Goethe-Museum Düsseldorf: Taten des Lichts - Mack & Goethe

Taten des Lichts: Mack & Goethe, Blick in die Ausstellung, Foto: Barbara SteingießerDie Farben sind „Taten des Lichts", schrieb Goethe in seiner 1400 Seiten umfassenden Farbenlehre, die er als sein wichtigstes Werk überhaupt betrachtete. Das Zitat ist Motto der repräsentativen Sonderausstellung, die vom 4. März bis zum 27. Mai 2018 im Goethe-Museum Düsseldorf gezeigt wird.

Sie rückt den dynamischen Aspekt der Farbe in den Vordergrund und setzt das Werk Heinz Macks mit Ideen und Gedanken von Johann Wolfgang von Goethe in Beziehung. Die zentralen künstlerischen Themen des Malers und Bildhauers Heinz Mack, der 1957 die Avantgardebewegung ZERO in Düsseldorf mitbegründet hat, sind Licht und Farbe sowie deren Wechselwirkungen. Auch Goethe hat sich vier Jahrzehnte lang immer wieder mit diesen Phänomenen befasst.

Die Idee zu diesem Brückenschlag über die Zeiten stammt von der Germanistin und Kunsthistorikerin Dr. Barbara Steingießer, die als Kuratorin der Ausstellung die erstaunlichen Strukturparallelen von Goethes Gedanken über Licht, Farbe, Morphologie und den Orient zu dem Denken und Schaffen Heinz Macks herausstellt. Der deutsche Klassiker und der bildende Künstler von heute weisen in ihren Ansichten viele inhaltliche Berührungspunkte auf: interdisziplinären Forschergeist, das Bestehen auf einem anschauenden Denken und interkulturelle Offenheit. Barbara Steingießer hat diese Entsprechungen in drei Abteilungen gegliedert und lässt im spätbarocken Schloss Jägerhof die modernen Bilder und Skulpturen Heinz Macks einen ganz eigenen Reiz entfalten und in einen lebendigen Dialog mit dem größten deutschen Dichter Goethe treten. Das Programm der Ausstellung setzt damit die Devise des Düsseldorfer Goethe-Museums um: den Transfer von Goethes Werk in die Gegenwart. Und dies über ein sinnenreiches Erlebnis mit Blick auf die Bildwelt von Mack, das die Besucher auch mit den Apparaturen des Museums Goethes prismatische Experimente nachvollziehen lässt. Das Haus verfügt über detailgetreue Nachbauten von Goethes Experimentiergeräten, die für die Schau noch durch Leihgaben aus der Sammlung Farbenlehre der Technischen Universität Dresden ergänzt worden sind.

Selten oder noch nie gezeigte Werke Heinz Macks zu den Themen Farbe, Licht und Schatten treffen auf Gedanken aus Goethes Farbenlehre. Macks Struktur-Arbeiten begegnen Ideen aus Goethes Morphologie. Und die von orientalischen Ornamenten inspirierten Bilder eines westlichen Künstlers finden Bestätigung in der Erkenntnis aus Goethes Gedichtsammlung „West-östlicher Divan": „Orient und Occident / Sind nicht mehr zu trennen." Zusammengenommen erscheinen Macks Werke als überraschend facettenreiches Spiegel- und Gegenbild zur Gedanken- und Ideenwelt Goethes.

Von Heinz Mack sind 80 Kunstwerke zu sehen. Das früheste Exponat ist eine Schülerzeichnung des 16-jährigen, das neueste wurde von Mack eigens für die Ausstellung geschaffen: ein 9 Meter hoher Farbturm auf dem Vorplatz des Goethe-Museums, der 12 farbige, beweglich aufgehängte Stoffbahnen in einer leiterähnlichen Edelstahlkonstruktion fasst. Den Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen und Rotoren des zeitgenössischen Künstlers sind in der Ausstellung 80 vielfältige Exponate aus der Goethezeit beigesellt: Bücher, zahlreiche Handschriften, Graphiken und mehr. Sie stammen aus dem Bestand des Goethe-Museums und werden ergänzt durch rare Leihgaben aus der Klassik Stiftung Weimar.

