Wort für Wort / Seite für Seite - Beispiele aus dem Spannungsfeld von Poesie, Typografie und Buchgestaltung

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Stéphane Mallarmé, Un Coup de Dés / Ein Würfelwurf, Steidl Verlag, Göttingen 1995 Gestaltung: Klaus Detjen, © Foto: Stiftung Buchkunst, Frankfurt a.M.

Ausstellung der Stiftung Buchkunst in Der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main

Die Welt ist eckig - wird in der Buchstabenanimation "Ist" von Nauka Kirschner behauptet. Zumindest Bücher sind eckig. Meistens.

Dass die Stiftung Buchkunst in ihrer Ausstellung "Wort für Wort / Seite für Seite" Bücher zeigt, ist nichts Ungewöhnliches. Dass sie aber nicht prächtig illustrierte Bücher ausstellt, sondern so etwas "Pures" wie Typografie, das mag manchem riskant erscheinen. Riskant, weil Text sich nicht so leicht erschließt wie Bild, und doppelt riskant, weil allgemein wenig Übung darin besteht, Typografie nicht nur als Text zu lesen, sondern auch als Bild anzuschauen.

Eine Ausstellung von Büchern mit Lyrik kann sogar noch als Steigerung des Puren, des Reduzierten wahrgenommen werden. Dass mit Lyrik kein Staat zu machen ist, ist bekannt. Dass aber sowohl Lyrik als auch deren typografische oder lautsprachliche Umsetzung sinnlich ist - mit Genuss zu lesen, zu sehen und auch zu hören ist - von dieser Sinnlichkeit möchte die Ausstellung erzählen.

So ist diese Ausstellung eine Hommage an die Lyrik und an die Typografie. Eine Hommage an alle, die künstlerisch mit Sprache arbeiten - die Schriftstellerinnen und Autoren auf der einen Seite, und die Typografinnen und Buchgestalter, die dieses sprachliche Material experimentell ins Visuelle umsetzen, auf der anderen Seite. Und nicht zuletzt ist es eine Hommage an all die Verlage, die sich um diese Randbereiche der Buchwelt bemühen.

Lyrik und Poesie sind die Bereiche der Literatur, in denen die Autor/innen ein ganz besonderes Augenmerk auf die Formen richten müssen, sich ganz bewusst mit dem Formulieren von Sprache auseinander setzen. Poiésis bezeichnet eigentlich alles Schaffen. Wird Lyrik oder Poesie nicht sprachlich vorgetragen, sondern schriftlich formuliert, so ist meist Papier Träger des Textes. Und so ist der Schritt nicht mehr weit, die sprachliche Formulierung auch visuell in Form zu bringen - sichtbar zu machen. So wie beim Sprechen alles in Bewegung gerät, so still wird es bei der Atempause. Atmen, sprechen, Luft holen. Um Sprechen und Schweigen auf die Typografie, auf die Buchgestaltung zu übertragen, bedarf es der Schwärze der Buchstaben und der Weiße des Papiers. Weißräume sind Pausen.

In ihren Manuskripten geben Lyriker meist typografische Parameter mit. Zeilenfall wird definiert, manchmal auch die Zeilenplatzierung. Zeilenabstand und Weißräume übernehmen trennende oder gruppierende Funktion. Pausen werden signalisiert. Und immer ist es die Autorin, der Lyriker, die diese Markierungen setzen - spätestens seit Mallarmé.

Sprachrhythmus oder lyrischer Rhythmus kann mit typografischen Elementen sichtbar gemacht werden. Der Raum des Buches, der Doppelseite - der Weißraum auf dem Papier - sind dabei wichtige visuelle Instrumente. Und selbst wenn Zeilenfall und -platzierung genau vorgeschrieben sind, bleibt es doch die Entscheidung des Typografen, die Weißräume auch im Detail zu konkretisieren: Wahl der Schriftart und -größe im Verhältnis zu Zeilenabstand und Format definieren die Pausen präzise.

Diese Ausstellung führt die Sinnlichkeit von Sprache vor Augen. Nicht mehr. Nicht weniger. Sie folgt nicht der chronologischen Einteilung in die bekannten buchgestalterischen Epochen, und schon gar nicht den Einteilungen in literaturwissenschaftliche Kategorien.

Die Auswahl der gezeigten Bücher beginnt zeitlich mit Stéphane Mallarmé und seinem Meilenstein für spätere Typografie: mit dem Buch "Un coup de Dés" (von 1897). Bei Stéphane Mallarmé folgt die Typografie (Schriftart, Größe, Platzierung auf dem Format) der Sprache, ihrer Akzentuierung. "Daraus ergibt sich eine aktive Beteiligung der weißen, unbedruckten Fläche an der inhaltlichen Aussage, die es so in der Typografie bislang nicht gegeben hatte (1897). Hier liegt der Ursprung aller späteren Bemühungen, Sprache und Typografie in Einklang zu bringen." (H.P. Willberg) Text, Typografie und Bild beanspruchen in einem Buch ihre eigenen Rechte, ganz zu schweigen von denen des Weißraums - "diesem bedeutungsvollen Schweigen", wie Mallarmé es nennt.

