Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur & Zeichenkunst, Hannover: F. K. Waechter: Zeichenlust

F. K. Waechter, Das Leben, 1984, Tusche/Feder, Aquarell, farbige Kreiden, Foto: Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover

Im November diesen Jahres wäre der 1937 in Danzig geborene Zeichner, Autor und Dramatiker Friedrich Karl Waechter 80 Jahre alt geworden.

Aus diesem Anlass hat die Erbengemeinschaft des Künstlers rund 80 Skizzen- und Notizbücher, zahlreiche Skizzenblätter sowie mehrere Gemälde und Kunstobjekte an das Museum Wilhelm Busch übergeben, die 2008 nicht Bestandteil von Ankauf und Schenkung des zeichnerischen Nachlasses waren. Eine erste Auswahl aus diesen Skizzen- und Notizbüchern präsentierte bis zum 15. Oktober 2017 die Ausstellung „F. K. Waechter – Zeichenlust", die mehr als 130 Werke umfasste. Nach der Ausstellung „Zeichenkunst", die 2009 die ganze Bandbreite von Waechters zeichnerischem Schaffen opulent ausgebreitet hatte, erlaubte nun der Fokus auf die Skizzenbücher einen sehr viel intimeren und unmittelbareren Blick auf den Künstler F.K. Waechter.

Im Oeuvre F.K. Waechters nimmt die Skizze eine wichtige Rolle eine: Gleichermaßen formgebend, vergewissernd und bilanzierend bildet sie zeitlebens die unmittelbarste Form seines künstlerischen Ausdrucks. Zugleich vermitteln auch die Skizzen eine Vorstellung davon, wie sehr Waechter sich selbst, seine Kunst und diese im Verhältnis zu anderen Kunstarten wie Malerei, Skulptur, Literatur, Theater und zur Kunstgeschichte immer wieder thematisiert hat. In einer Vielzahl von Skizzenbüchern, die manchmal nur ein dünnes Schulheft, eine kleine Kladde oder ein zufällig gefundenes altes Notizbuch sind, hat Waechter im Laufe seines Lebens Gesehenes, Gedachtes oder Gesponnenes notiert. Mit Bleistift und Kugelschreiber, aber auch mit Tusche und Aquarellfarben hat er einen Dialog geführt – immer wieder auch mit sich selbst –, hat Position bezogen oder dem Nonsens gefrönt. Skizzenbücher waren seine steten Begleiter – ob auf Reisen oder zuletzt in persönlich schwieriger Situation: Sie halfen ihm, die Welt gleichermaßen ironisch auf Distanz zu halten, wie sein Spiel mit ihr zu treiben, gerade auch in den letzten Monaten seiner Krankheit.

Vor allem aber sind die Skizzen Waechters ein Spiegel seiner künstlerischen Entwicklung, begleiten seine stete Suche nach anderen, neuen Ausdrucksformen, zeigen seine Neugier und seine schöpferische Fantasie, kurz: seine Zeichenlust. In fünf Kapiteln näherte sich die Ausstellung dem Thema „Zeichenlust":

I. Narwal: Selbstsuche und Selbstinszenierung

Autobiografisches spielt im Werk von F. K. Waechter eine wichtige Rolle. In der Moderne sieht sich der Künstler gezwungen, einen eigenen Stil als Ausdruck seiner originären Persönlichkeit zu entwickeln. Folglich arbeitet er an beidem, an Stil wie Image. Auf dem langen Weg vom Werbegrafiker und antiautoritären Nonsenszeichner der frühen 1960er-Jahre zum Selbstverständnis als Künstler in den 1990er-Jahren findet Lebensgeschichtliches auf vielfältige Weise Eingang in Werk und künstlerische Selbstinszenierung: in Selbstbildnissen, selbstironischen Rollenspielen als Struwwelpeter und Clown, über Stellvertreterfiguren wie die Figur des „Jochen" aus „pardon" oder des gehandicapten Künstlers, in Fotografien pantomimischer Aktionen oder fiktiven und realen Lebensläufen. Immer bilden Skizze und Zeichnung den Ausgangspunkt. Zeichnen ist für Waechter kein bloßes Abbilden des Lebensweges. Es ist vielmehr das elementare Mittel seines ständigen Neuentwurfs. Die eigene Hand, die Signatur, das Äußere mit der signifikanten Haarmähne werden seine Zeichen.

Seine Suche nach immer neuen künstlerischen Wegen fasst Waechter auch sinnbildlich zusammen, etwa in der Zeichnung „Am Berg". Der Lastwagen wirkt wie die Bild gewordene Funktion der Metapher. Er trägt Waechter über das Erreichte hinaus zu neuen Horizonten.