Drei besondere Konstellationen mögen das Ausstellungsprinzip der Brechung und Parallelität verdeutlichen: In der Abteilung „Licht als Farbe" findet der Besucher etwa in einer Vitrine ein „optisches Kartenspiel", das als Beilage zu Goethes „Beyträgen zur Optik" erschienen ist – zu seiner Zeit ein modernes interaktives Mittel, um dem Publikum die Erfahrung prismatischer Farben zu vermitteln. Goethe hatte in der Spielkartenfabrik seines ehemaligen Dieners besondere Karten mit Schwarz-Weiß-Strukturen drucken lassen, die, unter ein Prisma gelegt, dem Betrachter die Farbsäume zeigen sollten, die den Dichter so faszinierten. Für diejenigen, die kein Prisma hatten, ließ er gleichzeitig aber auch Karten mit farbigen Effekten drucken. Über diesen originalen Karten aus dem Jahr 1791 hängen zwei Gemälde Heinz Macks, der sich an einigen dieser Objekte orientiert und daraus eigenständige Kunstwerke geschaffen hat, die prismatische Farben auf schwarzem und weißem Hintergrund agieren lassen.

In der Abteilung Morphologie fallen dem Besucher zwei plastische Objekte ins Auge. 1829 hatte Goethe zu seinem Geburtstag ein Modell zur Demonstration des spiraligen Pflanzenwachstums erhalten. Diese Leihgabe der Wiener Goethe-Gesellschaft korrespondiert mit einer Edelstahlskulptur von Heinz Mack, die sich derselben vegetabilischen Struktur widmet.

Taten des Lichts: Mack & Goethe, Blick in die Ausstellung, Foto: Barbara Steingießer

Parallelen auch in der dritten, der Orient-Abteilung. Nicht nur hat Mack Goethes „West-östlichen Divan" in einem Künstlerbuch neu interpretiert. Das Interesse beider Persönlichkeiten an der orientalischen Kalligraphie zeigt sich in der Nebeneinanderschau von Goethes arabischen Schreibübungen und Macks graphischen Texturen. Heinz Mack kehrt sich in seinen Bildern von dem in der abendländischen Kunstgeschichte lange herrschenden Prinzip einer dreidimensionalen Raumdarstellung ab und entwickelt flächige Strukturen, die der zweidimensionalen Ästhetik des Ostens Rechnung tragen. Das ganz Andere dieser Kunst muss auch Goethe in den ihm vorliegenden orientalischen Ornamenten gespürt haben. Neben Goethes Versuch, eine Basmala-Formel nachzuschreiben, liegt eine ebenso faszinierend gestaltete Phantasieschrift des Künstlers Mack, der sich mit diesem frühen Blatt zur Aufnahme in der Düsseldorfer Kunstakademie bewarb.

Weitere Parallelen lassen sich vielfältig in dieser Ausstellung erfahren. Den Rotoren Heinz Macks im Kinetik-Raum lässt sich etwa Goethes Schwungrad zugesellen, mit dem er Farbscheiben zur Erforschung von Farbmischungen herumwirbelte und dabei auch die räumliche Wirkung von Farbe erfuhr.

Goethe und Mack am selben Ort: Dass beide im Düsseldorfer Museum zusammentreffen, kommt nicht von ungefähr. Düsseldorf ist als Lokalität sowohl für Goethe als auch für Heinz Mack wichtig gewesen. Mack studierte hier ab 1950 an der Kunstakademie. Seine Bestandsaufnahme der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg ist bekannt: Die jungen Künstler waren buchstäblich und symbolisch konfrontiert mit einer grauen Ruinenlandschaft, gegen welche die Avantgardebewegung ZERO, die Heinz Mack mit Otto Piene begründete, Licht und Bewegung in ihr Recht setzte. Im selben Jahr, als Mack sein Staatsexamen an der Kunstakademie ablegte, wurde das Goethe-Museum begründet. Es ist in derselben Aufbruchssituation wie die moderne Kunst in Düsseldorf nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und verdankt seine Existenz dem damaligen kulturpolitischen Weitblick der rheinischen Metropole, die sich dazu verpflichtete, das kulturelle Erbe nach der Barbarei der Nationalsozialisten zu sichern und an das bessere Deutschland der Humanität und Bildung anzuknüpfen.

