Über die Strenge - Porträts von allerhand Künstlern. Ausstellung in der Kunsthalle Bremen

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Max Liebermann, Selbstbildnis, 1916, Öl auf Leinwand (in der Ausstellung inszeniert mit Spiegel-Bild), Foto: Kunsthalle Bremen

Im Porträt findet sich das Modell um den Künstler bereichert.
Baudelaire

Ausgerechnet ein "Selbstbildnis des Ausstellungsbesuchers" in Form eines Spiegels eröffnete die Ausstellung "Über die Strenge - Porträts von allerhand Künstlern", die von März bis Mai 1994 in der Kunsthalle Bremen zu sehen war. Schon im Vorraum der Ausstellung wurde man so als Betrachter mit einem zentralen Anliegen der Ausstellungskonzeption konfrontiert: Wie zuverlässig ist das Bild eigentlich, das der Künstler von sich und seinesgleichen anfertigt? Zwischen der Zufälligkeit des unvermittelten Spiegelblicks, dessen (meist unmittelbar darauf vorgenommener) Korrektur zugunsten einer vorteilhafteren Pose oder gar der spontanen Lust zur ironischen Grimasse konnte der Betrachter die Frage, welche Realität ein Porträt eigentlich "abbildet", am eigenen Ich erfahren. Denn was wäre, wenn es mit der Wahrhaftigkeit des künstlerischen Bildnisses gar nicht so weit her wäre und der Künstler, angeregt von den Capricen und Kapriolen des eigenen Spiegelblicks, hin und wieder über die Stränge schlüge?

Verunsicherungen dieser Art zerstreuten sich vorläufig beim ersten Blick über das prominente Défilé der Maler, Zeichner und Bildhauer, der Dichter, Schauspieler, Musiker und Tänzerinnen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, die die Sammlungen der Kunsthalle Bremen im Laufe ihres Bestehens vereint haben und die hier nun erstmals in einer nahezu vollständigen Gesamtschau präsentiert wurden: Die Mienen und Posen der im Bilde verewigten Künstler zeugten vor allem in älteren Bildnissen von der geradezu denkmalhaften Würde, die das Auge des modernen Betrachters für gewöhnlich als "Strenge" wahrnimmt.Heinrich Knauth/Ludwig Schott, Doppelbildnis der Künstler, 1833, Öl auf Leinwand, Foto: Kunsthalle Bremen

Inszenierte Prominenz
Natürlich lud die Ausstellung den Betrachter auch zum spontanen who is who der europäischen Kulturgeschichte ein - denn wer wüßte schließlich nicht gern, wie sie nun wirklich ausgesehen haben, die Großen aus allen Sparten der Kunst, von Voltaire bis Rilke, von Delacroix bis Picasso? Doch schon bald begann das prominente Abbild zu changieren. Steht es nicht im Belieben des ausführenden Künstlers, die zu porträtierende Persönlichkeit auf der Bühne seiner eigenen Kunst mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln effektvoll zu inszenieren? Ob einfühlsam oder ironisch betrachtet, privat oder offiziell, melancholisch oder genialisch präsentiert, ob in der Intimität des privaten Interieurs beobachtet oder ausstaffiert mit den Attributen seiner Profession, die Inspiration noch im verklärten Blick: Stets wird das Künstler-Gegenüber vom Porträtierenden interpretiert. Stets ist es der Malende, Zeichnende oder Bildhauernde, der sein künstlerisches alter ego ins Licht rückt, ins Bild setzt, seiner Erscheinung mit Pinsel, Zeichenstift oder Meißel Farbe, Profil und Plastizität verleiht - und damit darüber entscheidet, welches Bild wir künftig von ihm haben werden.

Künstlerporträt mit vielen Gesichtern
Porträtiert ein Künstler einen anderen Künstler, so bringt er gleichzeitig sein eigenes künstlerisches Selbstverständnis mit ins Bild. Besonders augenfällig sind solche bildnerischen Zwiegespräche in gegenseitigen Porträts, wie sie beispielsweise Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker und Ciara Rilke-Westhoff voneinander schufen. In jedem dieser Bildnisse gelangen zwei Kunstauffassungen, zwei "Künstlerbilder" also, miteinander in Dialog. Manchmal verschmelzen sie sogar regelrecht miteinander, wie das Freundschaftsbildnis bezeugt, das Heinrich Knauth und Ludwig Schott im Jahre 1833 von sich malten: Zu zweit verewigten sie sich in ein und demselben Gemälde. Hier fließen zwei künstlerische Handschriften sogar so sehr ineinander, daß man heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen kann, ob hier jeder sich selbst oder einer den anderen gemalt hat. Hingegen erweist sich die enthusiastische Bewunderung, die aus der Hommage an das prominente Künstlervorbild spricht, oft genug als Spiegel, in dem der ausführende Künstler sich selbst zeigt und sein künstlerisches Selbstverständnis formuliert. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür bot die große "Hommage ä C&anne", in der der Maler Maurice Denis sich und seine Künstlerfreunde aus dem "Nabis"-Kreis um ein Stillleben des Meisters gruppiert. Aber auch die zahlreichen Künstlerbildnisse in Marmor und Bronze zeugen in ihrem denkmalhaften Charakter von der Nobilitierung des Künstlers durch den Künstler. Insbesondere mit den höheren Weihen der Medaillenkunst wurden arrivierte Künstler zu allen Zeiten gern zum Symbol künstlerischen Ruhmes stilisiert. Das bewies eine repräsentative Auswahl von Münzen und Medaillen aus den Beständen der Kunsthalle, die hier erstmals als wesentlicher Bestandteil des "Gesamtbildes" in die Ausstellung integriert wurden.