In Waechters Selbstbildnis als Narwal finden die Suche nach Identität und die Selbstinszenierung als Künstler schließlich ihren Höhepunkt. Das weit umherschweifende, sagenumwobene „Einhorn des Meeres" wird zum poetischen Gleichnis seiner spät eingestandenen Künstlerexistenz, das Weg und Person vereint. Die gedrehte Stirnwaffe symbolisiert Eleganz und Stoßkraft seiner exzentrisch-komischen Kunst.

II. Zeichenlust: Liebesarbeit im Atelier

Zeichnen ist für Waechter untrennbar mit Lust verbunden – in einem Maße, dass er sie zu dessen Wesen erklärt und sich selbst als ihre Verkörperung inszeniert: „Zeichnen, die Lust, das Schwarze im Auge auf einem weißen Papier zu verteilen."

Dieses Verlangen, ein Bild zu machen, gründet im Begehren, sich selbst zu erleben. Sie ist eng mit Erotik verbunden. Das emotional Erregende bildet – komisch verfremdet – das Epizentrum, von dem aus Waechter seine Kunst wie seine Person in immer neuen Weiterungen entwickelt. Ausgehend von den Erfahrungen einer Kindheit im Konformismus der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft nutzt er die Thematik lustvoll provokativ. Ohne Scheu, sich eine Blöße zu geben, bezieht Waechter die eigene Person ein: „Ich kümmere mich nicht um die Leute, ich mache, was mir Spaß macht." Das Spektrum seiner sexuell konnotierten Arbeiten reicht von pubertären Wunschbildern über Stammtischkritzeleien und Sexualgrotesken bis zur allegorisch-begrifflichen Darstellung. Sie zeigen am authentischen Beispiel des Zeichners die wechselseitige Beziehung von Maler und Modell, männlich dominierte Sehweisen, warenförmige „Liebesarbeit im Atelier", absurdes Dominanzverlangen – die gesellschaftliche Überformung privater Gefühle und Sinnlichkeit. Ihre zeichnerische Kommunikation macht sie zum Politikum und ihren Urheber zu einer Leitfigur seiner Generation.

  F. K. Waechter, Entwurf für ein Denkmal,  o.J., Tusche/Feder, Aquarell, Foto: Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover

III. High and Low: Waechters Dialog mit den Künsten

Mit den Hochkünsten tritt Waechter schon Anfang der 1960er-Jahre als Gestalter bei der neu gegründeten Satirezeitschrift „pardon" in produktive Beziehung. Das Verhältnis ist jedoch zwiegespalten. Einerseits liefern die großen Meister der Kunstgeschichte Vorbild und Stoff für die eigene Praxis und die Ausbildung eines eigenen Stils. Als Fetische bildungsbürgerlicher Überheblichkeit und Heuchelei werden ihre Werke andererseits Gegenstand parodistischer Aneignung und Kritik aus der Perspektive von unten.

Waechters stilistisch genaue Kunstparodien thematisieren frühgeschichtliche Felsmalereien, antike Architektur, mittelalterliche Buchkunst und die großen Maler der Renaissance ebenso wie die Gegenwartskünste, Fotografie oder Volkskunst. Daneben tritt seine parodistische Auseinandersetzung mit Literatur und Dichtung, mit Shakespeare, Goethe, Franz Kafka, Gertrude Stein oder Lewis Carroll.

Die Tiefe der Auseinandersetzung reicht von der visuellen Anspielung über das Zitat des Einzelwerks oder Stils, die gagartige Abwandlung bis zur hintergründigen Fortführung und Verknüpfung mit dem kunsthistorischen und literaturgeschichtlichen Diskurs. Picasso oder Paul Klee beschäftigen Waechter noch im Spätwerk. Das Künstlerbild der Gegenwartskunst überzieht er teils mit beißenden Spott, der dem Action Painter und dem Verschwinden des Autors in der abstrakten Malerei gilt genauso wie den Happenings von Yves Klein. Auch findet Waechter ironische Parallelen wie bei Piero Manzoni oder in der Pop Art.

Kunstgeschichte wird so in bemerkenswertem Umfang Teil von Waechters Œuvre. Im Dialog mit den Künsten wandelt sich der einstige Witzemacher und Anti-Künstler zum vielseitigen Künstler, Autor, Darsteller und Theaterregisseur, der sich nicht auf das komische Genre beschränken lässt und für den die Markierungen von High and Low keine Rolle mehr spielen.

