Zwischen den Fronten. Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg - Begleitpublikation zur AsKI-Gemeinschaftsausstellung DIE VERWANDLUNG: Sterben und Trauer 1914-1918

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Anders als in unseren europäischen Nachbarländern hatte der Erste Weltkrieg lange Zeit keinen vergleichbaren Platz in der deutschen Erinnerungskultur. Zu übermächtig bis in die unmittelbare Gegenwart waren die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs spürbar, der an Grausamkeit und Vernichtung alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte.

  AsKI-Begleitpublikation  Zwischen den Fronten. Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg In diesem Jahr, in dem sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Male jährt, erinnern zahlreiche Ausstellungen und Publikationen an jene „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", ohne die Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg kaum denkbar sind. Dies war auch für die im AsKI zusammengeschlossenen Kultureinrichtungen Anlass, sich mit einer Fülle ganz unterschiedlicher Fragen den verschiedenen Bedeutungsdimensionen des Ersten Weltkriegs zu widmen.

Die Ausstellung in Kassel aufgreifend, ist eine Publikation entstanden, die unterschiedliche Aspekte wie in einem Kaleidoskop beleuchtet und zwischen überblicksartigen Themen allgemeiner Art und individuellen Perspektiven wechselt. An der Publikation, die sich in die Bereiche „Geistige Mobilmachung", „Zwischen den Fronten. Alltag an der Kriegsfront und an der Heimatfront" und „Trauer, Trost, Erinnerung" gliedert, sind zehn AsKI-Mitgliedsinstitute mit insgesamt 18 Beiträgen beteiligt. Als Autor des einleitenden Essays konnte der Historiker Steffen Bruendel gewonnen werden, Direktor am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main). Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist der Erste Weltkrieg.

Den Auftakt bildet das Thema „Geistige Mobilmachung". In ihrem Beitrag zeigt Anna Schultz (Akademie der Künste), wie wenig die deutsche Plakatpropaganda der Feindpropaganda entgegenzustellen hat, sie vielmehr eine der verpassten Möglichkeiten gewesen ist, an deren volkstümliche Ikonographie die Nationalsozialisten problemlos anknüpfen werden. Erfolgreicher sind die Plakate mit der Aufforderung, Kriegsanleihen zu zeichnen. Hier trifft man den Nerv der Bevölkerung. Als wenig effektiv erweist sich auch die filmische Kriegsberichterstattung (Annette Groschke, Deutsche Kinemathek). Zwar stellen diese eine Verbindung zwischen Front und Heimatfront her, mangelnde Authentizität, Zensur und Propaganda verhinderen jedoch eine mehr als „gnädige" Rezeption durch das Publikum.

Auch der Simplicissimus, bis dato eher kritisch gegenüber dem wilhelminischen Obrigkeitsstaat und dem Kaiserreich eingestellt, schwenkt gleich zu Beginn des Krieges um, stellt sich in den Dienst der Propaganda und zeigt unverdrossen Bilder von der „siegreichen" deutschen Armee (Gisela Vetter-Liebenow, Museum für Karikatur und Zeichenkunst – Wilhelm Busch).

„Helft uns Siegen!“ Entwurf Fritz Erler, Deutschland 1917; „Helft uns Siegen!“ Entwurf Fritz Erler, Deutschland 1917;  © Archiv der Akademie der KünsteWie die 13-jährige Marie Luise Kaschnitz, der 16-jährige Bertolt Brecht und der schon arrivierte Künstler Max Liebermann auf die Ereignisse der Mobilmachung reagiert haben, zeigen die Beiträge von Thomas Schmidt, Iliane Thiemann und Rosa von der Schulenburg. Kaschnitz wie auch Brecht zeigen durchaus ein Bewusstsein für die historische Bedeutung der eigenen Gegenwart im August 1914. Während Kaschnitz ein Kriegstagebuch im militärischen Rapportstil verfasst, das individuellem Leiden keinen Platz einräumt und erst allmählich der Ernüchterung weicht (Thomas Schmidt, Deutsches Literaturarchiv Marbach), nutzt der junge Bert Brecht, an „Dichteritis" leidend, die Gelegenheit, erste patriotische Texte zu publizieren, ohne jedoch in irrationale Kriegsverherrlichung zu verfallen oder das Elend der Menschen zu übersehen. Die "Legende vom toten Soldaten", eine bittere Satire auf den Krieg und den Patriotismus seiner Zeit, steht am Ende dieser Entwicklung (Iliane Thiemann, Akademie der Künste).