Ihre eigene Kunstauffassung veranschaulichten Künstler auch gern, indem sie Porträts fiktiver Zunftgenossen schufen. In Rodins Bronze "Der Bildhauer und seine Muse" überfällt letztere regelrecht den wehrlosen Bildhauer. Im Gegensatz dazu läßt Max Klinger seinen "Maler in der Dachstube" ratlos und melancholisch vor der leeren Leinwand grübeln. Mit seiner Statuette "Schreitender Villon" stilisiert Gustav Seitz den verfemten mittelalterlichen Balladensänger programmatisch zum Symbol verkannten Künstlertums. Die ausstellungstechnische Präsentation gab dem pote maudit Villon in Bremen auch erstmals Gelegenheit zu einem - bildhauerisch vermittelten - Dialog mit seinem um fünfhundert Jahre jüngeren, aber ebenso skandalumwitterten Dichterkollegen Henry Miller (letzterer aus der Hand von Marino Marini).

Das vorgespiegelte Selbst
Das Selbstporträt als akribisches, eitles oder auch spielerisches tête-à-tête des Künstlers mit seinem Spiegelbild präsentierte sich auch in der Bremer Ausstellung als changierendes Vexierbild - und führte demzufolge jegliche psychologisierende Suche nach dem "wahren Charakter" des Künstlers ad absurdum. Im Mittelpunkt der Ausstellungskonzeption und dementsprechend im Mittelsaal der Präsentation stand ein facettenreiches Verwirrspiel unterschiedlicher Selbstinszenierungen. In chronologischer wie spiegelbildlicher Symmetrie präsentierten sich hier die beiden umfangreichen Selbstbildnisreihen von Max Beckmann und Lovis Corinth als virtuoses Masken- und Rollenspiel beider Künstler. Ob nun theatralisch-pathetisch oder spielerisch-ironisch inszeniert, stets wechselt das Ich im Spiegelblick auf sich selbst die Attitüden wie Masken: Beckmann mal im steifen Hut, mal als düsterer Clown im Artistentrikot, Corinth vor dem Spiegel oder mit Totengerippe. Zersplittert Beckmann sein Gesicht im Holzschnitt zu scharfkantigen Fragmenten und Chiffren, so verflüssigt Corinth das seine im Aquarell bis zur Entstellung. Beckmann treibt das Rollenspiel schließlich gar auf die Spitze, indem er sich im "Selbstbildnis mit Saxophon" von 1930 als Musiker, also im Spiegel einer "fremden" Kunst, inszeniert. Diesen irritierenden Kunstgriff konnte man auch bereits in Anseim Feuerbachs großformatigem Selbstbildnis als "Mandolinenspieler" (uni 1865) besichtigen.

Erfindet sich der Maler also gewissermaßen im Selbstbildnis, so fragt sich, inwieweit die repräsentative Würde des "strengen" Standesporträts nicht möglicherweise ebenfalls der Spiegel-Inszenierung entsprungen ist. Wie glaubwürdig erscheint dann noch die hoheitsvolle Pose eines Max Liebermann, der sich als Malerfürst und Gentleman zugleich verewigt, im Gesellschaftsanzug vor der Staffelei sein Selbstbildnis malend? Eine besonders raffinierte Form narzißtischer Selbstbespiegelung also? Spätestens nach Beckmanns und Corinths Selbstbildniszyklen drängt sich diese Frage auf. Der mannshohe Spiegel jedenfalls, dem sich das Selbstbildnis Liebermanns zuwandte (und der dabei auch die spiegelbedingte Linkshändigkeit des Meisters wieder neutralisierte), erinnerte den Ausstellungsbesucher zumindest an die Geburt des eigenen "Selbstbildnisses" aus dem Spiegelblick, mitsamt dessen Unwägbarkeiten und eitlen Verlockungen. Als Betrachter hier ein abschließendes Urteil über neuere wie alte Meister zu fällen, hieße jedoch, endgültig über die Stränge zu schlagen...

Bildnis der Kunsthalle Bremen im Profil
Im Spiegel der gezeigten Künstlerporträts präsentierte die Ausstellung nicht zuletzt ein großformatiges Selbstbildnis der Kunsthalle Bremen im Profil. Das Sammlungsprofil des Hauses verlieh der Präsentation erst ihre Spannung. Liegt der Schwerpunkt der Sammlung doch schließlich in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, der Epoche also, als die Photographie die Abbildungsfunktion der Porträtmalerei übernahm. Dem Porträt eröffnete sich damit der produktive "Mehrwert" des schönen oder verfremdenden Scheins in seiner ganzen Bandbreite. Am Ende der Bremer Ausstellung stand daher nicht von ungefähr die "Hand des Künstlers", hier als Zeichnung von Max Beckmann, da sie dieses produktive Mehr erzeugt, das die Porträtkunst von "strenger" Abspiegelung der Realität grundlegend unterscheidet.

Christian Drude
Projektmitarbeiter der Kunsthalle Bremen


Der Katalog zur Ausstellung enthält - neben einem Essay "Über die Strenge" von Andreas Kreul und einer ausführlichen Bibliographie - ein vollständiges Verzeichnis aller Gemälde, Skulpturen, Münzen und Medaillen im Besitz der Kunsthalle Bremen, die Künstlerbildnisse zum Thema haben. Erweitert wird das Gesamtbild um eine kleine Auswahl von 60 graphischen Arbeiten aus den Beständen des Kupferstichkabinetts. (96 S., 56 s/w-Abb., Kommentare zu ausgewählten Einzelwerken, DM 24,-)

 

AsKI KULTURBERICHTE 2/1994

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