet man zwischen "neuen (oder jungen) Alten" (60-70 Jahre) und "hochaltrigen" Menschen. Letztere benötigen meist die Hilfe ausgebildeter Pflegekräfte in modernen Einrichtungen der Altenpflege, während Erstere ihr Leben selbst bestimmen und gestalten. Ist aber dieses "selbst bestimmte" Agieren bereits ein Indikator, der es rechtfertigt, hierbei von einer neuen "Alterskultur" zu sprechen? Und dann: Werden Kranke und Hilfsbedürftige von einem solchen Kulturbegriff nicht erfasst?

Die Idee einer "Alterskultur" beinhaltet zum einen die produktiv-tätige Lebensgestaltung alter Menschen. Dieses Schöpferische manifestiert sich vor allem auch im gesellschaftlichen Miteinander, im Austausch von jungen und alten Menschen, kurz in deren Kommunikationsfähigkeit. So ist in dem Begriff "Alterskultur" die Verantwortung des Einzelnen für sich selbst und die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern der älteren Generation untrennbar miteinander verbunden. Das Schriftbild für den Titel der Ausstellung "!Alterskultur?" kennzeichnet daher zum einen das Schlagwort als Desiderat und stellt die Einlösbarkeit dieser Forderung gleichzeitig zur Diskussion. Ausgehend von der Themenstellung geraten die Prozesse der Kommunikation und einer "Selbsterkenntnis im Gegenüber" zwischen Jungen und Alten als inhaltliches Ziel der Präsentation in den Blick. Gemeint ist damit u. a. die Erkenntnis junger Menschen, dass sie selbst die Alten von morgen sind. Die Auswahl der in dieser Ausstellung präsentierten Kunstwerke - erschlossen durch ein breit angelegtes museumspädagogisches Konzept - möchte bei den jüngeren Generationen Räume in ihre Zukunft und in die Bereiche ihrer Vorurteile und Projektionen eröffnen, die genannten "Reflexionen - Zerrbilder - Visionen" anstoßen. Hierdurch soll ebenfalls um ein Gespür im Umgang mit alten Menschen in unserer Gegenwart geworben werden, das Augenmerk der interessierten Besucher wird aber auch auf eine bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers und Geistes gelenkt, als Instrumente der jeweiligen Lebenserfahrung.

Betrachtet man die Geschichte der Kunst und der Literatur zu diesem Thema in ihrer Breite, so wird rasch deutlich, dass Dichter und bildende Künstlerinnen und Künstler in der weit überwiegenden Zahl das Alter als tief greifendes "existenzielles Problem" erfassen. Die Absichten der künstlerischen Stellungnahmen sind dabei vielfältig. Neben eine, man könnte sagen, "sozialreformerische" Intention, die die gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Zustände anprangert und Veränderungen einfordert, tritt stets auch die Faszination der künstlerischen Aufgabe selbst, die mit der Darstellung eines naturgegebenen "Extrems" - der Wiedergabe des gealterten Körpers eines Menschen und seiner psychischen Verfasstheit - verbunden ist und bleibt. So wird das menschlich intime und meist verdrängte Phänomen des "Alterns" in dieser Ausstellung durch Werke zahlreicher bedeutender Künstlerinnen und Künstler aus deutschen Museen diskutiert: Der spannungsreiche Bogen reicht von Peter Candid bis Max Beckmann, führt von Hans Thoma bis zu Bernhard Heisig. "Alte" und "neue" Kunst - die Auswahl umfasst die Zeit von etwa 1550 bis heute, mit deutlichem Schwerpunkt auf aktuellen Arbeiten aus Ost- und Westdeutschland - sowie die verschiedenen Gattungen Malerei, Fotografie, Grafik, Plastik, angewandte Kunst stehen sich gleichberechtigt gegenüber.

Die bildhafte "Argumentation" der einzelnen Werke ist dabei wertend, tendenziös, zum Teil irritierend, manches Mal gar schockierend, in jedem Falle aber subjektiv und menschlich engagiert. Wenngleich mit einem kunsthistorischen Ansatz entworfen, erschließt sich diese Präsentation dem Betrachter dennoch nicht in der Form einer akademischen Abhandlung, die sich primär mit Formproblemen oder mit der Darstellungsweise befassen würde. Die Wirkungskraft der künstlerischen Äußerungen soll dem soziokulturellen Anliegen der Ausstellung vielmehr Gewicht verleihen und ein Gespräch zwischen den Generationen motivieren.

Thomas Richter
Dr. Thomas Richter ist Amtierender Kustos und Ausstellungskurator
der Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale

AsKI KULTURBERICHTE 2/2003

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