Die Ausstellung zeigt Bücher der Futuristen (um 1909), in deren "Futuristischem Manifest" u.a. zu lesen steht: "Ich bin gegen alles, was als Harmonie des Setzens bekannt ist. ... Einen Aufschrei werden wir in fetten Typen wiedergeben, Flüchtiges durch kursive Schrift. Jede Druckseite wird eine neue, bildhafte typografische Gestaltung gebären."

Oder die Bücher der Dadaisten und - parallel dazu - die Arbeiten von Kurt Schwitters, El Lissitzky, den Schlüsselfiguren der typografischen Revolution. Die radikale Neuformung der Typografie (um 1915) beeinflusste noch viele Generationen späterer Buchgestalterinnen und Typografen.

Die Scheuche, Märchen, Herbert Lang & Cie AG, 1975, Nachdruck, Gestaltung: Kurt Schwitters, Käte Steinitz, Theo van Doesburg, Leihgabe des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig © Foto: Stiftung Buchkunst, Frankfurt a.M.

Die Scheuche, Märchen, Herbert Lang & Cie AG, 1975, Nachdruck, Gestaltung: Kurt Schwitters, Käte Steinitz, Theo van Doesburg, Leihgabe des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig © Foto: Stiftung Buchkunst, Frankfurt a.M.

Die Scheuche, Märchen, Herbert Lang & Cie AG, 1975, Nachdruck, Gestaltung: Kurt Schwitters, Käte Steinitz, Theo van Doesburg, Leihgabe des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig © Foto: Stiftung Buchkunst, Frankfurt a.M.

Die Scheuche, Märchen, Herbert Lang & Cie AG, 1975, Nachdruck, Gestaltung: Kurt Schwitters, Käte Steinitz, Theo van Doesburg, Leihgabe des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig © Foto: Stiftung Buchkunst, Frankfurt a.M.

 

Dann die Bücher rund um das Bauhaus (um 1919). Damals wurde die Visualisierung der inhaltlichen Aussage durch verschiedene - verbale und nonverbale - Elemente aktiviert.

Dann, mit großer zeitlicher Unterbrechung durch den 2. Weltkrieg (zumindest in Deutschland), beginnen in den 50er Jahren die Experimente der Visuellen Poesie, der konkreten Poesie. Aus der engen Verbindung von Sprache, Schrift und Wortbild entstanden Sehtexte und Schriftbilder. Um nur einige, wenige Namen zu nennen: Emmett Williams, Franz Mon, Gerhard Rühm, Hansjörg Mayer, Carlfriedrich Claus, Guillermo Deisler.

In den siebziger Jahren dann die Versuche, aus der buchgestalterischen Enge auszubrechen. Die Zeit des Fluxus hat nicht nur in der Kunst Spuren hinterlassen, sondern auch in der Buchgestaltung. "Es wird das Experiment gestartet, verschieden gestaltete Bild- und Leseerlebnisse zu verbinden." (K.-D. Roth). Das Buch wird zu einem weiteren Forum für Happenings. Schließlich sind sowohl zeitgenössische Gestaltung von Poesie, die sich noch im Medium Buch präsentiert, zu sehen, als auch ein Ausflug in die Neuen Medien. Dort, wo Buchstaben in Bewegung geraten, führen Cyberlyrik oder Computerlyrik zu ganz neuen literarischen und typografischen Formen. Dies ist die geradlinige Fortentwicklung der visuellen Poesie der 50er Jahre.

‘Licht‘, Einzelseite aus: UNI/vers(;) visuelle und experimentelle poesie international Halle 1994 (Umschlag: Guillermo Deisler), Leihgabe des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig  © Foto: Stiftung Buchkunst, Frankfurt a.M.

Es gibt kein Richtig oder Falsch beim Lesen von Lyrik. Lyrik, gerade visuelle, ist nicht linear. Eine runde Sache wird daraus, wenn man quer liest. Es gibt vieles zu entdecken, auch für Nicht-Typografen. Jérome Rothenberg gibt uns eine sinnreiche / sinnliche Hilfe: "Buchstaben und Worte sind Sterne am weißen Himmel der Seite. ... Buchstaben erscheinen auf der Seite und treffen sich, um Worte zu formen. Sie stehen in Gruppen beisammen und singen. Sie diskutieren ihre jeweilige Bedeutung. Sie erinnern und sie vergessen."

Uta Schneider
Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst
Frankfurt am Main/Leipzig


Die Ausstellung ist noch bis zum 28. August 2002 in Der Deutschen Bibliothek, Adickesallee 1, 60322 Frankfurt am Main zu sehen.

 

AsKI KULTURBERICHTE 2/2002

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