Auch der Künstler Max Liebermann verschreibt sich dem patriotischen Engagement. Als jüdischer Künstler sieht er sich besonders verpflichtet, der nationalen Sache zu dienen. Er gehört zu den Unterzeichnern des „Aufrufs an die Kulturwelt", die die deutsche Kriegsschuld und den Vorwurf der Völkerrechtsverletzung beim Einmarsch in Belgien dementiert haben. 26 Lithographien entstehen für die „Kriegszeit. Künstlerflugblätter", die sich anfänglich ganz in den Dienst der Kriegspropaganda stellen. Erst später zeigt „Der Bildermann", die Nachfolgepublikation, auch Bilder der leidenden Zivilbevölkerung (Rosa von der Schulenburg, Akademie der Künste).

„Zur Erinnerung an die Kriegszeit Anno Domini 1916“  Postkarte, Motiv von Oskar Behringer, 1916, Kriegsernährungsamt,  Deutsches Reich; © Sammlung Museum der Brotkultur UlmDer zweite Teil der Publikation „Zwischen den Fronten" widmet sich dem Alltag an der Kriegs- und Heimatfront. Um die Brücke zwischen beiden Fronten zu schlagen, den Kontakt zwischen den Soldaten und ihren Familie nicht abreißen zu lassen, ist die Feldpost ein (überlebens-)wichtiges Kommunikationsmittel (Thomas Jander, Museum für Kommunikation, Berlin; jetzt: DASA Arbeitswelt Ausstellung Dortmund). Die Fotografie entwickelt sich zu einem Massenmedium: Nicht nur professionelle Fotografen haben den Auftrag, das Kriegsgeschehen – in z.T. nachgestellten Szenen – zu dokumentieren. Auch der einfache Soldat kann jetzt als Amateurfotograf mit kleinen Rollbildkameras „Schnappschüsse" machen (Veit Didczuneit, Museum für Kommunikation, Berlin). Um sich von dem zermürbenden (Stellungs-)Krieg abzulenken, geben Soldaten als Zeitungsmacher Feldzeitungen heraus, so z.B. „Der Landsturm" (erscheint 1914/1915 in Frankreich): von Soldaten für Soldaten und ohne „sentimental-unwahre Kriegsnovellen" – so wird es zumindest gewünscht (Johannes Lindenlaub, Museum für Kommunikation, Berlin). Auch Truppenbüchereien sollen Abwechslung in den Alltag der Soldaten bringen. Unter der Devise „Die Mobilmachung der Bücher" wird seit Beginn des Krieges in ganz Deutschland durch private Initiative und den Buchhandel zu Buchspenden für Büchereien an der Front aufgerufen (Arno Barnert, Deutsches Literaturarchiv Marbach).

Werbeprospekt der Heinrich Ernemann AG Dresden, um 1916; © Technische Sammlungen DresdenDie „Stimmen" einzelner Kriegsteilnehmer vermitteln, wie sehr die Erlebnisse die Soldaten geprägt haben, in ihrem Privatleben und, wenn es sich um (künftige) Künstler handelt, auch mit Auswirkungen auf ihr Werk. So gelingt es dem einfachen Soldaten Hermann Schützinger nicht, dem Vater – der als Bürgermeister von Lindau das gewohnte Leben fortsetzen kann – in den Feldpostbriefen seine zunehmende „Seelenerschütterung" angesichts der Gräueltaten im Krieg nahe zu bringen (Maren Horn, Walter Kempowski Archiv, Akademie der Künste, Berlin). Der junge Schriftsteller Gustav Sack ist bei Ausbruch des Krieges fest entschlossen, den Dienst an der Waffe zu verweigern („... ich bin kein Kanonenfutter!") – und stellt sich dann doch. Mehr als 300 Feldpostbriefe schreibt er von der West- und Ostfront an seine Frau Paula: ein berührendes Zeugnis der Liebe, mit vielen Plänen für eine gemeinsame Zukunft. Im Dezember 1916 fällt Gustav Sack in Rumänien (Johannes Kempf, Deutsches Literaturarchiv Marbach). Ludwig Meidner gehört zu den Künstlern, die eine Katastrophe vorausgeahnt haben („Apokalyptische Landschaften"); auch die Kriegseuphorie wertet er bereits im August 1914 als Menetekel um. Selbst erst im Sommer 1916 zum Militärdienst einberufen, imaginiert er zuvor das Geschehen an der Front mit geballter Kriegssymbolik, u.a. in dem Mappenwerk „Krieg" (Gerhard Leistner, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg). Das Thema „Krieg" spielt in den musikalischen Werken von Hanns Eisler keine unwesentliche Rolle. Erfahrungen sammelt er während seiner Militärzeit als Soldat der k.u.k. Armee, u.a. an der österreichisch-italienischen „Isonzofront". Bereits 1917 komponiert er das Lied „Der müde Soldat" (auf einen Text von Klabund), aber erst 1936, für seine Arbeiten mit Bertolt Brecht, die Chorvariationen „Gegen den Krieg" (Peter Deeg, Musikarchiv, Akademie der Künste, Berlin).