IV. Kunstbetrieb: Gezeichnete Zeichner

Waechters Kunstreflexion umfasst neben dem Autobiografischen und dem Dialog mit den Künsten vor allem das Medium des Zeichnens. Er hinterfragt dessen Institutionen – den Kunstbetrieb von der Akademie über den Aktsaal bis hin zum Atelier –, die Paradoxien des Kunstverkaufs, die Pressearbeit und das Museum sowie den privaten Alltag. Mit der offensichtlichen Ebene der komischen Inszenierung verhandelt Waechter eine Ebene darunter – oft in skizzenhafter Zuspitzung – grundlegende kunsttheoretische Fragen: Exemplarisch ist das Selbstgespräch des Zeichners mit seiner Figur, die ihm den Warencharakter der Kunst vorwirft, den Aufstand probt und die moderne Problematik von Kunst und Leben auf ihre Weise löst, indem sie das Werk verlässt.

Die Lust und der Selbstgenuss des Zeichners im Selfie oder die Geburt des Kunstwerks unter Tränen thematisieren das Verhältnis von Künstler und Werk. Waechters gezeichnete Episoden zeigen seine kritische Haltung zur Rolle der Akademie, zu den Maßstäben professoraler Kunstbewertung und der Rolle des Zufalls. Oder seine Distanz zu einer Form der Satire, die sich in der strukturellen Wiederholung einer schlechten Wirklichkeit erschöpft. Er parodiert beispielsweise den Zeichner, der seine Werke um alles in der Welt nicht verkaufen, den Kunstkäufer, der die Werke nicht geschenkt haben will oder die Situation im Museum, in dem die Kunstwerke ihre ratlosen Betrachter verlachen.

Waechters komische kunsttheoretische Episoden laufen auf die Frage nach dem Stellenwert komischen Zeichnens im System der Künste hinaus, nach seiner Einordnung in den ästhetischen Diskurs der zweiten Moderne mit den Epochencharakteristika des Stilpluralismus und der Metakunst.

V. Skizzenbücher: „Zeichnen oder Sterben"

Waechters Skizzenbücher sind nicht auf eine künftige Veröffentlichung hin konzipiert. Sie besitzen künstlerisch rein funktionalen Charakter als Sammelgefäß für Einfälle, Ideen, Gesehenes; als Experimentier-, Probier- und Aufbewahrungsraum, in dem häufig Bild und Text in enger kreativer Beziehung stehen. Oft sind sie nicht datiert, manchmal werden sie nach größeren Zeitabständen vom anderen Skizzenbuchende her erneut begonnen. Verwendung finden alle Arten von gebundenem Papier: Schulhefte, Notizblöcke, Kontobücher, Künstlerskizzenbücher oder Blindbände von Buchproduktionen. Auch ein Konvolut von losen Zeichnungen, Zetteln, Manuskriptseiten gehört zum Bestand. Der Zeichenstil reicht vom puren Umriss und einfachster Bezeichnung bis zur aufwendigen, aquarellierten Ausarbeitung von Bilderbuchentwürfen und zu durchgezeichneten Bilderbuchprojekten wie „Der Bericht". Davon weichen die Reiseskizzenbücher insofern ab, als in ihnen Zeichnen nach der Natur und eine Memorialabsicht vorherrschen. Geschlossenen Charakter besitzt etwa das Venedig-Skizzenbuch, das 2011 postum im Diogenes Verlag erschienen ist.

Als „mobiles Transzendental der Zeichnung", so der französische Philosoph Jean-Luc Nancy, öffnen die Skizzenbücher den Blick auf Entstehungszusammenhänge und größere Werkstrukturen. Etwa auf die „Ausflüge in andere Künste", wie Waechter es nannte, in denen er das Grafische als Dimension von Skulptur, Installation bis hin zur Land Art erkundet.

Ein Skizzenbuch ist auch der Ort, in das Waechter die letzten Arbeiten seines Lebens zeichnet. Vorausgegangen waren zahlreiche Zeichnungen zu seinem, neben der Liebe, zweiten Leitthema, dem des Todes. In manchen hat er den eigenen spielerisch vorweggenommen, in diesen begleitet er ihn – komisch, politisch, menschlich ungebrochen – bis zum Ende.

Dr. Gisela Vetter-Liebenow
Direktorin des Museums
„Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst"

Karl Janke
Kunsthistoriker und Kurator der Ausstellung


Ausstellungskatalog

F. K. Waechter. Zeichenlust

170 Seiten mit einem einführenden Text von
Karl Janke, Hamburg
27,90 EUR
Zu beziehen unter: https://karikatur-museum.de/besuch/shop/

 

AsKI KULTUR lebendig 2/2017
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