Taten des Lichts: Mack & Goethe, Blick in die Ausstellung, Foto: Barbara Steingießer

1774 hat Goethe zum ersten Mal Düsseldorf besucht, angezogen von dem Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, auf dessen Pempelforter Landsitz der Weimarer Musenhof geprobt wurde. Wenn heute im Museum Goethes Experimente zur prismatischen Brechung von Farben gezeigt werden, setzen sie Goethes Vorträge im Jacobihaus um die Ecke fort. 1792 nahm Goethe teil an der Campagne in Frankreich, dem Koalitionskrieg der alliierten preußischen und österreichischen Truppen gegen das revolutionäre Frankreich. Während des Feldzugs widmete er sich Untersuchungen zur Farbenlehre, auf dem Rückzug über den Rhein setzte Goethe seine „chromatischen Akten" fort und versuchte dann in Pempelfort, „die Gesellschaft mit einigen Phänomenen und Versuchen zu unterhalten, wo mir denn ganz Neues vorzubringen nicht schwer fiel". Die Demonstrationen hatten den Erfolg, dass dem Sprecher selbst „unter'm Sprechen neue Lichter" aufgingen und er „im Fluß der Rede am gewissesten" erfand. Fortan unterrichtete Goethe brieflich den Freund Jacobi vom Fortgang seiner Arbeit über die Wahrnehmung farbiger Schatten.

Nicht aber nur Demonstrationen verdeutlichen das Wesen von Licht und Farbe. „Farbe, du Wechselnde, komm freundlich zum Menschen herab", heißt es im Distichon Licht und Farbe, das Goethe zugeschrieben wird (vermutlich sind die Verse aber gemeinschaftlich mit Schiller entworfen worden, mit dem Goethe auch über Farbenlehre diskutierte). In Heinz Macks von der Faszination durch das Licht und die reine Farbe geprägten Schöpfungen erleben wir das Heraustreten der Natur „aus ihrer alltäglichen Gleichgültigkeit" (Goethe, Beyträge zur Optik, § 2), sie vermitteln Aufschluss über dynamische Strukturen und machen dennoch einen „vergnügenden Eindruck" (§ 1).

Das Licht nehmen wir wahr in seinen Abspiegelungen. Goethe und Mack eint die Anschauung, dass Natur nicht abbuchstabiert, sondern auf der Grundlage von geometrischen oder sprachlichen Grundformen künstlerisch gestaltet wird. Beide setzen auf dynamische Strukturen, die mehrdeutig erscheinen: sei es durch das Spiel von Licht und Schatten auf der Oberfläche von Skulpturen, sei es durch nach dem Prinzip wechselseitiger Bedeutungserweiterung gebaute Wortkunstwerke. Dabei fassen der Dichter wie der Künstler das Individuum nicht einfach als Funktion der Struktur auf. Sie haben einen humanistischen Anspruch. Es ist auch der des Goethe-Museums Düsseldorf.

Prof. Dr. Christof Wingertszahn
Direktor des Goethe-Museums Düsseldorf


 

Goethe-Museum Düsseldorf

Taten des Lichts: Mack & Goethe

04. März 2018 - 27. Mai 2018

Im Mai erscheint im Hatje Cantz Verlag ein gleichnamiger Katalog zur Ausstellung
mit einem Vorwort von Christof Wingertszahn, hg. von Barbara Steingießer
304 Seiten, 200 Abb.
Preis: 50 €

ISBN 978-3-7757-4407-2

AsKI KULTUR lebendig 1/2018

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