Auch die Heimatfront bekommt die Auswirkungen des Krieges rasch zu spüren. Bereits im Herbst 1914 gerät die Lebensmittelversorgung der Zivilbevölkerung durch die Blockade der britischen Flotte ins Stocken. Viele Lebensmittel sind ab 1915 rationiert und nur auf Marken erhältlich. An den Folgen von Hunger und Unterernährung sterben in Deutschland an der Heimatfront mindestens 700.000 Menschen (Andrea Fadani, Museum der Brotkultur, Ulm). Arrivierte Künstler, denen aufgrund ihres Alters der Kriegsdienst erspart bleibt, werden weniger unter der Hungersnot gelitten haben. Aber sie reflektieren das Kriegsgeschehen in ihrem Werk und ihren Äußerungen. Öffentlich positioniert sich der Komponist Max Reger weder als Kriegsbefürworter noch als -gegner. Seine patriotische Solidarität demonstriert er jedoch mit der im September 1914 komponierten und „dem deutschen Heere" gewidmeten „Vaterländischen Ouvertüre" op. 140 für Orchester oder der „Trauerode" op. 145 Nr. 1, „Dem Gedenken der im Kriege 1914/15 Gefallenen". Reger, bei Kriegsausbruch als dauernd „Feld- und Garnisonsdienstunfähig" ausgemustert, stirbt 1916 im Alter von nur 43 Jahren (Alexander Becker, Max-Reger-Institut, Karlsruhe). Heinrich und Thomas Mann fechten in den Kriegsjahren einen erbitterten, öffentlichen „Kampf der Geister und Federn" aus. Auf der einen Seite Thomas Mann, Konservativer und euphorischer Kriegsbefürworter, auf der anderen Heinrich Mann, linker Intellektueller, frankophiler Kaiserreichskritiker und vehementer Kriegsgegner. Während Thomas von einem glanzvollen Sieg überzeugt ist, prophezeit Heinrich sehr früh eine Niederlage und als Folge die Zerschlagung der deutschen Monarchie. Die Geschichte wird dem älteren Bruder recht geben und der jüngere sich erst 1922 öffentlich zur Demokratie bekennen (Käte Antonia Richter, Buddenbrookhaus, Lübeck).

Nagelkreuz aus Beerbach/Mfr.; © Museum für Sepulkralkultur, AFD KasselDer dritte Teil des Buch ist dem Thema „Trauer, Trost, Erinnerung" gewidmet. In seinem facettenreichen Beitrag über „Trost im Leid" zeigt Reiner Sörries (Museum für Sepulkralkultur Kassel) kollektive Strategien der Trauerbewältigung, die eine hohe Akzeptanz gefunden haben. Im Vordergrund steht dabei nicht das individuelle Trauern, sondern Modelle des Gedenkens, die den Tod auf dem Schlachtfeld i. S. des christlichen Opfertodes glorifizieren und ihm einen „höheren" Sinn zuweisen. Diese Strategien umfassten sowohl das offizielle Helden- als auch das häusliche Totengedenken. „Lerne leiden ohne zu klagen" bleibt die erste Bürgerpflicht, mit all ihren psychischen Nachwirkungen bei dieser Art von Trauerbewältigung.

Der Sammelband richtet sich an eine breite Leserschaft, thematisiert er doch zahlreiche, bislang noch nicht behandelte Aspekte dieses umfangreichen Themas. Zugleich dokumentiert er die ganze Bandbreite der Sammlungen und Archive der im AsKI verbundenen Kultureinrichtungen.

Ulrike Horstenkamp / Gabriele Weidle

Zwischen den Fronten.

Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg

brosch., 366 S., mit zahlr. Abb.
AsKI e.V. - Bonn 2014
ISBN 978-3-930370344
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Begleitpublikation zur Gemeinschaftsausstellung 2014 des AsKI e.V.:

Die Verwandlung: Sterben und Trauer 1914 – 1918

Museum für Sepulkralkultur, Kassel
15.11.2014 bis 10.5.2015 
www.sepulkralmuseum.de
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